2004 war für die Bauern kein schlechtes Jahr. "Dank eines ausgeglichenen Witterungsverlaufs konnten gute Ernten eingefahren werden", sagte Hansjörg Walter, Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV), bei der Präsentation des Situationsberichtes 2004 vom 4. Januar in Kestenholz SO. Im Fleischmarkt konnten wieder bessere Preise erzielt werden und die Bauern verdienten mit dem Verkauf ihrer Produkte insgesamt mehr als in den Vorjahren.
Langfristig aber läuft die Schweizer Landwirtschaft in gewaltige Probleme hinein: Sie ist "ökonomisch nicht nachhaltig", wie im Situationsbericht 2004 steht. Gemeint ist damit, dass die Landwirtschaft heute auf einer wirtschaftlichen Grundlage steht, die mittel- und langfristig nicht mehr funktioniert. Die Nachhaltigkeit ist dann gefährdet, wenn Ökologie, Ökonomie und Soziales nicht mehr im Gleichgewicht sind. Die Landwirtschaft wurde mit den letzten Agrarreformen zwar ökologischer, aus Sicht des Bauernverbandes aber auf Kosten des Ökonomischen.
Nur 13 Prozent der Betriebe halten einem Vergleich mit den Alternativen stand
"Ökonomisch nicht nachhaltig", das heisst zum Beispiel, dass nach streng betriebswirtschaftlichen Kriterien 87 Prozent der Bauern ihr Geld besser ausserhalb der Landwirtschaft investieren und etwas anderes arbeiten würden. Nur für 13 Prozent der Betriebe sind die Produktivität der Arbeit (Erlös pro Arbeitsstunde) und des Kapitals (Erlös pro investierter Franken) höher als bei einem alternativen Einsatz ausserhalb der Landwirtschaft. Der grösste Teil der Bauern könnte nach dieser Messlatte ausserhalb der Landwirtschaft mehr verdienen, steigt aber trotzdem nicht aus. Sie nehmen einen tieferen Lohn in Kauf, haben ausserhalb der Landwirtschaft gar keine Alternativen oder gewichten auch die Vorzüge des Bauerseins stark: Arbeiten in der freien Natur und mit der Familie, sein eigener Chef sein, und so weiter.
Leben von der Substanz
Bedenklich ist, wie schlecht auf vielen Betrieben eingesetztes Kapital verzinst wird. 70 Prozent aller Betriebe weisen eine negative Gesamtkapitalrentabilität auf. Dies bedeutet, dass mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit kein Geld verdient wird, um neue Investitionen zu bezahlen. Im Talgebiet sind es 60 Prozent, im Hügelgebiet 75 Prozent und im Berggebiet sogar 85 Prozent. Als "besorgniserregend" bezeichnet der Bauernverband nicht nur den Anteil der Betriebe mit negativer Gesamtkapitalrentabilität, sondern auch das Ausmass. Im Berggebiet hat ein Fünftel der Betriebe eine Gesamtkapitalrentabilität von minus zehn Prozent. Von der Substanz leben mag auf ein paar Jahre hinaus funktionieren, sobald aber Investitionen anstehen – neue Maschinen oder ein neuer Stall–, fehlt definitiv das Geld.
Die Produktivität von Arbeit und Kapital steigt tendenziell, je grösser die Betriebe sind: Auf grösseren Betrieben können mit gleichen Fixkosten höhere Erträge erzielt werden. Allerdings ist die Fläche nicht das einzige Kriterium. Gemäss Studien des Instituts für Agrarwirtschaft spielen auch andere Aspekte wie die Ausbildung des Betriebsleiters oder die Spezialisierung eine Rolle. Zwischen den Betrieben mit gleichen Betriebszweigen und gleichen Betriebsgrössen gibt es sehr grosse Unterschiede bezüglich Arbeits- und Kapitalproduktivität.
"Wir wissen sehr wohl, dass eine reine Wachstumsstrategie nicht das Alleinseligmachende ist", erklärte SBV-Direktor Jacques Bourgeois denn auch in Kestenholz. Dies sei in vielen Fällen gar nicht zu finanzieren, weil der Boden fehle oder zu teuer sei, oder weil andere Kosten, die das Wachstum nach sich zieht, zu hoch sind.
Aktiv an vier Fronten
wy. Angesichts der kommenden Herausforderungen – Liberalisierung des Welthandels, Liberalisierung des Käsemarktes mit der EU, Aufhebung der Milchkontingentierung, Agrarpolitik 2011 – will der Schweizerische Bauernverband (SBV) im Jahr 2005 für die Bauernfamilien die bestmöglichen Rahmenbedingungen erreichen. Vorgesehen sind vier Handlungsachsen:
1. Stärkung der Marktpräsenz: Mit dem neuen Herkunftszeichen Suisse Garantie sollen Schweizer Landwirtschaftsprodukte sichtbarer gemacht werden. Auch die Imagekampagne "Gut, gibt,s die Schweizer Bauern" wird entsprechend angepasst. Wichtig ist dem Bauernverband auch die Förderung der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben (AOC und IGP).
2. Kostensenkung und mehr unternehmerischer Handlungsspielraum: Der SBV hat bereits im Oktober 2004 einen umfangreichen Katalog mit Kosten senkenden Massnahmen vorgestellt und will hier weiterhin Druck auf vorgelagerte Stufen und auf die Politik ausüben.
3. Strukturentwicklung, Sozialmassnahmen und Stärkung der ländlichen Räume: Ein Kernanliegen des Bauernverbandes ist es, "dass der Strukturwandel – so weit das überhaupt möglich ist – geordnet und sozialverträglich abläuft". Er will sich auch dafür einsetzen, dass die ländlichen Räume gezielt gestärkt werden, indem die verschiedenen Politikbereiche koordiniert werden und indem Branchen übergreifend zusammengearbeitet wird.
4. Stärkung der Verankerung der Agrarpolitik: Den Konsumenten und Steuerzahlern, aber auch politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern soll vermehrt gezeigt werden, welche ökonomische, soziale und kulturelle Bedeutung die Schweizer Landwirtschaft hat.
Ausweg aus der Kostenfalle
Statt dessen betont der Bauernverband die Eigenverantwortung der Bauern, auf ihren Betrieben alle Möglichkeiten auszunützen, um Kosten zu sparen. "Es gibt ein grosses Potenzial in der überbetrieblicher Zusammenarbeit", erklärte Hansjörg Walter. Gemeint sind damit Maschinenringe, Betriebsgemeinschaften oder Betriebszweiggemeinschaften, etwa bei der Tierhaltung. Dabei gehe es nicht nur um Kostensenkung und Risikoverteilung, sondern auch um soziale Aspekte und um die Lebensqualität der Bauernfamilien. Walter beurteilte die Entwicklung in dieser Hinsicht als positiv: Von 1999 bis 2004 nahm die Zahl der Betriebsgemeinschaften von 551 auf 892 zu, die Zahl der Betriebszweiggemeinschaften von 166 auf 432.
Aber auch hier gilt: Für eine Tierhaltergemeinschaft braucht es meist erst Investitionen in einen neuen Stall, und dafür muss das Geld vorhanden sein. Ein Hindernis für Betriebs- oder Betriebszweiggemeinschaften ist aber auch die Psychologie: Man muss plötzlich mit anderen zusammen planen, entscheiden und einen der Vorzüge des Bauerseins aufgeben: "Sein eigener Chef sein".
"Die Landwirtschaft in der Kostenfalle – Situationsbericht 2004", beim SBV für 20 Franken erhältlich.
Siehe auch: "Das Problem: Hohe Produktionskosten, geringe Produktivität der Arbeit", im LID-Mediendienst NR. 2643 vom 20. November 2003 und "Wachsen allein löst das Einkommensproblem der Bauern nicht" im LID-Mediendienst Nr. 2552 vom 7. Februar 2002.