"Riechen Sie das? Diese angenehme Frische! Kein unangenehmer Baustellengeruch weit und breit", schwärmt die Bauherrin und Architektin Monika Toneatti. Zusammen mit ihrem Bruder Christian Staudenmann renoviert sie das inmitten des Naturparks Gantrisch gelegene grossväterliche Tätschhaus. Für die Rundumrenovierung des unter Heimatschutz stehenden Gebäudes war von Beginn weg klar, naturnahe und nachhaltige Baumaterialien zu verwenden. Und was beim Schaf funktioniere, könne auch im Hausbau klappen, waren sich die beiden Geschwister einig und entschlossen sich für Wolle als Isolationsmaterial.
Perfektes Raumklima
Heute, acht Monate nach Baubeginn, trägt das Haus einen 18 Zentimeter dicken Schafspelz. Die gesamte Aussenhülle besteht nun aus Wolle. 1'300 Schafe aus der Region liessen dafür 2,6 Tonnen Rohwolle, wovon sich nach der Verarbeitung 1,9 Tonnen (100 Kubikmeter) in den Wänden und unter dem Dach des Hauses befinden. Zwar noch mitten in der Bauphase, sei das Raumklima schon jetzt perfekt. Dafür sorgen die optimalen Eigenschaften der Wolle, die ohne synthetische Zusatzstoffe als natürliche Klimaanlage dient. Sie sei deshalb nicht nur ökologisch, sondern auch funktional, gesund und obendrein wirtschaftlich, sagt Otto Brechbühl von der Brechbühl Wollkarderei in Guggisberg BE und dem Verein Selbsthilfe-Schafwollverwertung. Der über 70-jährige ist noch immer aktiv im Wollgeschäft und ermöglichte den Kontakt mit der österreichischen Wollverarbeitungsfirma Woolin im Tirol.
Im Gegensatz zur Schweiz ist in Österreich das Dämmen mit Schafschurwolle weitgehend etabliert und spezialisierte Verarbeiter wie Woolin können bereits auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen. "In der Schweiz gibt es gerade mal einen einzigen Anbieter", so Brechbühl. Da dieser allerdings synthetische Materialen zur Wolle beimische, sei er nicht in Frage gekommen. Und so liegen derzeit auf der Baustelle noch einige Säcke voll mit von Woolin verarbeiteten Wollbahnen. Das Zuschneiden und Befestigen der Wolle gehe dann letztlich schnell und sei sehr angenehm, kommentiert Jürg Mäder von Holzbau Mäder & Partner in Flamatt FR. Er und sein Team geniessen die Arbeit mit der Wolle. Manchmal sogar etwas zu sehr: "In den Pausen wird gerne mal ein Nickerchen auf den weichen Wollrollen gemacht. Die Zeit geht da schnell einmal vergessen."
Wolle ist sauber und sicher
Verglichen mit herkömmlichen Dämmstoffen wie Glaswolle, Holzwolle oder Zellulose gehe die Arbeit wesentlich ringer, da kein Staub und scharfe Kanten entstünden, sagt Mäder. "Die Suva-Schutzmassnahmen wie das Tragen von Schutzmasken und Handschuhen fallen weg, was im Sommer für die Zimmerleute natürlich besonders angenehm ist."
Mäder & Partner sind führend in der Schafwollisolation und konnten seit ihrer Gründung vor fünf Jahren fünf Häuser mit Schafwolle bebauen. Dafür sei noch richtiges Handwerk gefragt, bekräftigt Mäder. Nur wenige Konkurrenten könnten da mithalten: "Viele Zimmereien wollten die Herausforderung gar nicht erst annehmen."
Trotz hervorragenden Eigenschaften gilt Wolle in der Branche als ein seltenes Nischenprodukt, obschon eigentlich genügend Wolle vorhanden ist und es bei der Anwendung zu keinerlei Verzögerungen in der Bauzeit kommt. Die rund 400'000 Schweizer Schafe liefern jährlich bis zu 800 Tonnen Wolle. Die Hälfte landet im Abfall.
Nachhaltiger geht’s kaum
Man müsse schon selbst auf die Idee mit der Wolle kommen, in der Ausbildung jedenfalls sei Dämmmaterial aus Wolle kein Thema, so Mäder. Zu 70 Prozent werden andere billigere Isolationsstoffe verwendet. Schafwolle ist 15 bis 20 Prozent teurer als gebräuchliche Isolationen. "Dieser Kostenfaktor ist klar der grösste Nachteil der Wolle", sind sich Mäder und Brechbühl einig. Laut Toneatti aber sei die Verwendung von Wolle für ein solch hochwertiges Minergiehaus durchaus lohnenswert: "Nachhaltiger geht’s kaum."
Brechbühl appelliert an die Architekten und Ingenieure, ihren Kunden das natürliche High-Tech Produkt näher zu bringen. Zwar ist Schafwolle teurer, doch dafür können bei den kostenintensiven Dampfsperren dank der automatischen Feuchtigkeitsregulierung der Wolle eingespart werden.
Als einziger Dämmstoff kann Wolle bis zu 33 Prozent ihres Gewichts an Feuchtigkeit aufnehmen und bei trockener Raumluft wieder abgeben. Zudem bleibt dank hohem Lufteinschluss in den Wollfasern die Isolierfähigkeit auch in feuchtem Zustand erhalten. Andere Materialien würden bei einer defekten Dampfsperre ihre Dämmeigenschaften verlieren. Wolle ist diesbezüglich einfacher zu handhaben. Ausserdem ist 100-prozentige Schafschurwolle mit einem Flammpunkt bei zirka 560 Grad nur schwer entzündlich. Sie ist mottensicher, wird von Mäusen aufgrund des hohen Eiweissgehalts gemieden, ist Allergiker freundlich und hält ewig.
Wolle schützt vor giftigem Formaldehyd
Formaldehyd ist ein wasserlösliches und stechend riechendes Gas. Durch die hohe Reaktionsfähigkeit ist Formaldehyd ein beliebter Grundstoff von Kunstharzen, welche für die Herstellung von Spanplatten und anderen verleimten Holzwerkstoffen verwendet werden. Durch die Abbauprozesse in den Klebstoffen von synthetischen Isolationsmaterialien wird Formaldehyd freigesetzt und gelangt in die Atemluft. Wird das Gas eingeatmet, können Reizungen an der Augenschleimhaut und den oberen Atemwege auftreten. Eine hohe Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit begünstigen die Freisetzung von Formaldehyd. Wolle besteht aus Proteinen, wovon mit 97 Prozent das Protein Keratin den Hauptbestanteil bildet. An den reaktiven Aminosäuren dieses Proteins wird Formaldehyd chemisch irreversibel gebunden und damit unschädlich gemacht. Bereits mehrfach konnten Gebäude mit zu hoher Schadstoffbelastung erfolgreich mit Schafwolle nachisoliert werden.


