"Das ist ein sehr heikles Thema." So lautet der häufigste Satz, wenn man Gemüsebauern auf ihre Verträge mit den Händlern anspricht. Denn zwischen Gemüsebauern und Gemüsehändlern sind die Machtverhältnisse klar. Das Sagen haben die Händler. Sie melden, wann sie wie viel vom welchem Gemüse brauchen, die Bauern liefern. "Der psychische Druck ist bei manchen Bauern enorm", sagt Charles Aebersold, selber Gemüsebauer im seeländischen Treiten. Am Morgen wüssten sie noch nicht, was zu ernten sei, erst um neun Uhr komme der Anruf, wie viel von welchem Gemüse bis Mittag geliefert werden müsse. Viele wagen es gar nicht, etwas zu sagen, aus Angst vor Repressalien. Das muss nicht einmal heissen, dass der Händler den Gemüseproduzenten zur Rede stellt. Es könne auch einfach sein, dass der Händler sage: "Wir brauchen nichts mehr", erklärt Aebersold.
Ein Ärgernis sind für viele Gemüsebauern die Gegengeschäfte: Die Abnehmer halten die Gemüsebauern dazu an, bei ihnen Hilfsstoffe wie Dünger, Pflanzenschutz oder Saatgut zu kaufen. In der Vereinbarung steht dann etwa, es werde empfohlen, die Hilfsstoffe bei dieser oder jener Firma einzukaufen oder es werde ein Gegengeschäft im Umfang von so und so viel Franken pro abgelieferte Gemüsemenge erwartet.
Bauern sind machtlos
"Diese Vereinbarungen gibt es", bestätigt Jakob Wettstein, Gemüseproduzent in Müntschemier und Präsident der Seeländer Gemüsebauern. Die meisten Bauern hätten sich damit abgefunden. Es sei klar, dass die Bauern am kürzeren Hebel seien, so lange das Angebot grösser sei als die Nachfrage.
Wettstein machte ein paar Jahre lang Sammelbestellungen von Hilfsstoffen für mehrere Gemüseproduzenten, diese konnten dank der grösseren Bestellmenge Geld sparen. Nach und nach aber seien seine Kollegen abgesprungen, erzählt er. Ihre Abnehmer haben nicht akzeptiert, dass die Hilfsstoffe anderswo und billiger eingekauft wurden.
Die Gegengeschäfte haben den Preisüberwacher Rudolf Strahm auf den Plan gerufen. Bei der Landi Kerzers hat er ein Exempel statuiert. Die Landi hat eine entsprechende Verpflichtung, Produktionsmittel nur über die Landi einzukaufen, ersatzlos gestrichen, nachdem Strahm gedroht hatte, den Fall vor die Wettbewerbskommission zu bringen. Auch anderen Fällen will der Preisüberwacher nachgehen.
Wettstein rechnet damit, dass Passagen über Gegengeschäfte zwar aus den Vereinbarungen verschwinden werden. "Damit ist den Bauern aber nicht viel geholfen." Der implizite Druck, Hilfsstoffe einzukaufen, bleibe. Die Bauern riskierten sonst, als Lieferanten fallengelassen zu werden. Die Bandagen, mit denen gekämpft wird, sind hart. "Überlegt Euch gut, ob ihr damit an die Presse wollt", wird den Bauern gesagt. Wenn Produzenten oder bäuerliche Organisationen den Medien Auskunft geben, gibt es gelegentlich auch massive Drohungen.
Die Erwartungshaltung bleibt
"Steffen-Ris ist einer der Schlimmsten", hört man von den Produzenten. Steffen-Ris ist einer der grössten Gemüse- und Früchtehändler, er liefert an Coop und an Migros. Thomas Steffen, Mitglied der Geschäftsleitung, wehrt sich: "Wir machen nicht mehr oder weniger Gegengeschäfte als die anderen Händler." Es gebe nur Vereinbarungen, keine Verträge, und schon gar keine "Knebel-Verträge", wie die Sonntagspresse geschrieben habe. Steffen-Ris habe gerade einen Brief vom Preisüberwacher erhalten, entsprechende Passagen in den Vereinbarungen aber bereits gestrichen, sagt Steffen weiter. Die Erwartung, dass Gegengeschäfte getätigt würden, bleibe aber bestehen. Das sei auch in anderen Wirtschaftszweigen nicht anders, findet er. Ein Wirt etwa erwarte von seinem lokalen Metzger auch, dass dieser sein Bier bei ihm in Beiz trinke und nicht bei der Konkurrenz. Steffen-Ris übe aber keinen Druck aus. "Unser oberstes Entscheidungskriterium ist die Qualität", sagt Steffen. Bei den Rüebli etwa wolle man ganz bestimmte Sorten und biete deshalb das entsprechende Saatgut an. Und schliesslich, fügt Steffen an, mache der Handel mit den Hilfsstoffen nur einen kleinen Teil des Geschäftes aus und auch die Margen seien dort gering.
Die Bauern begrüssen, dass der Preisüberwacher Druck macht, weisen aber darauf hin, dass ihnen noch andere Probleme zu schaffen machen. Etwa die Lohnkosten, die einen grossen Teil der Produktionskosten ausmachen. Aebersold sagt: "Das Hauptproblem ist, dass wir generell zu teuer einkaufen müssen." Die Preise für Dünger und Pflanzenschutz müssten insgesamt noch sinken.
Ganz andere Probleme im Thurgau
wy. "Das Seeland hat den Vorteil, einen starken Handel zu haben", findet Peter Konrad, Leiter der thurgauischen Fachstelle für Gemüsebau. Im Thurgau, einem grossen und relativ jungen Gemüseanbaugebiet, gibt es keinen traditionellen Handel, dafür mehr grössere Betriebe, die das Gemüse selber abpacken und direkt an den Detailhandel liefern. Mit einer entsprechend schwachen Stellung gegenüber den Abnehmern, findet Konrad. Auf Anstoss von Coop hin habe man vor fünf Jahren so genannte Stützpunkt-Leitbetriebe aufgebaut: Betriebe, die Abnehmer für andere Produzenten sind und direkt an den Detailhandel liefern. Sein Ziel sei gewesen, diese Betriebe weiter zu bündeln zu einer regionalen Plattform, sagt Konrad. Coop habe auf diesen Vorschlag nie konkret reagiert, sondern "die Produzenten immer vertröstet". Schliesslich habe Coop damit begonnen, die Idee der Plattformen auf eigene Regie umzusetzen.
Konrad aber will dranbleiben und sich weiterhin für eine starke Position der Produzenten einsetzen. "Der Markt ist noch nicht verteilt", sagt er. Will heissen: Es gibt neben Coop noch andere Grossverteiler und es werden weitere dazu kommen. Das Problem sei im Moment, dass die etablierten Grossverteiler drohten, wenn man an Aldi liefere, dann brauche man bei ihnen nicht mehr anzuklopfen, sagt Konrad. Beim Seeländer Gemüsehandel sei dies nicht der Fall, dieser könne, eben weil er stark sei, überallhin liefern.
Bewegung im Detailhandel
Das Verhältnis zwischen Gemüsebauern und -händlern ist das eine. Das andere ist, wie sich der Detailhandel für die Zukunft mit Aldi und Lidl organisiert. Während Coop das Gemüse zentral einkaufen will und dafür eine Handvoll so genannte Plattformen in den verschiedenen Anbauregionen etabliert, setzen die einzelnen Migros-Genossenschaften auf das Programm "Aus der Region. Für die Region". Im Seeland bekommen die Gemüsebauern die Folgen schon zu spüren: Coop lässt den Gemüsehändler Bongni aus Galmiz fallen – Bongni ist zu klein –, und damit stehen auch dessen Gemüselieferanten vor einer unsicheren Zukunft. Migros will die Seeländer Produzenten aus dem Kanton Freiburg nicht in das "Aus der Region. Für die Region"-Programm der Migros-Genossenschaft Aare liefern lassen. Die Genossenschaft Aare umfasst die Kantone Bern, Solothurn und Aargau, nicht aber den Kanton Freiburg. Wettstein kämpft an vorderster Front dafür, dass auch die Freiburger liefern dürfen: "Die Seeländer Gemüseproduzenten gehören aus Tradition zusammen." Das Seeland sei eine Einheit und man lasse sich hier nicht auseinanderdividieren.