Die Szene könnte aus einem tibetischen Reiseprospekt stammen: Am steilen Berghang kleben 26 Yaks, zottige, schwarze Fellhaufen mit riesigen Hörnern, die urtümliche, schnarrende Laute von sich geben. Im Hintergrund die schneebedeckten Berge: an Stelle von Mount Everest und K2 sind es Matterhorn und Weisshorn. 26 tibetische Gebetsfahnen hängen vor dem Haus, für jedes neue Yak auf der Rotfluh wird eine neue Flagge über dem Tal flattern. Bergbauer Daniel Wismer lehnt sich über die Heugabel und ruft seine Tiere. Mit ihrem breiten, kräftigen Körper, den bis zu einem Meter langen, gebogenen Hörnern und der zottigen Mähne, die teilweise bis auf den Boden reicht, wirken die Tiere wie Zeugen aus längst vergangenen Zeiten.
Yaks stammen ursprünglich aus dem zentralasiatischen Hochgebirge. In ihrem Ursprungsgebiet bevölkern sie Hochebenen zwischen 4’000 und 6’000 Metern über Meer. "Das ist die Zukunft für die Schweiz", sagt Wismer: "Eine extensive Landwirtschaft mit Tieren, die bis hinauf zur Schneegrenze gehen, die keinen Stall brauchen. Und noch nie ist ein Yak an BSE erkrankt".
Erreichbar per Seilbahn und zu Fuss
Die Reise zu Wismers Bergbetrieb führt durch den Lötschberg nach Brig und ins Mattertal Richtung Zermatt. Nach Embd soll ich, mit Umsteigen in Kalpetran, hat mir der Bauer am Telefon erklärt. Als einziger Fahrgast verlasse ich in Kalpetran das mit Touristen vollgepferchte Bähnlein. Etwas hilflos suche ich nach einem Bus nach Embd, bis ich endlich oberhalb der Gleise die Luftseilbahn entdecke. Die Station ist nicht bedient, aber nach einem Anruf zum Seilbähnler in der Bergstation kann ich einsteigen. "Unerchant" steil geht’s rauf, über Matten und schroffe Felsen. Oben in dem 355-Seelen-Dorf Embd frage ich den Seilbähnler nach "dem mit den Yaks". Ein fussbreiter, stotziger Pfad führt hoch übers Mattertal zu Wismer hinauf. Hier muss man die Hühner beschlagen, sagt der Volksmund. Eine halbe Stunde später bin ich auf der Rotfluh, auf 1’600 Metern über Meer, Bergzone IV.
Nepalesische Entwicklungshilfe für die Schweiz
26 Yaks, einige Hühner und ein tibetischer Hirtenhund bilden die Rotfluh-Crew auf dem 19-Hektaren-Biobetrieb. Der 33jährige Daniel Wismer lebt normalerweise allein hier, von Staats- und Kantonsgeldern für die Landschaftspflege und von der Zucht. Zurzeit allerdings hat er zwei Feriengäste, und seit einigen Wochen ist der Yakpa da. "Ein echter nepalesischer Yakhirte ist das", erklärt Wismer stolz. "Gesponsort" wird der Lehrmeister, der zur Vertiefung der Yak-Haltung beitragen soll, vom Reiseveranstalter Tibet Culture & Trekking Tour.
Das Unternehmen attestiert dem Schweizer Bergbauern "kulturelles Verständnis" und "überdurchschnittlichen Einsatz". "Wir sind überzeugt, dass das Projekt Yaks in den Alpen volle Unterstützung verdient", steht in der Kooperationsvereinbarung in Wismers rotem Ordner.
Einige Yaks gewöhnt er nun mit dem Yakpa als Trek-kingtiere ein. Vorsichtig nähert er sich einem jungen Bullen und schlingt das Seil um seine Hörner. "Bei Yakbullen ist Respekt die Lebensversicherung." Während Wismer das Tier festhält, befestigt der Yakpa den Sattel auf dem breiten Rücken und belohnt das Tier mit Brot und Salz. Schon im nächsten Jahr will Wismer mit Touristen unter-wegs sein, über den 2700 Meter hohen Pass ins Turtmanntal zum Beispiel. Der Agrotourismus soll zum wichtigsten Standbein werden auf der Rotfluh. "Es geht jeden Tag besser mit den Sätteln", meint der Bergbauer und streicht dem jungen Bullen fast verliebt über den Rücken.
Fernziel: Schuldenfrei und subventionsunabhängig
lj. Daniel Wismer finanziert die Rotfluh zurzeit vor allem mit Staats- und Kantonssubventionen. Für die Landschaftspflege erhält er rund 40’000 Franken im Jahr. Bei verschiedenen Institutionen ist er mit knapp 200’000 Franken verschuldet. Zurzeit laufen jährliche Rückzahlungen in der Höhe von 15’000 Franken. Wismers erklärtes Ziel ist es, den Berghof bis in zehn Jahren in die Subventionsunabhängigkeit zu führen und schuldenfrei zu machen. Der Weg dazu: Tiere züchten und verkaufen, Spezialitäten herstellen und als wichtigstes Standbein der Agrotourismus.
Der Preis einer erwachsenen Yakkuh entspricht heute etwa dem eines Schottischen Hochlandrindes. 4’000 bis 6’000 Franken gedenkt Wismer zu lösen, viel mehr als für einheimische Tiere bezahlt wird. Jungtiere will er nicht unter 2’500 Franken verkaufen. Um Abnehmer braucht sich der Bergbauer keine Sorgen zu machen. Für das laufende Jahr hat er bereits die ganze Produktion weg, obwohl noch nicht einmal alle Tiere geboren sind. Später möchte Wismer Käse produzieren und Fleisch, bereits ist ein tibetisches Restaurant in Zürich an der gesamten zukünftigen Yakfleischproduktion interessiert und möchte den Bauern langfristig vertraglich binden. Auch gibt es bereits Reservationen für Felle, Wolle und Hörner. In Arbeit oder zumindest geplant sind im weiteren Postkarten mit Yaksujet, ein tibetischer Lehrpfad und ein Heilkräuterlehrweg, Tibet-Weekends und vieles mehr. Ferner sollen Tiere als Landschaftspfleger vermietet werden: Eine Hektare sauber abweiden für 100 bis 200 Franken.
Eingebung während einer Tibet-Reise
1986 geschah es, als Dani Wismer auf einer Reise in Tibet plötzlich erkannte, dass seine Zukunft mit den Yaks war. "Wie eine Eingebung war’s, ich spürte, dass die Tiere mein Auftrag sind," philosophiert der gebürtige Zuger. Er kehrte in die Schweiz zurück und begann die lange Suche nach einem geeigneten Flecken Land. Auf der Rotfluh wurde er fündig. Seit zehn Jahren war der grösste Teil der Alp nicht mehr bewirtschaftet worden. Wer wollte schon freiwillig hier hinauf, letztes Grün vor dem Gebirge, es war kein Auskommen. Noch einmal vergingen Jahre, bis Dani Wismer die ersten Yaks bei sich begrüssen durfte. Er hat hart um eine Einfuhrbewilligung kämpfen müssen. "In der einen Ecke der Arena war ich, in der andern Bundesämter und Einfuhrbehörden", meint Wismer heute dazu.
Gewöhnung für Dorfbewohner und Tiere
1995 war es endlich soweit, die ersten beiden Yaks kamen aus deutschen Zoos per Lastwagen ins Mattertal. "Am Anfang waren die Dorfbewohner schon sehr skeptisch", erinnert sich der Bauer. Die Tiere gäben keine Milch und kein Fleisch und seien für nichts nütze, habe es geheissen. Mittlerweile haben sich die Leute aber an den eigenwilligen Nachbarn mit den exotischen Tieren gewöhnt. Im November 95 wurden zwei weitere Tiere importiert, im Mai 96 deren sechs, die vorläufig letzten 14 Tiere kamen im vergangenen Dezember. Innert kurzer Zeit hätten sie sich an die neue Umgebung am Embderberg gewöhnt, "sogar das 21jährige Zirkusyak ist wieder stierig geworden", berichtet der Bergbauer stolz.
Weniger Arbeit als mit zwei Kühen
Der grösste Vorteil der Yaks ist ihre Anspruchslosigkeit, sie unterscheidet die Tiere von allen andern domestizierten Rindern. Yaks bleiben im Sommer und Winter im Freien. Vergandete Wiesen sind das beste Futter für sie. "Fünf grosse Yaks fressen etwa soviel wie eine Kuh", weiss Dani Wismer. Im Winter 95/96 brauchte er sie nur an 25 Tagen mit Heu zu füttern. Dabei spielte es keine Rolle, wenn das Heu auch mal verregnet wurde. "Meine 26 Yaks machen mir weniger Arbeit als die zwei Kühe, die ich früher hatte." Kühe rentierten schlecht hier oben. "Da braucht es Tiere, die am liebsten dauernd draussen stehen und dennoch die Weiden nicht zertrampeln, so dass der ganze Hang ins Tobel rutscht", lacht er - so laut, dass die Hühner um die Ecke flüchten.
Woher er denn die Kenntnisse habe für die Yak-Haltung, frage ich. "Ja gefühlsmässig halt, einiges habe ich auch vom letzten Leben noch hinübergerettet." Tibeter sei er gewesen, stellt er klar, wahrscheinlich umgekommen durch eine chinesische Kugel im Aufstand von 1959.
"In 20 Jahren mehr Yaks als Kühe"
Wir gehen in die Küche, der Bergbauer legt den roten Bundesordner mit der Korrespondenz auf den Tisch. "Daniel Wismer aus Embd, Wallis, setzt neue Akzente in der Berglandwirtschaft", diktiert er. Es sei sein Verdienst, dass Yaks heute in der ganzen Schweiz subventionsberechtigt sind, sagt er und zeigt mir das entsprechende Schreiben aus Bern. Viele profitieren allerdings noch nicht davon. "Yaks gibt’s noch einige wenige in Graubünden, im Tessin und bei Vevey", weiss der Bauer. Auch der Expeditionsarzt des Alpinisten Reinhold Messner soll in Zürich noch eines haben, aber sicher ist Wismer nicht.
Für die Schweizer Landwirtschaft sieht er schlechte Zeiten voraus. Einige Grossbauern im Mittelland werde es noch geben und daneben solche wie ihn. "Und wenn die EU kommt, wird die unabhängige Republik Rotfluh ausgerufen", sagt Wismer und droht mit dem Ordner. "Noch mehr Agroindustrie, noch mehr Verbote und noch mehr Formulare." 70 EU-Bauern würden gleichviel Milch produzieren wie 1’800 in der Schweiz, weiss Wismer. "Wenn das so weitergeht, sind die Yaks schwer am Kommen. Kein Milchsee, keine Butter- und Fleischberge, kein Stallsystem, kein Anbindesystem, keine Probleme mit Mist und Gülle." Wismer verschränkt die Arme hinter dem Kopf: "In zwanzig Jahren werden in den Schweizer Bergen mehr Yaks leben als Kühe, da bin ich überzeugt."
Nutztier für extreme Lagen
lj. Der Grossteil der weltweit 15 Millionen Yaks lebt in China und in der Mongolei, grosse Bestände gibt es auch in der ehemaligen Sowjetunion, in Nepal, Bhutan und in Indien. Seit 4’000 Jahren sichert der Yak den Bergnomaden die Lebensgrundlage. Das asiatische Hochland zwischen Mongolei und Tibet erstreckt sich in Höhen bis zu 6000 Meter. Mit täglichen Temperaturdifferenzen bis zu 50 Grad gehört die Landschaft zu den klimatisch extremsten Weltgegenden. Stundenlang in eisigen Gebirgsflüssen zu stehen, macht den Yaks nichts aus, schützt sie doch ihre bis zu 11 mm dicke Lederhaut - doppelt so dick wie jene des europäischen Hausrinds. Dank ihrer Gebirgstauglichkeit kann eine Fläche von 1,4 Millionen km2 genutzt werden, die sonst brachliegen würde.
Der Yak ist in der Regel kleiner als andere Rinder. Das Gewicht einer Kuh beträgt zwischen 200 und 300 Kilogramm, jenes eines Bullen zwischen 300 und 600 Kilogramm. Die Yakzucht gilt als die energiesparendste, ressourcenschonendste und ökonomischste Art, Fleisch zu produzieren; gegenüber Rindfleisch soll die Produktion zwei- bis fünfmal billiger sein. Yakfleisch enthält mehr Protein und weniger Fett als das Fleisch anderer Säugetiere. Die Milchleistung variiert je nach Haltung und Fütterung. In Höhenlagen liegt sie bei rund zwei Litern pro Tag. Allerdings liegt der Fett- (rund 7 Prozent) und Eiweissgehalt (rund 5,5 Prozent) deutlich höher als in der Kuhmilch. Yakhäute werden für die Lederherstellung verwendet. Ferner werden das mehrschichtige, dichte Haarkleid - der Yak verfügt als einzige Rinderart darüber - sowie Hörner und Kot genutzt. Getrocknete Yakfladen besitzen einen hohen Brennwert und entwickeln wenig Rauch. Aus dem Russ bereiten die Mönche Tinte und verwenden sie in ihren Klöstern. Das Robusttier wird aber nicht nur wegen seiner Produkte geschätzt, sondern auch als unter den extremen Verhältnissen unentbehrliches Reit- und Lasttier.