Alois Christen ist nicht nur ehemaliger Bauunternehmer und Regierungsrat des Kanton Schwyz – er ist auch der vorübergehende Besitzer einer Kuh aus dem Berner Oberland und somit einer von etwa 150 Kunden, die bei Iris Wittwer-Wyler aus Ringgenberg das Kuhleasing in Anspruch nehmen. Im Mittelpunkt des Projektes steht der symbolische Besitz einer Alpkuh: Während die Kuh zwar weiterhin auf der Alp bleibt, wo sie von einem Bergbauer mit einer Unterkunft und Nahrung versorgt wird, bestätigen ein Zertifikat – und natürlich die eigenen Besuche auf der Alp – die Mietschaft des Tieres. Das Programm beinhaltet zudem Werkstunden, in denen die Kunden bei Arbeiten auf dem Hof dabei sein und die Produktionsschritte der landwirtschaftlichen Lebensmittelherstellung mitverfolgen dürfen. Christen selbst, der das Kuhleasing als Geschenk erhalten hat, erfreut sich vor allem an der Idee, weil sie die Eigeninitiative der Bauernschaft fördert: "Das Kuhleasing ist ein gutes Beispiel dafür, wie man bei Missständen auch selbst etwas zur Besserung der Situation beitragen kann. Die Bergbauern haben sich dadurch die Möglichkeit geschaffen, ihre Produkte zu angemessenen Preisen zu verkaufen und auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig haben Interessenten die Option, einen Einblick in eine Sphäre zu erlangen, von der sie im Alltag nur sehr wenig wahrnehmen."
Ein modernes Konzept mit Tradition
Seinen Anfang genommen hat das Kuhleasing bereits vor 40 Jahren, als die Eltern von Iris Wittwer-Wyler nach einer Möglichkeit suchten, den übrig gebliebenen Käse des Sommers an die Menschen zu bringen. Mit der Idee der "Kuh-Vermietung" gelang es der Familie Wyler, das Interesse von Restaurants, Hotels und Firmen auf sich zu ziehen und diesen so die Haltung "eigener" Kühe und den Kauf von "eigenem" Käse schmackhaft zu machen. Für die Aktion zur Verfügung gestellt wurden damals die Kühe des eigenen Hofes. Heute betreiben die Wylers zwar keine Viehhaltung mehr; als Verwalterin von Kuhleasing.ch kümmert sich Iris Wittwer-Wyler stattdessen darum, dass die Vermietung von Kühen, die auf den sogenannten Partneralpen verweilen, reibungslos verläuft.
Grosse Nachfrage und positives Feedback
Doch nicht nur der Wunsch nach finanzieller Anerkennung für die eigens hergestellten Käseprodukte der Landwirte steht heute hinter der Idee des Kuhleasings. "Es geht auch darum, die Nähe zwischen Städtern und Berglandwirten zu fördern. Den Menschen soll die Möglichkeit geboten werden, einen Einblick in diese Bereiche zu erhalten und sich einen Gesamteindruck zu verschaffen", meint Wittwer-Wyler. Vor allem das positive Feedback vieler ihrer Kunden sei ihr eine grosse Motivation zur Weiterführung des Kuhleasing-Geschäfts.
Was die Anzahl der Kunden betrifft, zeigt sich die junge Organisatorin zufrieden. Ausser der 2003 ins Leben gerufenen Webseite betreibt Iris Wittwer-Wyler keine Werbung für ihr Projekt. "Das Kuhleasing lebt nur von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Das Geschäft läuft aber trotz der wenigen Werbung gut." Die Mehrheit der Kunden, die das Kuhleasing in Anspruch nehmen, sind Privatpersonen. Sie kommen aus Städten wie Olten, Basel oder Bern und sind etwa zwischen 40 und 60 Jahre alt, so Wittwer-Wyler. Aber auch Gruppen aus Hotellerie und Industrie nutzen das Kuhleasing-Angebot, etwa für gemeinsame Aufenthalte auf der Alp.
Auf dem Weg zurück zur Natur
Nach den Motivationen ihrer Kunden gefragt, eine Kuh zu leasen, antwortet Iris Wittwer-Wyler: "Vielen geht es wahrscheinlich darum, mal etwas Aussergewöhnliches zu unternehmen. Dazu kommt, dass vielen Menschen die Verbundenheit mit der Natur heute wichtiger ist, als noch vor einigen Jahren. Dies könnte eine bedeutende Motivation zur Nutzung des Angebots sein." Auch das Beobachten von landwirtschaftlichen Produktionsprozessen spiele womöglich eine grosse Rolle. "In einer Zeit, in der vieles kommerzialisiert ist, beginnen sich die Menschen vermehrt für die eigentlichen Verarbeitungsprozesse hinter den verpackten Produkten zu interessieren", so Wittwer-Wyler. Diesem Interesse könne im Rahmen des Kuhleasings Folge geleistet werden, indem den Kunden die Möglichkeit geboten würde, Einblicke in die Herstellung landwirtschaftlicher Produkte – insbesondere des Alpkäses, der später dem "Mieter" gehört – zu gewinnen.
Alois Christen, der seit anfangs Sommer zusammen mit einigen Kollegen eine Kuh geleast hat, kann die Annahmen von Witter-Wyler bestätigen: "Die Besichtigung auf der Alp war wirklich ein Erlebnis wert. Ich habe mich im Berner Oberland vorher kaum ausgekannt. Das Kuhleasing hat mir die Gelegenheit geboten, neue Gegenden und neue Menschen kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen." Christen erweitert die Aussagen von Witter-Wyler allerdings um einen Aspekt: "Ich glaube, die Kontakte mit den Bauern tun nicht nur den Städtern gut, die dadurch sehen, woher ihre Produkte kommen. Sie tun auch den Bauern gut, deren Alltag auf der Alp sich durch die zahlreichen Besuche etwas abwechslungsreicher gestaltet."
Zukunftspläne
Auch dieses Jahr wurden wieder so viele Kühe geleast, dass alle Partneralpen zusammen vier Tonnen Käse vermarkten werden. Wittwer-Wyler hofft, dass die Nachfrage weiterhin so stabil bleibt. Oder gar steigt. Gerne würde sie das Projekt um einige weitere Partneralpen in der Schweiz erweitern. "Zurzeit befinden sich die meisten unserer Partneralpen im Berner Oberland. Ziel wäre es, auch Partnerschaften mit Höfen aus der Westschweiz und der italienischsprachigen Schweiz aufzubauen." Doch nebst der gewünschten Expansion innerhalb der Schweiz wartet Wittwer-Wyler mit anderen Zukunftsvisionen auf: "Eine Idee wäre es, Webcams zu installieren, so dass die jeweiligen Kunden die Möglichkeit haben, ihrer Kuh auf der Weide zuzusehen." Wichtig sei es, sich auch in Zukunft von der wachsenden Konkurrenz abzuheben, so Witter-Wyler.
Auch Christen sieht für das Kuhleasing gute Zukunftsaussichten: "Ich glaube durchaus, das sich das Projekt halten wird, denn der Inhalt des Angebotes und der Preis stimmen – und zwar für die Kunden wie auch für die Bauern". Nach Christen profitieren alle Beteiligten vom Kuhleasing: Sei es der Bauer, der Milch und Käse zu faireren Preisen verkaufen kann, seien es die Kunden, die ihren Horizont über den ihres Alltagslebens hinaus erweitern können – oder seien es die Kühe, die sich am Gewinn eines neuen Bewunderers erfreuen können.
Serie: Städter zurück zur Scholle
Die Konsumenten entfernen sich immer weiter von der Scholle, gekauft werden oft pfannenfertige Produkte im Supermarkt. Doch es gibt einen Gegentrend: Bauernfamilien bieten Städtern die Gelegenheit, auf den Hof zu kommen und bei der Produktion von Nahrung selber Hand anzulegen. Der LID stellt in der Sommerserie 2012 solche Brückenschläge vor.

