Apia geht es schlecht. Die Braunvieh-Kuh hat sich vermutlich eine Lungenentzündung geholt. Sie muss leicht husten und Milch geben will sie auch nicht so recht. Die Temperaturmessung ergibt: 41 Grad Celsius. Landwirt Werner Ammann aus dem st. gallischen Ganterschwil greift zu seiner Stall-Apotheke, öffnet ein kleines Gläschen und gibt der dreijährigen Apia ein paar winzig-kleine weisse Kügelchen. Apias Körpertemperatur steigt daraufhin für kurze Zeit auf 41,3 Grad Celsius an, um sich danach aber wieder zu normalisieren. Nach zwei Tagen ist die Apia wieder wohlauf. Und nach drei weiteren Tagen gibt sie wieder normal Milch.
Homöopathie
Die Grundprinzipien der Homöopathie wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Samuel Hahnemann (1755 - 1843) begründet. Im Zentrum steht die Aktivierung der Selbstheilungskräfte und der Eigenregulation des Organismus. Gemäss dem Ähnlichkeitsprinzip vermag eine Substanz, die bei einem gesunden Menschen gewisse Symptome auslöst, ähnliche Symptome bei einem kranken Menschen zu heilen. Wo die Schulmedizin punktuell eingreift, verfährt die Homöopathie nach einem ganzheitlichen Ansatz, der Körper, Seele und Geist mit einbezieht.
Zu 99 Prozent homöopathisch
"Ein Schulmediziner hätte der Kuh Antibiotika gegeben, um das Fieber zu senken", mutmasst Ammann. Nicht so der 60-jährige Bio-Bauer. Seit knapp 20 Jahren setzt er nebst alten Hausmitteln auf Homöopathie im Stall. Angefangen hatte er damit, als viele Ferkel kurz nach der Geburt an Durchfall erkrankten. Verschiedene Medikamente habe er ausprobiert – ohne Erfolg. Zahlreiche Ferkel seien gar gestorben. Ammann: "Ich stand vor der Wahl: Entweder aus der Schweinezucht auszusteigen oder etwas ganz Neues auszuprobieren." Der Ostschweizer entschied sich für Letzteres. Heute behandelt er seine Tiere zu 99 Prozent auf homöopathische Weise. Bei den Schweinen müsse er nur etwa alle zwei Jahre einmal Antibiotika einsetzen und bei den Kühen liegt die letzte derartige Behandlung gar acht Jahre zurück.
Weniger Antibiotika
Kuh Apia hätte er als Schulmediziner tatsächlich Antibiotika gegeben, erklärt Andreas Schmidt, Tierarzt und Homöopath aus dem thurgauischen Sirnach. "Dank Homöopathie kann der Einsatz von Antibiotika aber verringert werden," so Schmidt. Gerade bei Euterentzündungen würden heute viele Antibiotika eingesetzt mit teils zweifelhaftem Erfolg. Ohne Penicillin gehe es aber nicht immer. Ist ein Tier bereits stark geschwächt, komme man oft nicht um die Schulmedizin herum. Gleiches gelte etwa im Fall einer schweren Entzündung.
Homöopathie liegt im Trend
Komplementärmedizin bei Nutztieren hat in den letzten Jahren einen wahren Boom erlebt. Erik Meier vom Zürcher Kompetenzzentrum für Land- und Ernährungswirtschaft Strickhof hat im Jahr 2002 den ersten Arbeitskreis in der Schweiz zum Thema Homöopathie durchgeführt – ein Weiterbildungsangebot, bei dem Landwirte ihre Erfahrungen austauschen können. Die Nachfrage sei sehr gross gewesen, erinnert sich Meier. Als Folge davon habe man das Angebot ausgebaut. Heute gebe es gleich vier Arbeitskreise zum Thema Homöopathie. Einem Bedürfnis entsprach auch der Einführungskurs "Homöopathie im Stall", den Meier ins Leben rief. Das Interesse sei mittlerweile etwas abgeflacht. Das habe aber, so Meier, unter anderem damit zu tun, dass mittlerweile viele Landwirtschaftsschulen auf den Zug aufgesprungen seien und entsprechende Kurse anbieten würden.
Homöopathie zahlt sich aus
Auch Tierarzt Schmidt, der Homöopathie-Kurse leitet, bestätigt ein wachsendes Interesse an Komplementärmedizin. Das sei wenig verwunderlich: Homöopathische Arzneimittel seien deutlich preisgünstiger. Und könne der Bauer die Behandlung selbst durchführen, entfallen auch die Kosten für einen Tierarzt. Homöopath Schmidt sieht aber noch einen weiteren Vorteil: Muss eine Kuh mit Antibiotika behandelt werden, darf deren Milch während mehrerer Tage nicht in den Verkauf gelangen – mit finanziellen Einbussen für den Bauern. Dank Homöopathie können solche Wartefristen vermieden oder zumindest verringert werden. Vor allem aber profitieren die Tiere von einer homöopathischen Behandlung: "Mittelfristig verbessert sich die Gesundheit", erklärt Schmidt.
Beobachten ist das A und O
Der Einsatz von Homöopathie im Stall ist aber alles andere als einfach. "Der Mensch kann sagen, wo der Schuh drückt. Bei Tieren muss man das durch Beobachten herausfinden", erklärt Schmidt. Ein Bauer müsse deshalb seine Tiere gut kennen. Viel Erfahrung und gute Beobachtungsgabe seien zudem notwendig. Die Behandlung und die Wahl der Arzneien hängen von der Beantwortung von Fragen ab wie: Verhält sich eine Kuh anders gegenüber dem Bauer oder den Artgenossen als normal? Wirkt sie gereizt? Wie steht es mit dem Appetit, dem Durst? Gibt es Körperstellungen, die das Tier meidet?
Auch Werner Ammann, der bereits langjährige Erfahrung mit Homöopathie hat, ist immer wieder auf den Rat eines Experten angewiesen. Wie etwa bei der Kuh Apia, wo er Homöopath Schmidt hinzugezogen hat. Ammann weiss: Viele Landwirte, die ihre Tiere homöopathisch behandeln wollen, sind zuweilen unsicher bei der Diagnose und der Wahl der richtigen Arzneimittel. In diesen Fällen ist professioneller Rat gefragt. Doch nicht alle haben das Glück von Werner Ammann, der mit Andreas Schmidt einen Homöopathen in der Nähe hat. Das Netz an komplementär-medizinischer Versorgung ist bedeutend weniger dicht als dasjenige bei der Schulmedizin.
Antibiotika-Einsatz in der Schweiz
2010 wurden 66,6 Tonnen Antibiotika für Heim- und Nutztiere vertrieben, 3,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Davon wurden rund 87 Prozent für die Behandlung von Nutztieren verkauft. Die Schweiz liegt gemäss Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) im europäischen Mittelfeld: In Deutschland werden ähnlich viele Antibiotika eingesetzt, in Frankreich und den Niederlanden sind es bedeutend mehr, in Skandinavien indes weniger. Der Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren steht immer wieder in der öffentlichen Kritik, da resistente Keime über die Lebensmittelkette zum Menschen gelangen können. Laut BVET war die Resistenz-Situation im 2010 insgesamt stabil. Allerdings hätten die Resistenzen gegenüber einer bestimmten Klasse von Antibiotika, den Fluoro-Quinolonen, zugenommen. Dies sei bedenklich, urteilt das BVET, zumal Fluoroquinolone in der Veterinär- und der Humanmedizin zu den wichtigen Antibiotikaklassen gehörten und zurückhaltend eingesetzt werden sollten.
Hotline für Homöopathie
Hier setzt Kometian an. Das von Landwirt Ammann lancierte Projekt will eine flächendeckende Beratung und Versorgung in komplementär-medizinischer Tierheilung anbieten. Das Echo auf die Ausschreibung war gross: 79 Betriebe mit Tierhaltung haben sich für die Pilotphase, die im Januar begonnen hat, angemeldet. Ihnen stehen nun 17 Fachpersonen der Komplementär-Medizin für eine Beratung am Telefon oder auf dem Bauernhof zur Verfügung – während 24 Stunden und an sieben Tagen in der Woche.
Ammann will damit den Stellenwert der Komplementär-Medizin in der Nutztierhaltung stärken. Ziel ist die Reduktion von Antibiotika: "In der Nutztierhaltung sollte wegen der Lebensmittelsicherheit möglichst wenig Antibiotika eingesetzt werden." Läuft das Projekt nach Plan, soll es auf weiter Betriebe und Regionen ausgedehnt werden.
Weitere Infos: www.kometian.ch
