Grüne Hügel, blaues Wasser, strahlende Sonne: Wädenswil am Zürichsee liegt mitten in einer Postkartenlandschaft. Das Städtchen wirkt behäbig. Doch: Auf dem Grüental-Areal hoch über der Ortschaft thront die Hochschule Wädenswil (HSW) mit ihren Gewächshäusern, Gemüseflächen und Baumschulen. Von Schläfrigkeit ist hier nichts zu spüren. Stattdessen wird emsig an der Zukunft der Schweizer Landwirtschaft geforscht. "Unsere Agrarwirtschaft hat sich viel zu lange nur um Schweine, Kühe und Geflügel gekümmert", meint HSW-Forscher Andreas Graber. Dabei habe man interessante Nischenprodukte aus den Augen verloren: "97 Prozent des hiesigen Fischkonsums wird importiert. Dabei könnten Schweizer Landwirte nebst Vieh und Geflügel durchaus auch Fisch produzieren", erklärt Graber, die Nachfrage sei da (siehe Kasten). Aus produktionstechnischer Sicht ist der "Egli vom Bauernhof" alles andere als eine Schnapsidee. "Wir haben an der HSW ein modernes, auf die hiesige Landwirtschaft zugeschnittenes Verfahren entwickelt", sagt Graber. Nun wolle man zeigen, dass sich Fischzucht im Nebenerwerb auch betriebswirtschaftlich rechne.
Ressource Wasser nutzen
Das Interesse am HSW-Konzept ist gross. Regelmässig führt Graber Besucher aus der ganzen Schweiz ins Gewächshaus C189. Hier ist eine Versuchsanlage mit zwei wuchtigen Fischbecken installiert. In den letzen Jahren hat man erfolgreich mit Tilapien, einem tropischen Speisefisch, experimentiert. Jetzt ist der Egli an der Reihe, für den Experten eine steigende Nachfrage prognostizieren. "Eglifilet ist wie Rösti oder Fondue ein Schweizer Nationalgericht", meint etwa Rudolf Moser von Percitech, dem weltweit einzigen Egli-Zuchtbetrieb am Neuenburgersee. Die Fangerträge aus den heimischen Seen stagnieren, und Moser zufolge ist Importegli oft minderwertig oder stammt aus ökologisch fragwürdiger und wenig tiergerechter Produktion. "Wir gehen deshalb von einer langfristig gesicherten Nachfrage nach erstklassigem Schweizer Zuchtegli aus", so Moser. Ein Ausbau der Fischzucht macht auch volkswirtschaftlich Sinn: "Fischzucht schafft dezentrale Arbeitsplätze. Dies ist eine Chance für Randregionen – sofern konkurrenzfähig produziert werden kann", erklärt Urs Gantner vom Bundesamt für Landwirtschaft. Zudem sei Wasser in der Schweiz gut verfügbar.
Fischfang geht zurück
eko. Über 6,000 Tonnen Egli werden in der Schweiz jedes Jahr gegessen. Zusammen mit der Forelle ist Egli der beliebteste einheimische Speisefisch. Allerdings stammt nur noch jeder zehnte Egli aus einem einheimischen See. 90 Prozent des konsumierten Eglis werden importiert – vor allem aus Osteuropa. Denn seit den Siebzigerjahren sind die Fangerträge in der Schweiz stark rückläufig, nicht nur beim Egli, sondern auch bei den Felchen und Weissfischen. Die Fangmenge sank von 3,600 Tonnen im Jahr 1975 auf magere 1,800 Tonnen im Jahr 2003. Grund dafür ist unter anderem der verbesserte Gewässerschutz: "Seit der Überdüngung unserer Gewässer gesetzliche Riegel geschoben wurden, produzieren die Seen weniger Biomasse und damit – via Nahrungskette – auch weniger Fischfutter", erläutert Erich Staub vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Deshalb wachsen die Fische langsamer.
Tomaten aus Fischwasser
Allerdings muss mit der Ressource Wasser ökologisch verantwortungsvoll umgegangen werden. Die HSW konzipierte deshalb ein Fischzuchtverfahren mit geschlossenem Wasserkreislauf: Auf der einen Seite des so genannten Aquaponic-Systems stehen die Fischbecken mit Frischwasser und Futter. Am anderen Ende stehen mit Blähton gefüllte Filter-Kisten. Die Fisch-Abwässer werden mit einem Rohrsystem kontinuierlich über den Blähton geleitet. Beim Durchfluss reinigt sich das Wasser wie in einer Kläranlage. Es kann anschliessend erneut in die Fischbecken gepumpt werden; bloss die Verdunstungsmenge muss durch Neuzufuhr von Frischwasser ersetzt werden. Der Wasserverbrauch reduziert sich dadurch auf ein Minimum. Zudem gelangen die in den Abwässern vorhandenen Nährstoffe – 60 Prozent des Fischfutters – nicht in die Flüsse und Seen, sondern werden landwirtschaftlich nutzbar: "Wenn man die Anlage in ein Gewächshaus stellt, können in den Blähton-Kisten Gemüse, Blumen und Kräuter in Hydrokultur gezüchtet werden", erklärt Andreas Graber. Dies ermöglicht weitere Nischenprodukte und Kooperationen. So kann etwa ein Aquaponic-Landwirt, der die Hydrokultur nicht in eigener Regie betreiben will, mit einem professionellen Gemüse- und Kräuterproduzenten zusam-menspannen. In Wädenswil werden dafür zur Zeit wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet. Ein Augenschein zeigt: Im Fischwasser gedeiht alles – von Seerosen über Bananen und Papayas bis zu Tomaten, Blumen und Salbei.
Arbeitsteilung
ek. Die sinkenden Fangerträge bei den Schweizer Fischen werden durch die Produktion von grossen ausländischen Fischzuchtunternehmen kompensiert. Nur für den Nationalfisch Egli gibt es keinen internationalen Markt. Obwohl hiesige Züchter deshalb keine ausländische Konkurrenz fürchten müssen, gibt es mit der Percitech SA am Neuenburgersee bisher bloss eine einzige Eglizucht. Wichtigste Hürde für den Markteintritt von weiteren Zuchten ist neben den hohen Anfangsinvestitionen die Schwierigkeit, grosse Verarbeitungsanlagen konstant auszulasten. Als Lösung drängt sich eine Arbeitsteilung zwischen Jungfischproduzenten, Bauern und Verarbeitern auf. Ähnlich wie bei der Schweinezucht könnten Jungfischzüchter den Landwirten Egli- und Forellen-Setzlinge liefern. Die Bauern kümmern sich dann im Nebenerwerb um die Ausmast und verkaufen den Grossverarbeitern anschliessend schlachtreife Lebend-Tiere. Franz Reichmuth von der Fischzucht Brüggli in Sattel SZ schätzt, dass ein Landwirt auf diese Weise mit einer jährlichen Produktion von fünf Tonnen Fisch einen Umsatz von 40,000 Franken und ein Nettoeinkommen von 10,000 Franken erwirtschaften könnte.
Wirtschaftlichkeit als Knacknuss
Kombinierte Aquaponic-Systeme könnten insbesondere in touristischen Bergregionen interessante Zusatzeinnahmen bringen. Ein entsprechendes Pilotprojekt mit Forellen, Erdbeeren, Enzian und Kochkräutern läuft gegenwärtig auf dem Schamserberg in Graubünden. Die Aquaponic-Produkte sollen frisch ab Alp im Hotel Piz Vizan in Wergenstein vermarktet werden. Dank solchen integrierten lokalen Netzwerken bleibt die gesamte Wertschöpfung vor Ort. "Dies gibt uns die Gelegenheit, die Bereiche Landwirtschaft, Tourismus und Ökotechnologie für eine nachhaltige Regionalentwicklung zu nutzen", meint Stefan Forster von der Schamser Stiftung für integrale Regionalentwicklung "Center da Capricorns". Das Bündner Projekt soll den Nachweis erbringen, dass sich Aquaponic-Systeme wirtschaftlich betreiben lassen.
Während man bei den Forellen in Wergenstein auf gutem Weg ist, bereitet der Egli in Wädenswil noch Kopfzerbrechen. Knackpunkt sind die hohen Preise für Jungfische: Ein Egli-Satzfisch kostet 40 Rappen. Geschlachtet werden die Tiere bei 100 Gramm. Für ein Kilo Egli zahlt der Handel den Mästern acht Franken. Kalkuliert man pro Kilo Lebendfisch zwei Franken für Futter- und Infrastrukturkosten, bleiben magere zwei Franken je Kilo. Dies reicht knapp, um den Arbeitsaufwand zu vergüten. Aber einen attraktiven Gewinn kann der Bauer so nicht erzielen. Dennoch gibt sich Andreas Graber optimistisch: "Es braucht ein neues Produktbild." Der HSW-Experte hofft, dass die Konsumenten in Zukunft grössere Eglifilets akzeptieren. Dann könnten die Tiere statt mit 100 Gramm erst mit einem halben Kilo geschlachtet werden. Graber: "Falls die Landwirte pro Kilo bloss noch zwei statt zehn Jungfische kaufen müssen, sieht die Rechnung ganz anders aus." Genaue Zahlen will die HSW im Herbst präsentieren.
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