"Nach Abwägen der Vor- und Nachteile kommen die Abklärungen zum Schluss, dass ein Freihandelsabkommen im Agrarbereich zwischen der Schweiz und der EU für die schweizerische Volkswirtschaft insgesamt vorteilhaft wäre." Dies schreiben das Volkswirtschaftsdepartement (EVD) und das Aussendepartement (EDA) in einem Informationsdokument an Organisationen aus der Land- und Ernährungswirtschaft. Das Dokument gibt einen Überblick darüber, was freier Handel mit Landwirtschaftsprodukten der Schweiz bringen könnte – im Positiven wie im Negativen. Die 30 Organisationen konnten bis Ende Mai Stellung nehmen. EVD und EDA werden im Juni für den Bundesrat einen Bericht erstellen, und frühestens Ende Juni wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden.
Der Bundesrat ist sich uneinig, wie letzthin in der Presse zu lesen war: Justizminister Blocher warnte, mit einem EU-Agrarfreihandelsabkommen würden nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne und der Lebensstandard sinken, ein Argument, das man sich sonst eher von Gewerkschaftsbossen gewohnt ist. Innenminister Pascal Couchepin konterte, Blochers Manöver sei reiner Wahlkampf, Freihandel führe zu mehr Produktivität und zu neuen Marktchancen für innovative Schweizer Bauern.
Milch: Lieber bilateral weiterverhandeln
Während in der Landesregierung Schaubudenkämpfe ausgefochten werden, überwiegt in der Landwirtschaft die Skepsis. Beim Dachverband der Schweizer Milchproduzenten (SMP) etwa hält man die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge für die bessere Lösung. Mit den bisherigen Verträgen hat die Milchbranche bereits guten Marktzugang für Käse, Quark, Rahm, Milchmischgetränke, Jogurts sowie bei verarbeiteten landwirtschaftlichen Produkten, die Milch enthalten. "Dort, wo die Wertschöpfungspotenziale liegen, hat die Milch den Marktzugang in die EU bereits. Da brauchen wir jetzt nicht bei Butter und Konsummilch den Preiskampf aufzunehmen", sagt Stefan Hagenbuch, bei der SMP zuständig für Internationales und Marktfragen. Mit einem Freihandelsabkommen gäbe es für die Milchproduzenten nur noch wenig zu gewinnen, aber einiges zu verlieren – Marktanteile im Inland, aber auch Einkommen für die Milchbauern. Denn der Milchpreis würde auf EU-Niveau sinken, während ein grosser Teil der Produktionskosten unverändert hoch bliebe – Gebäudekosten, Tierärzte oder Versicherungen. Nach Hagenbuchs Berechnung würde die Kaufkraft der Konsumenten aufgrund der Senkung der Produzentenpreise um lediglich 0,8 Prozent ansteigen, unter anderem, weil Lohn- und andere Kosten in Verarbeitung und Handel wohl hoch bleiben würden.
Schweinehalter: Feuer und Flamme
Die Schweinehalter dagegen setzen voll auf die Karte EU-Freihandel. "Marktanteile verlieren werden wir wegen der WTO sowieso", sagt Felix Grob, Geschäftsführer der Produzentenorganisation Suisseporcs. Dass dies Angst mache, sei zwar verständlich, doch "solche Abwehrreflexe bringen uns nicht weiter." Wenn die WTO zu einem Abschluss komme, dann seien die Zollsenkungen so gross, dass der Fleischbranche gar nichts anderes übrig bleibe, als so wettbewerbsfähig wie möglich zu werden. "Sonst kaufen die Verarbeiter die Rohstoffe einfach im Ausland ein." Der Freihandel biete "ein riesiges Marktpotenzial für Spezialprodukte aus der Schweiz." Man müsse sich daran machen, diese Chance zu packen.
Dem stimmt Hans Reutegger, Geschäftsführer der Berner Grossmetzgerei Meinen AG, zu. Seine Firma ist als eine der wenigen Firmen bereits im Fleisch-Export tätig. "Wir brauchen Rohmaterial zu EU-Preisen, aber wir können doch unsere Bauern nicht sterben lassen". Deshalb brauche es nun bei den Rohstoffen Bewegung in Richtung EU-Preisniveau. Pro Kilogramm Schweinswürstchen habe er Rohmaterialkosten von 6.46 Franken, in der EU lägen die Kosten bei 2.94 Franken. Dazu kämen Verarbeitung-, Verpackungs- und Verkaufskosten plus Zollkosten, letztere betrügen bis zu 2.44 Franken. Insgesamt kostet ein Kilogramm Schweinswürstchen zwischen 10 und 12 Franken, je nach der exportierten Menge. Unter EU-Bedingungen wäre der Preis gut 5 Franken.
Für und wider Freihandel
wy. Die Folgen eines Agrarfreihandelsabkommens für die Landwirtschaft – das verschweigt die Verwaltung in ihrem Informationsdokument nicht – wären gravierend. Das Gesamteinkommen der Landwirtschaft würde laut vorläufigen Schätzungen von 3 Milliarden auf 1,5 Mrd. halbiert und wäre damit noch rund 0,3 Mrd. tiefer als mit dem erwarteten WTO-Ergebnis. Die Zahl der Bauernbetriebe würde ebenfalls etwa halbiert, von heute über 60’000 Betrieben auf 30’000.
Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass ein Freihandelsabkommen Zugang zum EU-Markt mit über 400 Millionen Konsumenten brächte. Die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors würde gesteigert, der Einkaufstourismus weniger attraktiv. Durch die steigende Kaufkraft hätten die Konsumenten unter anderem auch mehr Geld für teurere Lebensmittel zur Verfügung. Dass eine Liberalisierung positive Effekte habe, zeige sich auch im erfolgreichen Käsemarkt und am Beispiel von Österreich. Im Nachbarland hätten die Importe seit dem EU-Beitritt 1995 um 179 Prozent zugenommen, die Exporte um 273 Prozent.
Rinder- und Geflügelmäster: Kein Bedarf
Auf der bäuerlichen Seite des Fleischsektors stehen die Schweinehalter als Freihandels-Befürworter alleine da. Rindermäster und Geflügelhalter sind skeptischer. "Die Kosten bleiben für uns auf Schweizer Niveau", sagt Conrad Schär, Präsident des Rindermästerverbandes Swiss Beef. "Man müsste eine Zollunion mit der EU eingehen, um die Kosten wirksam senken zu können." Dazu kämen die höheren Schweizer Auflagen bei Tierschutz und Ökologie, die ebenfalls ins Geld gingen.
Und Peter Röthlisberger, Präsident des Geflügelproduzentenverbandes erklärt, rund die Hälfte des Geflügelfleisches werde importiert, da sehe man keine grossen Möglichkei-ten für Exporte. "Die Geflügelhalter sind vor allem an sinkenden Getreidepreisen und Futterkosten interessiert, mit oder ohne Freihandelsabkommen."
Die Getreidebauern sind gegenüber einem Freihandelasbkommen "selbstverständlich sehr skeptisch", wie Olivier Sonderegger vom Getreideproduzentenverband meint: Die Preise und Einkommen werden stark sinken, die Exportmöglichkeiten für Getreide oder Ölsaaten sind jedoch sehr beschränkt. Man werde deshalb Vor- und Nachteile für die Landwirtschaft als Ganzes abwägen müssen, heisst es beim Verband diplomatisch.
Ein klares Njet erklingt aus der Obstbranche. "Wir sind überzeugt, dass die Kosten- und Preisunterschiede zwischen unserem Hochpreisland und unseren Nachbarn zu gross wären und dass die Einkommens- und Marktanteilsverluste dramatisch wären", erklärte Pius Jans, der Präsident des Schweizerischen Obstverbandes, an der Delegiertenversammlung Mitte Mai.
Bauernverband: Mehr Grundlagen
Beim Schweizerischen Bauernverband (SBV) will man sich nicht festlegen, solange nicht bekannt ist, was von den WTO-Verhandlungen zu erwarten ist. "Je nach Ergebnis ist die Ausgangslage unterschiedlich", sagt SBV-Direktor Jacques Bourgeois. Angesichts des recht unterschiedlichen Preisniveaus auch innerhalb der EU wolle man sehr genau abgeklärt haben, welche Marktpotenziale vorhanden seien und auch, welche Kostensenkungsmassnahmen möglich seien. In seiner schriftlichen Stellungnahme bezeichnet der Bauernverband das Papier der Bundesverwaltung als "oberflächlich". Als Varianten zum Agrarfreihandel hätten zumindest die Weiterführung der bilateralen Verträge und ein sektorspezifisches Abkommen, zum Beispiel für Schweinefleisch, geprüft werden müssen.
Siehe auch: "EU-Freihandel: Unübersichtliche Debatte" im LID-Mediendienst Nr. 2761 vom 23. März 2006, "Flucht nach vorne mit Risiken" im LID-Mediendienst Nr. 2754 vom 2. Februar 2006 und "Neuer Impuls in Richtung EU" im LID-Mediendienst 2753 vom 26. Januar 2006