
Es sah gut aus für die Brennereien und Bauern: Im Rahmen der Totalrevision des Alkoholgesetzes sprachen sich im letzten Jahr zunächst der Ständerat und danach auch der Nationalrat im Grundsatz für eine neue Spirituosen-Besteuerung aus – gegen den Willen des Bundesrates. Mit der so genannten Ausbeutebesteuerung (siehe Kasten) wollte das Parlament die Schweizer Brennereien gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähiger machen und gleichzeitig einen Beitrag zum Erhalt der bedrohten Hochstamm-Obstbäume leisten, die den Rohstoff für die Schnapsproduktion liefern.
Kommission will Steuermodell abschiessen
Nun droht das neue Besteuerungsmodell dennoch Schiffbruch zu erleiden. In der Wintersession, am 24. November, nimmt sich der Ständerat nochmals des Themas an. Die vorberatende Kommission (WAK-S) empfiehlt ihrem Rat eine Kehrtwende um 180 Grad: Die Ausbeutebesteuerung soll ersatzlos gestrichen werden. Warum nun der plötzliche Gesinnungswandel?
Gutachten gegen Gutachten
Rückblende: Nachdem beide Räte der Ausbeutebesteuerung zugestimmt haben, präsentierte die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) ein Gutachten von Professor René Matteotti (Uni Zürich), der zum Schluss kommt, dass die Ausbeutebesteuerung gegen Verfassung und Völkerrecht verstosse.
Von einem möglichen Scheitern der Ausbeutebesteuerung aufgeschreckt, gab der Schweizer Bauernverband bei Professor Rainer Schweizer (HSG St. Gallen) ein ergänzendes Gutachten in Auftrag. Dieser monierte, dass Matteottis Gutachten unvollständig sei und auf einer verkürzten Betrachtungsweise beruhe. Schweizer kam zum Schluss, dass die Ausbeutebesteuerung verfassungs- und völkerrechtskonform umgesetzt werden kann, wenn punktuelle Anpassungen gemacht werden (siehe Kasten). Damit stand Gutachten gegen Gutachten.
So funktioniert die Ausbeutebesteuerung
Bei der Ausbeutebesteuerung schätzt die Verwaltung für jeden Rohstoff die Alkohol-Ausbeute. Diese wird dann zu einem ermässigten Ansatz besteuert. Holt ein Brenner mehr Alkohol raus, ist die Überausbeute steuerfrei, allerdings nur bis zu einer gewissen Schwelle. Wird diese überschritten, werden wiederum Steuern fällig. Das Brennereigewerbe erhofft sich mit der Ausbeutebesteuerung mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Der Marktanteil von einheimischen Spirituosen beträgt derzeit gerade noch 17 Prozent, in den 1980er Jahren waren es noch 80 Prozent.
Wahrheitswidrige Behauptungen?
Die WAK-S lud deshalb Mitte Oktober 2014 beide Rechtsprofessoren zu einer Anhörung ein. Dem Vernehmen nach fuhr Matteotti neues Geschütz gegen die Ausbeutebesteuerung auf: So behauptete er aufgrund von Material, das ihm die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) lieferte, dass Brenner gegenüber der geschätzten Ausbeute bis doppelt so viel Alkohol aus den Rohstoffen holen könnten. Die Ausbeutebesteuerung sei daher unzulässig, weil sie degressiv und somit verfassungswidrig sei.
Laut Branchenkennern sind die Aussagen Matteottis falsch, weil geschätzte und tatsächliche Ausbeute sehr nahe beieinander liegen. Bei der an der Sitzung präsentierten Degressionskurve handle es sich um ein theoretisches Modell, das mit der Praxis in keiner Weise übereinstimme.
Die EAV lässt die Kritik nicht gelten. Geschätzte und tatsächliche Ausbeuten könnten sehr wohl stark voneinander abweichen, erklärt Marianne Weber von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung. "Die Ausbeutebesteuerung ist degressiv, weil die steuerliche Belastung je Liter reinen Alkohols abnimmt, je mehr Alkohol produziert wird", so Weber. Massenproduktion werde dadurch belohnt. "Demgegenüber erfahren Brenner, die auf kleine Ausbeuten und somit auf Qualität setzen, eine höhere steuerliche Belastung; sie kann schlimmstenfalls sogar über dem heutigen Steuersatz von 29 Franken liegen."
Verstoss gegen das Parlamentsgesetz
Auf Kritik stösst auch das Vorgehen der WAK-S, welche nun als Ergebnis der Kommissionssitzung die Ausbeutebesteuerung gänzlich in Frage stellt. Für Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes und Mitglied der WAK-N, handelt es sich dabei um einen Verstoss gegen das Parlamentsgesetz. Unterstützung erhält er von Rechtsprofessor Rainer Schweizer. "Ständerat und Nationalrat haben der Ausbeutebesteuerung im Grundsatz zugestimmt, deshalb können gemäss Parlamentsgesetz nur noch die strittigen Punkte behandelt werden." Mit anderen Worten: Die Ausbeutebesteuerung ist beschlossen, nun geht es lediglich um die Frage, wie diese ausgestaltet werden soll. Eine erneute Grundsatzdebatte über die Ausbeutebesteuerung hätte laut Schweizer einen Rückkommensantrag vorausgesetzt. Einen solchen gab es tatsächlich. Nur wurde er vom Nationalrat abgelehnt.
So ist die Ausbeutebesteuerung rechtens
Gemäss Gutachten von Professor Matteotti ist die Ausbeutebesteuerung verfassungs- und völkerrechtswidrig, unter anderem, weil in- und ausländische Destillate unterschiedlich besteuert werden. Solche Eingriffe seien zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse geschehen. Zu diesem Schluss kommt Professor Rainer Schweizer in seinem ergänzenden Gutachten. Bei der Ausbeutebesteuerung sei das der Fall, weil mit ihr ökologische (Erhalt Hochstamm-Obstbäume) und strukturpolitische Ziele (Erhalt bedrohter Brennereien) verfolgt werden. Alternativen zur Ausbeutebesteuerung seien wenig tauglich. Die Ausbeutebesteuerung müsse aber verhältnismässig ausgestaltet sein. Schweizer schlägt deshalb unter anderem vor, dass die Ausbeutebesteuerung periodisch auf ihre Wirksamkeit überprüft werden soll. Zudem solle sie nur bei ökologisch produzierten, einheimischen Früchten zur Anwendung kommen.