
Am 8. Juli 2014 hatte der Schweizer Bauernverband (SBV) 148‘523 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht, die er im Rahmen seiner Volksinitiative "Für Ernährungssicherheit" gesammelt hatte – und das in kürzester Zeit. Die Initiative ist eine Reaktion auf die Agrarpolitik 2014/17 des Bundes. Ein grosser Teil der Bauern ist mit der letzten Reformrunde unzufrieden. Zu fest setze der Bund auf Ökologie und zu wenig auf die Nahrungsmittelproduktion, lautet die Kritik. Mit der Initiative soll nun Gegensteuer gegeben werden.
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab und will sie mit einem direkten Gegenvorschlag kontern. Dieser stösst auf breite Ablehnung. Das zeigen die Stellungnahmen von Parteien und Organisationen, welche im Rahmen der Vernehmlassung verfasst wurden, welche Mitte April zu Ende ging. Zu den Gegnern eines direkten Gegenvorschlages gehören unter anderem: FDP, SVP, CVP, SP, Grüne, Gewerbeverband, Pro Natura, Bauernverband, Vision Landwirtschaft, Agrarallianz sowie die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor. Einzig die BDP und die Kleinbauern-Vereinigung können dem Vorschlag des Bundesrates Positives abgewinnen.
Gegenvorschlag zurückziehen
Der Bauernverband, die CVP und die SVP lehnen den Gegenvorschlag ab, weil er das Ziel der Volksinitiative – die Stärkung der landwirtschaftlichen Produktion – nicht aufnehme. Kritisiert wird zudem, dass der Abschnitt über den Zugang zu den internationalen Märkten als Freipass für eine weitere Öffnung der Grenzen dienen könne.
SP und FDP argumentieren anders: Es bestehe gar kein Handlungsbedarf, der Gegenvorschlag sei unnötig, weil die heutige rechtliche Grundlage ausreiche. Der bestehende Verfassungsartikel genüge für eine kohärente und zukunftsweisende Agrarpolitik. Die SP weist zudem darauf hin, dass die Agrarpolitik 2014/17 zuerst umgesetzt und evaluiert werden müsse, bevor man eine Diskussion um eine Verfassungsänderung beginne. Die Grünen sagen Nein zum bundesrätlichen Gegenvorschlag und verweisen stattdessen auf ihre Fair-Food-Initiative.
Es sei unsinnig, schwammige Begriffe wie "Ernährungssicherheit" in die Verfassung zu schreiben, kritisiert der Schweizerische Gewerbeverband. Weitere Bestimmungen auf Verfassungsstufe erhöhten einzig die Begehrlichkeiten nach noch mehr staatlichen Interventionen.
Vision Landwirtschaft wirft dem Bundesrat widersprüchliches Handeln vor: So habe er sich stets zum bestehenden Verfassungsartikel bekannt, mit dem Gegenvorschlag anerkenne er nun plötzlich den Bedarf für eine Verfassungsänderung.
Kaum Zuspruch
Die BDP unterstützt den Gegenvorschlag des Bundesrates grossmehrheitlich. Gegenüber der Initiative des Bauernverbandes gebe die Landesregierung eine umfassendere Antwort auf die Herausforderungen für die Schweiz.
Die Kleinbauern-Vereinigung lobt zwar die Absicht des Bundesrates, bestehende Lücken in der Bundesverfassung schliessen zu wollen. Vieles sei aber noch schwammig und unpräzise. Vor allem komme der Nachhaltigkeits-Aspekt zu kurz, kritisieren die Kleinbauern.
Der direkte Gegenentwurf im Wortlaut
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 102a Ernährungssicherheit
Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln schafft der Bund Rahmenbedingungen, welche die Nachhaltigkeit unterstützen und günstig sind für:
a. die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes;
b. eine standortangepasste und ressourceneffiziente Produktion von Lebensmitteln;
c. eine wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft;
d. den Zugang zu den internationalen Agrarmärkten;
e. einen ressourcenschonenden Konsum von Lebensmitteln.
Die Initiative im Wortlaut
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 104a Ernährungssicherheit
1 Der Bund stärkt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion; dazu trifft er wirksame Massnahmen insbesondere gegen den Verlust von Kulturland einschliesslich der Sömmerungsfläche und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie.
2 Er sorgt dafür, dass der administrative Aufwand in der Landwirtschaft gering ist und die Rechtssicherheit und eine angemessene Investitionssicherheit gewährleistet sind.
Art. 197 Ziff. 11 11. Übergangsbestimmung zu Art. 104a (Ernährungssicherheit)
Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung spätestens zwei Jahre nach Annahme von Artikel 104a durch Volk und Stände entsprechende Gesetzesbestimmungen.