Marcel Bosshard ist noch immer entrüstet. Er kann noch immer nicht fassen, was die Mehrheit der Schweizer Gemüseproduzenten beschlossen hat. Etwas mehr als zwei Wochen sind seit jener Versammlung vergangen, bei der sich eine Mehrheit der Delegierten für eine Verschärfung der Suisse Garantie-Regeln aussprach. Was schliesslich zum Eklat führte: Knapp 30 Genfer Gemüseproduzenten standen mitten in der Versammlung auf, drohten mit dem Austritt aus dem Verband und verliessen den Saal.
Die Frage, welche die Emotionen derart hochgehen liess: Wann darf Gemüse als schweizerisch ausgelobt werden? Nur wenn es in der Schweiz produziert wird oder auch, wenn es aus dem grenznahen Ausland kommt? Mit dem Suisse Garantie-Logo darf heute auch Gemüse beworben werden, das innerhalb einer 10-km-Zone ab Grenze angebaut wurde. Das soll nach dem Willen einer Mehrheit der Gemüseproduzenten künftig nicht mehr möglich sein. Ob sie mit dieser harten Linie Gehör finden bei der Agro-Marketing Suisse, der Inhaberin des Suisse Garantie-Labels, ist allerdings noch ungewiss (siehe Textbox).
Gravierende Folgen
Marcel Bosshard ist einer der Gemüseproduzenten, dem der Verlust des Suisse Garantie-Labels droht. Der 35-Jährige wohnt in Riehen BS, hat einen Schweizer Pass, sein Betrieb liegt aber in der deutschen Gemeinde Weil am Rhein - einen Steinwurf vom Schweizer Zoll entfernt. Bosshard beliefert die Migros, Coop sowie den regionalen Handel mit rund 20 verschiedenen Gemüsesorten, die er und seine Angestellten auf 70 Hektaren anbauen.
10-Kilometer-Grenzzone
mw. Schweizer Bauern, die im Ausland Flächen bewirtschaften, dürfen die dort angebauten Kulturen zollfrei einführen, wenn das Land nicht weiter als 10 km von der Grenze entfernt ist. Möglich machen dies bilaterale Abkommen mit den Nachbarländern. Grund für die Grenzzonen-Regelung: Viele Bauernbetriebe in Grenznähe bewirtschaften seit Generationen landwirtschaftliche Nutzflächen im Ausland. Für solche Flächen entrichtet der Bund Direktzahlungen, wenn sie seit Mai 1984 ununterbrochen von Schweizer Bauern bewirtschaftet werden.
Dürfte er sein Gemüse nicht mehr unter dem Suisse Garantie-Label verkaufen, hätte das schwerwiegende Folgen. "Der Wegfall wäre existenzbedrohend", sagt Bosshard unumwunden. Coop könnte er wohl nicht mehr beliefern. Denn Coop setzt - anders als die Migros - fest auf Suisse Garantie.
Konkurrenz ausschalten
Für den Entscheid seiner Berufskollegen hat Bosshard kein Verständnis. Dass diese an der Delegiertenversammlung mit der Glaubwürdigkeit der Marke Suisse Garantie argumentierten, hält er für fadenscheinig. Bosshard hat in den letzten Monaten viele Gespräche mit anderen Gemüseproduzenten geführt. "Kein einziger Produzent hat das Thema Markenschutz erwähnt. Immer nur wurde kritisiert, dass die Flächen im Grenzgebiet zunehmen und dass man dem einen Riegel schieben müsse", erklärt Bosshard. Er glaubt, dass es seinen Berufskollegen vielmehr darum geht, unliebsame Konkurrenz auszuschalten. In den letzten Jahren seien in der Schweiz die Gewächshausflächen stark ausgedehnt worden. Preisdruck und Absatzprobleme im Sommer seien die Folge, so Bosshard. Dass sich der Markt stabilisiere, wenn die Grenzzonen wegfallen, glaubt Bosshard aber nicht. Zu klein seien diese Flächen (siehe Textbox). Für Berner oder Zürcher Gemüseproduzenten sei er ohnehin kein Konkurrent, betont Bosshard, denn sein Gemüse werde fast zu 100 Prozent in der Nordwestschweiz vermarktet.
Für nicht stichhaltig hält Bosshard auch das Argument, wonach Konsumenten getäuscht werden, wenn Gemüse aus dem grenznahen Ausland mit dem Schweizerkreuz beworben wird. "Wir haben deswegen noch nie, wirklich noch gar nie eine negative Rückmeldung gehabt." Auch nicht, als sein Betrieb im Migros-Magazin explizit als Grenzbetrieb einer breiten Bevölkerung vorgestellt worden sei.
Nur wenig Gemüse aus Grenzzonen
mw. Wie viele Gemüseproduzenten Flächen im grenznahen Ausland bewirtschaften, kann der Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) nicht sagen. Die Anbaufläche in den Grenzzonen schätzt er auf rund 300 Hektaren. Zum Vergleich: In der Schweiz wird auf einer Fläche von rund 10'000 Hektaren Freilandgemüse angebaut.
Viel Büroarbeit
Dank tieferen Produktionskosten im Ausland billig produzieren und in der Schweiz teuer verkaufen: Bosshard kennt diese Vorurteile. "Wir haben sicherlich Vorteile, aber nicht in dem Ausmass, wie in den Schweizer Köpfen drin ist." Er hat letzthin die Düngerpreise in der Schweiz und in Deutschland verglichen. Die Unterscheide seien minimal gewesen. Das gelte auch für die Löhne, erklärt Schwester Christine Bosshard, die für die Buchhaltung zuständig ist. Zwar sei der Stundenlohn in Deutschland tiefer als in der Schweiz. Die Lohnnebenkosten seien dafür höher, zudem hätten die Arbeitnehmer in Deutschland Anrecht auf mehr Ferientage und müssten pro Woche weniger lange arbeiten als in der Schweiz.
Ein Grenzbetrieb zu sein, bedeutet vor allem eines: einen Mehraufwand an Administration. Bosshard muss den Zollbehörden sämtliche Flächen melden, die er bewirtschaftet. Er muss Pachtverträge offenlegen, angeben, welche Kulturen er anbaut und welche Erträge er erwartet. Bei jeder Lieferung, die über die Grenze führt, muss er deklarieren, wie viel Gemüse er im Lastwagen hat. "Stichprobenweise wird kontrolliert, ob die geladene Menge mit der deklarierten übereinstimmt", so Bosshard.
Das Aufbereiten des Gemüses für den Detailhandel muss von Gesetzes wegen in der Schweiz erfolgen. Bosshard betreibt deshalb im 8 km entfernten Pratteln (BL) eine Niederlassung, wo er das Gemüse abpackt, etikettiert, wäscht und wägt. Das macht viele Transportfahrten notwendig und verursacht zusätzliche Kosten. "Unsere Leute sind pro Tag rund 1,5 bis 2 Stunden im Auto unterwegs", erklärt Bosshard.
Aus der Schweiz verbannt
Dass man ihrem Gemüse quasi den "Schweizer Pass" wegnehmen will, ist auch für Franz Bosshard unverständlich. Der Vater von Marcel führt historische Gründe ins Feld. Bis 1895 war ihr Gemüsebetrieb in Kleinhüningen auf dem Gebiet der Stadt Basel angesiedelt. Als dort ein neues Hafenbecken gebaut wurde, musste der Gemüsebetrieb weichen. Die damaligen Besitzer, die Familie Dahler, hielt nach neuen Anbauflächen Ausschau und wurde gleich ennet der Grenze, in Weil am Rhein, fündig. Das dort angebaute Gemüse sei seit jeher in der Stadt Basel verkauft worden, so Bosshard. Der heute 70-Jährige konnte 1977 den Betrieb von der Familie Dahler pachten, weil diese keinen Nachfolger hatte. 2005 kauften die Bosshards schliesslich den Gemüsebetrieb. Seit 2011 wird er von Marcel Bosshard geführt.
Dass sein Gemüsebetrieb nach dem Willen einer Mehrheit der Schweizer Gemüseproduzenten ausgebürgert werden soll, kommentiert Marcel Bosshard mit den Worten: "Die Spielregeln mitten im Spiel zu ändern, ist nicht fair"
Swissness: Umgang mit Grenzzonen noch unklar
mw. Sind Lebensmittel, welche Schweizer Bauern im grenznahen Ausland produzieren, schweizerisch? Ja sagt der Bundesrat in seinem Swissness-Verordnungsentwurf. Im Ausland produzierte Lebensmittel sind dann schweizerisch, wenn sie aus den Zollanschlussgebieten (Liechtenstein, Büsingen, Campione d'Italia) oder den Grenzgebieten stammen. Letztere will der Bundesrat auf Flächen begrenzen, die seit Mai 1984 ununterbrochen von Schweizer Bauern bewirtschaftet werden (ca. 5'000 ha). Der Schweizer Bauernverband verlangt hingegen eine grosszügigere Handhabung der Grenzzonen. Diese sollen auch diejenigen Gebiete umfassen, die nach 1984 dazukamen, was einer Fläche von insgesamt rund 8'200 Hektaren entspricht. Den Umgang mit den Grenzzonen beschäftigt derzeit auch die Agro-Marketing Suisse (AMS), der das Herkunftszeichen "Suisse Garantie" gehört. Die Mehrheit der Schweizer Gemüseproduzenten will, dass künftig nur noch Gemüse mit dem "Suisse Garantie"-Logo ausgelobt werden darf, das aus der Schweiz und Liechtenstein stammt. Gemüse aus den Grenzzonen soll nicht länger als schweizerisch durchgehen. Die AMS will aber mit einem Entscheid noch abwarten, bis der Bundesrat die Swissness-Verordnung in Kraft setzt. Als privatrechtliches Label kann die AMS zwar eigenständig definieren, was schweizerisch ist und was nicht. Man gedenke aber, sich an die staatlichen Swissness-Bestimmungen anzulehnen, erklärt AMS-Präsident Urs Schneider auf Anfrage.