Im Alter von 39 Jahren hat er die Zweitausbildung absolviert, heute, fünf Jahre später, bewirtschaftet er in Wilchingen SH elf Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Darauf produziert er verschiedene Nischenprodukte, vom Lupinenkaffee aus eigener Röstung, Popcorn und Polenta aus alten Populationssorten, Leindotteröl bis hin zu Teigwaren aus Emmer und Dinkel. Und er ist immer noch Berater in Finanzfragen und betreut noch eine Handvoll Kunden. Ein Gespräch über Träume, Illusionen und die Motivation, immer wieder Neues auszuprobieren.
Hansjürg Jäger: Weshalb wird man Bauer, wenn man in der Finanzbranche arbeitet?
Egon Tschol: Vor zehn Jahren hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich Bauer auf einem Demeter-Hof werde. Nach meiner kaufmännischen Lehre und der anschliessenden Weiterbildung zum Betriebsökonom faszinierte mich die Börse. Als Broker und Analyst bei verschiedenen Banken und Vermögensverwaltern angestellt, machte ich mich 2002 selbstständig. Ich verwaltete Vermögen und vertrieb meine eigene Analyse-Software. Es war eine berauschende Pionierzeit. Geld war damals nicht der Antrieb, sondern das Gefühl, erfolgreich zu sein.
Was ist dann passiert?
Mit der Zeit habe ich bei der Analyse der Börsentrends festgestellt, dass es zu einer Konsolidierung des Marktes kommen wird. Ausserdem wurde das Arbeitsumfeld härter, mit mehr Vorlagen und einem stärkeren Konkurrenzkampf innerhalb der Branche. Hinzu kam der persönliche Wunsch, sich zurückzuziehen. Als uns dann noch die Seesicht am Ufer des Zürichsee verbaut wurde, wollten wir definitiv weiter weg. Zuerst zogen wir nach Hombrechtikon ZH.
Allerdings war das keine dauerhafte Lösung und über Inserate sind wir so auf ein Haus gestossen, dass auf 1‘200 Meter über Meer in Vitznau am Fuss der Rigi liegt. Das Haus war nur mit der Seilbahn zugänglich und so hat sich in den darauffolgenden viereinhalb Jahren auch meine Wahrnehmung verschoben: Weg von der Bahnhofstrasse in Zürich hin zur Natur, die uns umgab. Mein Wissen aus der Finanzwelt war da oben so abstrakt, dass ich eines Morgens aufwachte und realisierte, dass ich bisher nichts Handfestes erlernt und als Zahlenjongleur den Boden unter den Füssen verloren hatte. Ich bewunderte meine Nachbarn, alles Bergbauern, für ihre Fähigkeiten, die mir fehlten: Der Bezug zu den Naturrhythmen, Verständnis für Maschinen und den Bau von Ställen und Häusern, Kenntnis über Pflanzen und Tiere. Da wir ausserdem durch unsere Kinder mehr auf die Ernährung achten mussten, haben wir begonnen, uns stärker für die Landwirtschaft zu interessieren. Kurz darauf begann ich die Ausbildung zum Nebenerwerbslandwirt in Hohenrain. Die Praxis absolvierte ich bei einem Bergbauern. Während der 1½-jährigen Ausbildung kam immer mehr der Wunsch auf, selbst einen Hof zu führen mit Ausrichtung auf Ackerbau, denn mit Tieren hatte ich von Kind her keine oder fast keine Beziehung. Bedingt durch die Allergien eines unserer Kinder war das Ziel, einen hohen Selbstversorgungsgrad zu erlangen, denn je mehr wir uns mit dem Thema Ernährung befassten, umso genauer wussten wir, in welcher Qualität wir selbst produzieren wollen. Früher haben wir uns überhaupt keine Gedanken über die Ernährung gemacht.
Wie kam es zu diesem Wandel?
Das Umdenken hat über Jahre hinweg stattgefunden. Das Wohnen auf der Rigi war ein Ausdruck von dem, was wir uns schon sehr lange überlegt haben. Wir wollten bewusster leben, uns nicht mehr so treiben lassen. Es war eine Sättigung des Materialismus und wir stellten fest, dass wir nicht mehr weiter kommen. Es war wie ein Spiel, das man nicht gewinnen kann. Man wird durch dieses Spiel abgelenkt, dabei gäbe es noch so viel anderes zu entdecken und zu erleben. So hat auch das Geld eine andere Bedeutung erhalten.
Der Bezug zum Geld hat sich verändert?
Ja, auf jeden Fall. Das Auto ist immer noch dasselbe wie vor fünf Jahren. Früher hätte ich natürlich den Wunsch gehabt, das Auto zu erneuern. Schöner, teurer, schneller. Heute ist das überhaupt kein Thema mehr und das Auto hat sogar einen Namen erhalten: Annalisa. Das Verhältnis zur Materie und zum Geld hat sich geändert. Heute weiss ich, wie lange ich arbeiten muss, um die Krankenkasse bezahlen zu können. Früher hat das bloss ein paar Stunden gedauert. Ausserdem weiss ich heute, dass man mit Geld nicht nur jonglieren, sondern auch etwas Reales erschaffen kann.
Was hat sich noch verändert?
Im Finanzbereich war zu Beginn der Ablösung eine enorme Ablehnung spürbar. Ich gab mir zu Beginn noch fünf Jahre, bis ich den Finanzbereich verlassen wollte. Inzwischen hat sich das aber etwas relativiert und ich mache das, was mir Spass macht und betreue noch einen ausgewählten Kundenstamm. Ausserdem bin ich heute viel naturnaher, die Ernährung ist anders, auch die Hobbys und der Kollegenkreis haben sich verändert. Ich kann heute die Zeit sehr gut nutzen, das Büro und der Hof ergänzen sich gut. Und in einem Sommer wie diesem bin ich froh um die zusätzliche Einnahmequelle. Trotzdem: Es war ein langer Prozess, der Schritt für Schritt dazu führte, dass wir schliesslich den Aspenhof übernehmen konnten. Geplant war dies nicht.
Sie haben noch nie so lange an einem Ort gewohnt wie auf dem Aspenhof. Seit fünf Jahren sind sie nun hier. Wie geht es weiter?
Es wird sicher noch weitere fünf Jahre in diesem Sinne weitergehen. Da wir beim Verkauf unserer Produkte immer noch in der Pionierphase sind und die gesteckten Ziele noch nicht erreicht haben, macht es auch immer noch Freude. Ausserdem will ich die Bodenqualität weiter verbessern und die dabei erzielten Fortschritte sehen. Zudem sind auch unsere beiden Kinder hier sehr verwurzelt. Es ist also nicht vorgesehen, demnächst wieder weiter zu ziehen. Zwar würde meine Frau gerne wieder für eine längere Zeit auf Reisen gehen, doch mit dem Hof ist man gebunden. Trotzdem haben wir es geschafft, vor der diesjährigen Erntezeit das erste Mal seit fünf Jahren im Sommer zehn Tage Ferien zu machen.
Das ist dann auch Motivation, um weiterzumachen?
Auf jeden Fall. Die erste Phase ist jetzt durch und wir möchten nun die Balance finden, damit man weniger Ertragsschwankungen bei der Ernte hat, dass wir bei der Verarbeitung Fortschritte erzielen können. Eine Idee ist, dass man auf dem Feld vielleicht gar drei oder vier verschiedene Früchte gleichzeitig anbaut und dann nach der Ernte separiert. Eigentlich wäre das auch schon heute machbar. Trotzdem stösst man oft an Grenzen.
War dieser Antrieb, etwas zu machen, schon früher vorhanden?
Das wettbewerbsorientierte Denken hatte ich schon immer. Seit ich mich zurückerinnern kann, habe ich mich immer an den Besten orientiert. Allerdings verliere ich die Motivation weiterzumachen, wenn ich mein Ziel erreicht habe. Da ich relativ schnell lerne, bin ich auch immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Nach meiner kaufmännischen Ausbildung wusste ich zunächst nicht, was ich machen wollte. Zufällig bin ich dann in den Börsenbereich hineingerutscht. Da die Spitze der Finanzinstrumente die Derivate sind, habe ich mich zum Derivatspezialist ausbilden lassen. Auch in der Landwirtschaft ist es nun ähnlich. Der Anbau nach Demeter-Grundsätzen ist für mich die Spitze der Landwirtschaft. Ich hörte, dass es eine anspruchsvolle Art der Landwirtschaft sei, was mich faszinierte. So war ein Ziel, aus diesem Betrieb einen Demeter-Hof zu machen. Heute habe ich den Anspruch, unter Einbezug von Mondphasen Naturzyklen und so weiter, die Felder mit Mischkulturen zu bewirtschaften. Mir gefällt die Komplexität, die dadurch entsteht.
Dann ist ihr Ziel, den besten Demeter-Betrieb der Schweiz aufzubauen?
Als Demeter-Bauer möchte man den Bauernhof in einem besseren Zustand übergeben, als man ihn übernommen hat. Diesem Anspruch kann ich schon heute zumindest in Bezug zur Bodenqualität gerecht werden. Trotzdem gibt es noch viele andere, die viel besser sind als ich, mehr Erfahrung haben und noch genauer wissen, was sie tun müssen. Mein Ziel ist es schon, in diese Liga vorzustossen. Es wird aber noch etwas Zeit benötigen. Ausserdem haben wir auch nicht alles selbst erfunden, sondern fanden bei verschiedenen Büchern und Personen Inspiration. Sepp Holzer beispielsweise, der die Permakultur in Europa quasi erfand. Oder auch Wolfgang Storl oder Viktor Schauberger haben mein Denken beeinflusst.
Auch die Ansichten von Rudolf Steiner selbst haben wir zu einem gewissen Grad berücksichtigt. Wir haben so die Dinge für uns rausgenommen, die uns entsprachen und zu unserem eigenen Gedankengut konsolidiert. Für mich ist das der einzige mögliche Weg. Trotzdem sehen wir auch bei Demeter gewisse Widersprüche. So ist das Pflügen etwas, was auch im Demeter-Landbau sehr viel Tradition hat. Da breche ich mit der Tradition und arbeite pfluglos, denn ich sehe in erster Linie den Boden, den es zu erhalten und zu verbessern gilt. Mit den wachsenden Erfahrungen nehme ich gewisse Dinge an, andere verwerfe ich wieder, um meinem Ziel ein Stück näher zu kommen. Diesem Weg möchte ich folgen und nicht zwingend den besten Demeter-Betrieb aufbauen. Vielmehr möchte ich meine Visionen umsetzen und die Früchte meiner Arbeit sehen. Ich möchte nicht nur neue Dinge aufgleisen, sondern auch sehen, wie der Erfolg ist.
Wie schöpfen Sie wieder Kraft, Motivation, um Neues auszuprobieren?
Früher haben wir den Ausgleich über Konsum gesucht. Heute hingegen geht man raus und findet immer etwas, womit man sich beschäftigen könnte. Damit ist auch die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit fliessend. Klar gibt es Dinge, die zur Zeit erledigt werden müssen. Wenn das Wetter danach ist, muss man sich richten. Ausserdem arbeiten wir durch die Nähe zur Natur in Zyklen. So sind die Arbeitsspitzen von April bis Oktober. Im Winter haben wir dann Zeit, die Produkte zu verarbeiten und über Veränderungen nachzudenken. Ausserdem haben mir die zehn Tage Ferien, der Abstand zum Betrieb, sehr gut getan. Obwohl, meistens will man gar nicht weg.
Dossier: Motivation in der Landwirtschaft
Das diesjährige Agroforum vom 12. September in Bern widmet sich der Motivation. Im Rahmen eines LID-Dossiers wurde das Thema aufgenommen und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Das Dossier ist auf www.lid.ch abrufbar. Nicht-Abonnenten können es für 10 Franken beim LID beziehen.

