Der zweite Weltkrieg liegt über ein halbes Jahrhundert zurück. Vorbei sind die Zeiten, als noch jedes Kind wusste, was es mit der Anbauschlacht auf sich hatte. Die Grundnahrungsmittel sind nur noch dann ein Thema, wenn es darum geht, die Preise im In- und Ausland zu vergleichen oder einen "Skandal" breitzuschlagen. Essen ist in Westeuropa eine Selbstverständlichkeit. Wie es in naher oder ferner Zukunft aussehen wird, weiss niemand, denn "die Risiken einer Nahrungsmittelknappheit haben sich nicht vermindert, sondern lediglich verlagert", sagt Dieter Wälti, vom Bereich Ernährung des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Während bis zum Ende der Sowjetunion im Jahr 1989 vor allem machtpolitische Umstände Risikofaktoren darstellten, seien es heute eher Naturkatastrophen, radioaktive Verseuchung, epidemisch auftretende Krankheitserreger, Terrorismus oder wirtschaftlich bedingte Versorgungskrisen.
Bestes Ackerland muss geschützt werden
Damit es in allfälligen Krisenzeiten nicht zu Ernährungsengpässen im Inland kommt, hat der Bundesrat im Jahr 1992 den "Sachplan Fruchtfolgefläche" (Sachplan FFF) in Kraft gesetzt. Dieser Sachplan verpflichtet die Kantone dazu, eine Mindestfläche allerbestes Ackerland zu erhalten. Gesamtschweizerisch müssen rund 438,600 Hektaren – mehr als zweimal die Fläche des Kantons St. Gallen – im Idealfall jederzeit, höchstens aber innerhalb von zwei Jahren, landwirtschaftlich nutzbar sein. Diese Fläche darf also weder für private noch für öffentliche Zwecke überbaut werden. "Golfplätze oder sonstige Anlagen sind nur erlaubt, wenn die Bodenfruchtbarkeit trotz der Nutzung auf Dauer gewährleistet ist und der Boden innerhalb der zwei Jahre wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden kann", erklärt Fred Baumgartner, Leiter der Sektion Siedlung und Landschaft beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE). Ob dies bei einer Golfanlage wirklich möglich sei, könne nicht mit absoluter Gewissheit gesagt werden, denn zum Glück sei eine Rückführung bis anhin noch nie notwendig gewesen.
Ob die besagten 438,600 Hektaren im Ernstfall tatsächlich knapp 7,4 Millionen Menschen ernähren könnten, sei schwierig zu sagen, betont Wälti. "Wir wissen ja im Voraus nicht, welche Art von Krise es sein wird." Die heute von der Landwirtschaft genutzte Fläche reiche, um 66 Prozent des Bedarfs zu decken. "Es gilt aber zu bedenken, dass dies nur der Fall ist, wenn alle externen Faktoren intakt sind. Also wenn Treibstoff für die Maschinen vorhanden ist und auch gewisse andere Rohstoffe aus dem Ausland importiert werden können." Die Berechnung eines mittleren Szenarios habe ergeben, dass mit der Hälfte der heutigen Landwirtschaftsfläche, also mehr als einer halbe Million Hektaren, der Hälfte des Aussenhandels und mit den Pflichtlagern, während sechs Monaten pro Person täglich 3,000 Kilokalorien sichergestellt werden könnten. Der durchschnittliche Bedarf liegt bei einer erwachsenen Person je nach Geschlecht und Aktivität zwischen 2,300 und 2,700 Kilokalorien pro Tag.
Ernährungssicherung reicht nicht als Argument
Dass das Argument der Ernährungssicherung häufig nicht ausreicht, um den strikten Schutz der besten Böden und somit den Sachplan des Bundes zu begründen, weiss Jörg Hartmann von der Abteilung Raumentwicklung des Kantons Aargau. "Viele Leute sehen nicht ein, warum es sinnvoll ist, eine gewisse Menge an Kilokalorien im Inland zu produzieren. Sie nehmen vor allem die tiefen Preise der ausländischen und die hohen Preise der inländischen Produkte wahr." Da sei es oft einfacher, den Sachplan FFF mit dem Schutz der gewachsenen Böden und der Bewahrung der Landschaft zu rechtfertigen.
Doch auch diese Argumente sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. "Die Kantone sind in einem Zwiespalt. Einerseits bekennen sie sich zu ihrem besten Kulturland und stehen hinter dem Sachplan. Andererseits wollen sie ihre Gemeinden nicht in ihrem Siedlungswachstum behindern", erklärt Fred Baumgartner. Das Problem beim Vollzug des Sachplans sei, dass dort, wo sich die besten Ackerböden befänden, auch die Nachfrage nach Siedlungsflächen am grössten sei. Gut sichtbar sei dies vor allem rund um die Agglomerationen und Städte im Mitteland. "Hier stehen sich die Anliegen des Siedlungswachstums und der Schutz von Kulturland immer wieder gegenüber."
Argumente nicht immer einfach zu finden
Für Hartmann sind solche "Streitigkeiten" Alltag. Er sieht das Problem teilweise darin, dass nur das beste Ackerland unter Schutz gestellt werden darf, die Wiese nebenan aber nicht. Es sei nicht immer einfach, plausibel zu erklären, warum ein Gewerbe, welches Arbeitsplätze generiere, nicht an einer ebenen, gut erschlossenen Lage gebaut werden dürfe, sondern nur an einer für den Sachplan Fruchtfolgeflächen unbedeutenden Hanglage.
Dass nur ein Teil des landwirtschaftlich genutzten Bodens staatlich geschützt ist, ist auch für den St. Galler SVP-Nationalrat Elmar Bigger unverständlich. Er reichte aus diesem Grund Anfangs Oktober eine Motion ein. "Aus meiner Sicht sollten alle produktiven Flächen geschützt werden. Auch jene, die vielleicht aus topografischer Sicht nicht ganz so ideal gelegen sind." Es sei nicht einsehbar, warum nur Ackerland unter Schutz gestellt werden soll. Schliesslich sei Graswirtschaft im Milchland Schweiz ebenfalls ein wichtiger Betriebszweig. In seiner Motion schreibt Bigger zudem, die bestehenden Instrumente zum Schutz des Kulturlandes seien offensichtlich ungenügend und würden meist nicht greifen, denn noch immer gehe pro Sekunde ein Quadratmeter Kulturland verloren und die Siedlungstätigkeit gehe insbesondere im Mittelland ungebremst weiter.
Erhaltung oder Ausrottung?
Auch für Baumgartner ist der aktuelle Umgang mit dem Boden bedenklich. "Wir gehen noch immer verschwenderisch mit dem unvermehrbaren Boden um. Das für die Einfamilienhausgebiete ebenso wie für die Industrie- und Gewerbezone. Es muss eine viel sorgfältigere Siedlungsentwicklung angestrebt werden." Es müsse bedacht werden, dass einmal überbauter Boden in der Regel landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar sei. "Die Erhaltung des Kulturlandes ist eine langfristige Aufgabe. Und da man nicht weiss, was noch alles auf uns zukommen wird, ist es unsere wirtschaftliche und ethische Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen, soviel kostbaren Boden wie möglich zu erhalten."
Nicht alle sehen das so. Im Buch "Stadtland Schweiz" spricht der Think Tank Avenir Suisse von der Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung der Schweizer Städte: "Ohne in eine der grösseren Wirtschaftsregionen eingebettet und verflochten zu sein, dürfte für einzelne Orte/Städte beziehungsweise Gemeinden kaum eine Chance bestehen, sich im internationalen Standortwettbewerb zu bewähren." Die Schweiz als riesige Metropole, wie es beispielsweise Hong Kong oder Singapur sind, ein Gedanke, der sich nicht mit jenem der Ernährungssouveränität verträgt.