Daniel Reutimann fährt den 40-jährigen Traktor langsam und präzis durchs vorbereitete Pflanzfeld. Neben ihm sitzt sein Sohn Leo, hinter ihm seine Frau Magdalena Elmiger Reutimann auf der ehemaligen Tabakpflanzmaschine und ist voll auf den Taktgeber konzentriert. Immer wenn der Impuls ertönt, drückt sie die Pflanze vorsichtig und präzis in die vorbereitete Furche. Einmal nimmt sie die Pflanze mit der rechten, das nächste Mal mit der linken Hand aus dem halbleeren Plastikharass. Eine Verschnaufpause liegt nicht drin, regelmässig mahnt der Taktgeber zur längst automatisierten Handbewegung der flinken Biobäuerin. Die gegen 80 Aren, die Reutimann’s jährlich mit Artischocken anpflanzen, werden in mehreren Tranchen gestaffelt bepflanzt. "Mitte April kommen die ersten Setzlinge aus dem Gewächshaus in den Boden, bis Mitte Mai folgen noch drei weitere Pflanzungen und so schaffen wir es, die Erntesaison um mehrere Wochen zu verlängern", erklärt der Biobauer und studierte Agronom. Auch kommen verschiedene Sorten in Einsatz, um die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kundschaft abzudecken.
Seit 2002 bauen Daniel Reutimann und Magdalena Elmiger im zürcherischen Stammertal mit grossem Erfolg Artischocken an. Mit gegen 80 Aren Fläche und rund fünf Tonnen Artischocken gehören sie zu den grössten Produzenten in der Schweiz. Neben den Artischocken wird auf dem viehlosen, 15 Hektaren grossen Betrieb auf rund 13 Hektaren Ackerfläche Weizen, Dinkel, Körnermais, Ackerbohnen, Karotten, Randen, Speisekürbisse, Rotklee für Saatgut sowie verschiedene Gemüse zur Saatgutproduktion angebaut. Seit 1998 wird der Betrieb biologisch bewirtschaftet.
6'000 Pflanzen sind im Boden
Die Geschichte mit dem Artischockenanbau begann auf einer Ferienreise in der Bretagne, erzählt das Paar, während der nachmittäglichen Pause vor dem Bauernhaus. Ihr Ferienhaus stand mitten in einem Artischockenfeld, zum ersten Mal haben sie das edle Gemüse damals überhaupt gekostet. Mit ein paar Setzlingen, die Magdalena Elmiger auf der Fensterbank aus Samen gezogen hatte, begann das Abenteuer. Im ersten Feldversuch 2002 waren es noch rund 200 Pflanzen, heute sind es ungefähr 6'000 Pflanzen von fünf Sorten, wobei die Hauptsorte rund zwei Drittel der Anbaufläche ausmacht. Die Samen stammen aus Deutschland, Spanien sowie Italien und werden von Daniel Reutimann teilweise selber eingekauft. Ein Jungpflanzenproduzent zieht daraus im Gewächshaus die Setzlinge. "Wir mussten das nötige Wissen für den Artischockenanbau regelrecht zusammensuchen", erklären die beiden, die sich in den vergangenen zehn Jahren zu Artischockenspezialisten entwickelt haben und sowohl im Anbau, der Pflege, der Ernte wie auch im Verkauf und der Zubereitung Meister geworden sind. Das Paar hat es lieber bescheiden und spricht von Erfahrungen, die sie gesammelt hätten und von Fingerspitzengefühl, das es brauche, um die richtige Erntezeit zu erwischen. "Die Pflanze hat einen zentralen Stängel, auf dem die erste Artischocke wächst. Auf den seitlichen Stängeln folgen weitere Knospen. Wird die primäre Artischocke von einer der sekundären Artischocken überragt, kann sie geerntet werden", erklärt Reutimann. Die Hauptsorte gebe pro Pflanze fünf bis acht Artischocken. Geerntet wird von Anfang August bis Mitte Oktober. Der Verkauf findet fast ausschliesslich an Wochenmärkten in Winterthur, Schaffhausen und Frauenfeld oder ab Hof statt. Zudem werden einzelne Detaillisten, Spezialgeschäfte und Restaurants in der Umgebung beliefert. Im vergangenen Jahr konnten ungefähr 3,5 Tonnen Artischocken geerntet werden.
Lieber nass als heiss und trocken
Bei der Reifung seien die delikaten Artischocken stark wetterabhängig. So mutet es komisch an, dass diese mediterranen Pflanzen nicht unbedingt Hitze und Trockenheit lieben. Ein kühl-nasser Juli sei für eine erfolgreiche Ernte ideal, sagt Reutimann und verweist auf die Hitzesommer 2003 und 2006, die für ihn als Produzenten sehr schwierig waren.
Die Pflanzen werden im Herbst untergepflügt und im Frühling neu gepflanzt. Im Mittelmeerraum sei das nicht so, dort überwintern die Artischocken und hätten deshalb gegenüber den schweizerischen Artischocken einen Vegetationsvorsprung. Und wie sieht es mit Schädlingen aus? Daniel Reutimann erklärt, dass er als Biobetrieb keine giftigen Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen könne und deshalb auf Marienkäfer, welche die Blattläuse bekämpfen, setze. Gewöhnlich kommen die Marienkäfer von selbst rechtzeitig, um grosse Schäden am Erntegut zu vermeiden. Um der Bohrfliege Herr zu werden, locke er diese mit gelben Klebeschildern an, wo sie dann auch kleben bleibe.
Antikes Gemüse
rb. Bereits in der Antike war die Artischocke ein begehrtes Gemüse. Später galten die raren und teuren Distelknospen als besondere Delikatesse. Vor allem ums Mittelmeer werden auch heute noch Artischocken kultiviert und variantenreich zubereitet. Neben dem kulinarischen Genuss wirkt die Artischocke appetitanregend, blutreinigend, entgiftend und entwässernd. Ihre Bitterstoffe regen den Gallenfluss an und tun der Leber gut. Der Gehalt an Mineralien und Vitaminen ist gross, die Kalorienzahl sehr gering. Zudem wird ihr eine aphrodisische Wirkung nachgesagt. In der Schweiz werden 42 Tonnen Artischocken geerntet, importiert werden 1625 Tonnen.
Blühende Artischocken sind gefragt
Artischocken sind veredelte Distelblüten. Die grünen, noch unreifen Blütenknospen werden als Gemüse geerntet. "Eine weitere Spezialität ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden" erklärt Magdalena Elmiger und meint die blühenden Artischocken. "Wenn die Knospen der Artischocken kurz vor der Blüte stehen werden sie geschnitten und können fast wie frische Weggen an den Märkten verkauft werden", schildert sie das wachsende Interesse ihrer Kundinnen und Kunden. Damit sich die violette Blütenpracht voll entfalten könne, brauche die Blüte kein zusätzliches Wasser, das gespeicherte Wasser im Blütenstängel reiche aus, dass sich die Schönheit voll zur Geltung komme. Die kleinen, seitlichen Artischocken heissen Carciofini. Sie seien sehr beliebt, weil sie nicht nur sehr zart sind, sondern auch fast vollständig gegessen werden können, erklärt die Bäuerin.

