
Gerade mal zweieinhalb Monate dauerte das Sammeln der benötigten 100'000 Unterschriften. Am Schluss wurden knapp 150'000 eingereicht. Die Lancierung der Volksinitiative "Für Ernährungssicherheit" war für den Schweizer Bauernverband ein Triumph.
Der Bauernverband will die Verfassung um einen neuen Artikel 104a (Ernährungssicherheit) ergänzen. Der Bund soll die Versorgung der Bevölkerung aus vielfältiger und nachhaltiger Schweizer Produktion stärken. Gefordert wird zudem ein wirksamer Kulturland-Schutz, Masshalten beim administrativen Aufwand und eine angemessene Investitionssicherheit.
Offener Ausgang
Trotz rekordschneller Unterschriftensammlung: Im Parlament wird es die Initiative nicht so leicht haben. Die Urteile der einzelnen Partei reichen von "notwendig" bis "überflüssig" (siehe unten). Die Fraktionen der CVP, BDP und SVP unterstützen die Initiative. FDP und SP lehnen sie ab. Die Grünen enthalten sich vorerst und warten die Debatte ab, weil für sie noch vieles unklar ist.
Als Erstrat befasst sich am 9. März die grosse Kammer mit dem Volksbegehren. Die Wirtschaftskommission des Nationalrates empfiehlt - wie der Bundesrat - ein Nein. Der Entscheid fiel mit 12 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen jedoch knapp aus.
Prognosen zum Ausgang der Debatte sind schwierig, weil die Politiker naturgemäss kaum alle gemäss Parteilinie abstimmen werden. So haben sich beispielsweise nicht alle Mitglieder der landwirtschaftsnahen SVP in der Wirtschaftskommission für die Bauernverbandsinitiative ausgesprochen.
Für Bauernpräsident Markus Ritter ist der Ausgang denn auch völlig offen. "Es gibt eine lange und grundsätzliche Debatte mit sehr vielen Fragen." Die Gegner beklagen, dass der Initiativtext so offen formuliert sei, dass unklar sei, was der Bauernverband mit der Initiative beabsichtige. Laut Ritter hat die Initiative drei Stossrichtungen. Erstes soll die Richtung der Agrarpolitik ab 2022 vorgespurt werden, zweitens soll mit der Initiative Einfluss auf die zweite Etappe der Raumplanungsgesetz-Revision genommen und drittens das Gentech-Moratorium unbefristet verlängert werden. Der Bauernverband hat auf den Vorwurf, die Karten nicht offenzulegen, reagiert und im November 2015 eine Charta verabschiedet, worin er seine Absichten konkretisiert. Zum Grenzschutz etwa heisst es darin, dass man keinen Ausbau über das WTO-Niveau anstrebe. Zudem bekennt sich der Bauernverband zu den Ökoausgleichflächen.
Eine Übersicht der Meinungen zur Initiative für Ernährungssicherheit:
CVP, SVP und BDP begrüssen Initiative
Laut Markus Ritter hat sich die CVP-Fraktion grossmehrheitlich für die Initiative des Bauernverbandes ausgesprochen. Unterstützt wird sich auch von der SVP. Es brauche eine Korrektur der aktuellen Agrarpolitik, welche sich in den letzten Jahren immer stärker von der Produktion weg in Richtung Ökologie bewegt habe, teilt die SVP mit. Die BDP-Fraktion unterstützt ebenfalls die Ernährungssicherheits-Initiative. "Es ist der BDP ein Anliegen, dass die einheimische Produktion gefördert wird und Importe als Ergänzung zur Inlandproduktion zu verstehen sind", sagt BDP-Generalsekretärin Nina Zosse auf Anfrage.
SP, GLP und FDP halten Initiative für überflüssig
Die SP lehnt die Volksinitiative für Ernährungssicherheit ab. Die Initiative klinge zwar vernünftig, bringe aber nichts Neues. "Die Initianten haben bis heute, trotz mehrfachen Nachfragens, nie erklären können, was sie mit der Initiative eigentlich bezwecken", sagt SP-Sprecher Michael Sorg. Alle Forderungen der Initiative seien bereits in der Verfassung enthalten. Komme dazu, dass die Agrarpolitik erst kürzlich mit der AP 2014-17 umfassend reformiert worden sei. Diese Reformen müssten erst greifen und umgesetzt werden. Planungssicherheit sei wichtig: Viele Betriebe hätten investiert und sich auf die AP 2014-17 neu ausgerichtet. "Es wäre falsch, jetzt bereits wieder die ganze Reform in Frage zu stellen und die Landwirtschaft vor neue Unsicherheit zu stellen", erklärt Sorg.
Die FDP lehnt die Bauernverbands-Initiative ab. "Artikel 104 der Bundesverfassung stellt eine ausreichende Basis für eine kohärente, auf die Zukunft ausgerichtete Agrarpolitik dar", sagt FDP-Kommunikationschef Georg Därendinger.
Die Grünliberale Partei (GLP) lehnt die Initiative ebenfalls ab, weil sie unnötig sei und Unsicherheiten schaffe. Der aktuelle Verfassungsartikel sei eine gute Grundlage für die Agrarpolitik, teilt die GLP auf Anfrage mit. Die Forderungen der Initiative seien bereits in der Verfassung enthalten. Bei der Nahrungsmittel-Produktion gebe es keine Ziellücken. Für die GLP besteht deshalb keine Notwendigkeit, die Verfassung zu ändern. Eine solche würde nur Planungsunsicherheit schaffen.
Grüne enthalten sich vorerst
Die Grünen enthalten sich und wollen erst bei der Schlussabstimmung Position beziehen. Von der Debatte im Parlament erwarten sie Klärung offener Punkte. "Der Text der Initiative tönt für sich allein genommen gut. Die Grünen möchten aber wissen, welche Folge die Initiative konkret auf Gesetzesebene hat und ob die Initiative zu Verschlechterungen für die Umwelt führt", teilen die Grünen auf Anfrage mit. Auch erwarten sie von den Bauernverbänden eine aktive Unterstützung der verschiedenen Kulturlandinitiativen der Grünen und eine klare Stellungnahme, ob der Bauernverband einer künftigen Ökologisierung der Landwirtschaft positiv gegenübersteht.
Kleinbauern sagen Nein, Biobauern sind skeptisch
Die Landwirtschaft steht fast geschlossen hinter der Bauernverbands-Initiative. Abgelehnt wird sie einzig von der Kleinbauern-Vereinigung. Diese hält wie der Bundesrat die Initiative für überflüssig, weil die Anliegen bereits heute auf Verfassungs- und Gesetzesebene verankert seien. Neutral gibt sich vorerst Bio Suisse. Die Delegiertenversammlung beschloss vor zwei Jahren, die Initiative weder zu unterstützen noch abzulehnen. Die Knospe-Organisation würde eine öffentliche Debatte über die Agrarpolitik am liebsten vermeiden. „Mit einer Verfassungsinitiative signalisiert der Bauernverband, dass die Agrarpolitik falsch läuft. Seine Gegner werden eine Nein-Kampagne führen. Diese Negativ-Diskussion schadet der Landwirtschaft. Bio Suisse will stattdessen eine positive gemeinsame Weiterentwicklung der Agrarpolitik“, erklärt Martin Bossard, Leiter Politik bei Bio Suisse. Zwar teile man die Anliegen der Initiative im Kern, der Wortlaut sei aber derart offen formuliert, dass nicht klar sei, was der Bauernverband beabsichtige. Bossard erhofft sich nun von der Debatte im Parlament Klarheit, in welche Richtung es gehen wird. Die Bio Suisse-Delegierten fassen voraussichtlich im November 2016 eine Parole, die Volksabstimmung findet wahrscheinlich im Frühling 2017 statt.
Nahrungsmittel-Hersteller lehnen Initiative ab
Die Landwirtschaft sei zwar ein wichtiger Partner, die Initiative sei jedoch überflüssig, weil ihre Anliegen bereits heute mit der geltenden Gesetzgebung umgesetzt werden könnten, schreibt die Foederation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial) in einem Newsletter. Befürchtet wird, dass die auf Produktion fokussierte Initiative eine neue Debatte um die grundsätzliche Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik nach sich zieht.
