Mitte September hat im Wallis – der wichtigsten Weinbauregion der Schweiz – die Traubenlese begonnen. So früh wurden letztmals 1945 die ersten Trauben geerntet. Dank des sonnigen und warmen Wetters ist auch in den übrigen Regionen eine frühe Lese angesagt: Sieben bis zehn Tage beträgt der Vegetationsvorsprung. Auch für die Qualität sind die Aussichten vielversprechend. Bei Provins Wallis rechnet man mit einem "aussergewöhnlichen" Jahrgang. Dennoch kommt in der Weinbranche keine Euphorie auf. Weil auf den 1. Januar 2001 das Weisswein- und das Rotweinkontingent zusammengelegt wird (Details siehe Kasten), herrscht in der Branche Unruhe.
Junge Schweizer bevorzugen ausländische Weine
Wie die Importe geregelt sind, ist wichtig, weil der einheimische Wein weniger als 40 Prozent des Gesamtkonsums deckt, mit grossen Unterschieden bei den Sorten. Beim Weisswein wird 72 Prozent Schweizer Wein getrunken, beim Rotwein 25 Prozent. Eine Studie des Instituts für Marktforschung und Meinungsumfragen M.I.S. Trend in Lausanne kommt unter anderem zum Ergebnis, dass vor allem die unter 45-jährigen Weinkonsumenten ausländische den einheimischen Tropfen vorziehen.
Negative Auswirkungen der Neuregelung werden vor allem beim Weisswein erwartet. Niemand weiss, ob nicht ausländische Chardonnay und Sauvignons den Schweizer Markt überschwemmen werden. Beim Rotwein hingegen wurde das Importkontingent bisher nie ganz ausgeschöpft.
Erschwert wird der Übergang zur neuen Importregelung, weil 1999 ein mengenmässig überdurchschnittlich gutes Weinjahr war. Letztes Jahr wurde zwar auch mehr Wein getrunken, aber eben nicht genug. Die Lager sind dementsprechend noch voll, vor allem in der Ostschweiz. Eine grosse heurige Ernte ist also höchst nachteilig, aber zu erwarten. Das Bundesamt für Landwirtschaft schätzt die Ernte auf insgesamt 129,6 Millionen Liter. Zum Vergleich: 1999 wurden 130,6 Mio. Liter geerntet, in den Jahren 1991 bis 1995 im Durchschnitt 123 Mio. Liter.
Beim Import spielt die Farbe keine Rolle mehr
mo. In Zukunft können pro Jahr insgesamt 170 Millionen Liter Wein zu einem tiefen Zollansatz eingeführt werden. Zugeteilt wird diese Kontingentsmenge nach dem Windhundverfahren: Zum tiefen Zollsatz kann jeder beliebig viel einführen, bis das ganze Kontingent ausgeschöpft ist. Das Rotweinkontingent, 151 Mio. Liter im letzten Jahr, wurde schon bisher so verteilt. Die Menge wurde aber nie ganz ausgeschöpft. Drei bis fünf Mio. Liter hätten jedes Jahr noch zum tiefen Zollsatz eingeführt werden können. Dagegen wurde das Weissweinkontingent, 19 Mio. Liter im letzten Jahr, versteigert. Der Versuch mit dem Windhundverfahren führte 1996 zu einem Desaster, weil schon nach wenigen Tagen die gesamte Kontigentsmenge ausgeschöpft war. Der Preis für ein Liter Kontingent ist aber von 80 Rappen im Jahr 1997 auf 30 Rappen im letzten Jahr gesunken.
Allgemein rechnet man damit, dass das Windhundverfahren bei der Zusammenlegung der Kontingente keine Probleme bringt. Dieses Verfahren ist nur problematisch, wenn das Kontingent zu klein ist, und das dürfte nicht der Fall sein.
Nur in der Waadt ist die Arbeit der Winzer gut bezahlt
In der Ostschweiz haben die Einkellerer denn auch für die Produzenten einschneidende Massnahmen getroffen. Die VOLG Weinkellereien haben auf dieses Jahr ein neues Traubenbezahlungssystem eingeführt, das einer fixen Abgeltung der Traubenproduzenten pro Hektar entspricht. Je nach Reblage wird genau festgelegt, wieviel Trauben pro Hektare zu welchem Preis gekauft werden.
Andere Einkellerer übernehmen nur noch die Hälfte der bisherigen Menge zum Richtpreis. Der Rest wird nur zu einem sehr tiefen Preis übernommen oder der daraus produzierte Wein den Rebbauern zurückgeben, wobei diese nicht nur nichts für die Trauben erhalten, sondern auch noch die Kosten für die Vinifikation bezahlen müssen. Fazit: Wer seine Trauben nicht selber keltert, sondern einem Einkellerer verkauft, wird für seine Arbeit schlecht entschädigt. "In der Waadt sind die Preise für die Traubenproduzenten noch kostendeckend, in anderen Kantonen schon lange nicht mehr", sagt Pierre-Yves Felley, Direktor des Schweizerischen Weinbauernverbandes und des Branchenverbandes Schweizer Wein BSW.
Spielregeln im Weinmarkt
mo. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Rebbaus sind im Rebbaubeschluss geregelt. Um die Qualität zu fördern ist zum Beispiel festgelegt, dass die Trauben aufgrund des natürlichen Zuckergehalts und der Ertragsbegrenzung in drei Kategorien klassiert werden. Ertragsbegrenzung heisst, dass die Menge Weinmost, die pro Fläche geerntet werden darf, beschränkt ist. Für die weissen Gewächse ist im Rebbaubeschluss die Limite von 1,12 Liter pro Quadratmeter festgelegt, für rote Gewächse von 0,96 Liter pro Quadratmeter (Bundeslimiten). Für die Winzer heisst das, dass sie gesunde Trauben abschneiden und zu Boden werfen müssen. Ferner werden Neupflanzungen nur an geeigneten Standorten (Rebbaukataster) bewilligt.
Die Kantone Wallis, Waadt, Genf, Neuenburg, Bern, Freiburg und Schaffhausen haben darüber hinaus die kontrollierte Ursprungsbezeichnung AOC für ihre Weine eingeführt. Die jeweiligen AOC-Reglemente begrenzen die entsprechende Menge stärker.
Mengenbegrenzung sichert das Einkommen nicht
Für die Produzenten ist dies besonders bitter, weil sie in den letzten Jahren die Qualität gesteigert und dafür die Erträge reduziert haben. Im 5-Jahres-Mittel 1981/1985 produzierten die Schweizer Rebbauern noch 134,7 Mio. Liter Weinmost pro Jahr. Die Ertragsbegrenzungen (siehe Kasten) förderten zwar die Weinqualität, konnten aber nicht für die ganze Produktionskette kostendeckende Preise sichern.
Genf zum Beispiel hat als erster Kanton ein AOC-Reglement mit strikter Mengenbegrenzung aufgestellt. Trotz dieser Anstrengung haben die Genfer Winzer Mühe, ausreichende Preise zu erhalten: "Bei Preisen von 1.80 Franken für das Kilo Gamay und 2.20 Franken für das Kilo Chasselas reicht auch die Ausnützung der Bundeslimiten nicht aus, um die Produktionskosten zu decken", wurde an einer BSW-Tagung Anfang Mai festgestellt.
Die Probleme der Weinbranche können also nicht allein in der Produktion gelöst werden. Es müssen neue Märkte erschlossen werden, vor allem im Ausland. Der Branchenverband Schweizer Wein, er besteht seit diesem Jahr, hat denn auch zusammen mit den Exporteuren eine Marketingstrategie erarbeitet. Diese muss nun umgesetzt werden. Exportiert wurde bis jetzt weniger als ein Prozent der inländischen Produktion, 1,5 Mio. Liter im Weinjahr 1997/98.
Chasselas statt Chardonnay
Damit mehr exportiert werden kann, muss aber die ganze Branche zusammenarbeiten und gezielt Weine produzieren, welche im Ausland zu einem guten Preis verkauft werden können. Dabei spielt die Sortenwahl eine grosse Rolle. "Lassen wir den Chardonnay in Australien und den Riesling im Elsass, trinken und pflegen wir unseren Chasselas. Das können wir am besten", lautet zum Beispiel die Devise der Waadtländer Weinproduzentenorganisation Société Vinicole de Perroy. Auch im Kanton Wallis setzt man auf einheimische Sorten und will ihren Anbau verdoppeln. Denn für den Export haben sich die Walliser Produzenten ehrgeizige Ziele gesteckt: 4 Mio. Liter Wein – 10 Prozent der gesamten Produktion – wollen sie bis zum Jahr 2010 exportieren.
Die neusten Zahlen sind stimmen hoffnungsvoll. Im ersten Halbjahr 2000 wurden nach Angaben der Schweizer Weinzeitung 35,000 Liter Weisswein mehr ausgeführt als im Vorjahr. Dies entspricht einer Steigerung um 19 Prozent. An Rotwein konnten im gleichen Zeitraum 13,243 Liter mehr abgesetzt werden (+ 11,7%).
Klassifizierung statt Menge begrenzen
Dennoch bleibt der Druck auf den Produzenten, die Kosten zu senken und die Mengen zu begrenzen. Das bisherige System der Mengenbegrenzung im Rebberg ist aber relativ starr. Im Kanton Waadt wurde auf dieses Jahr erstmals die so genannte Klassierungsbegrenzung eingeführt. Damit darf zwar eine Menge bis zu den Bundeslimiten eingekellert werden. Die Menge zwischen Bundeslimiten und tieferen Kantonslimiten, Plafond limite de classement PLC genannt, darf aber erst verkauft werden, wenn die Menge, die den Kantonslimiten entspricht, verkauft ist. Damit soll das Weinangebot der Nachfrage angepasst und den Zerfall der Weinpreise verhindert werden. Gleichzeitig soll der Markt stabilisiert sowie das Einkommen der Winzer und Einkellerer gesichert werden. Im Gegensatz zur strikten Mengenbegrenzung im Rebberg können witterungsbedingte Ertragsschwankungen teilweise ausgeglichen werden. Weinbauerndirektor Felley betrachtet dieses System als am geeignetsten für den Kanton Waadt, den zweitgrössten Weinbaukanton mit sehr verschiedenen Weinbauregionen.
Kosten senken oder Rebberge roden
Mengenbegrenzung und Export allein genügen aber voraussichtlich nicht. "Die Winzer müssen noch mehr machen, um die Produktionskosten zu senken", meint Pierre-Yves Felley. Dabei geht es vor allem darum, die Arbeitsstunden im Rebberg zu senken. Die Personalkosten machen die Hälfte der gesamten Produktionskosten aus. Die Arbeitsstunden kann man aber nur reduzieren, wenn man vorher investiert und Rebberge terrassiert oder Parzellen mit weniger Rebstöcken pro Hektar neu pflanzt. Dass die Verkaufserlöse der letzten Jahre die Produktionskosten nicht gedeckt haben, fördert die Investitionslust aber nicht gerade. Zumal Neupflanzungen kostspielig sind und in den ersten drei Jahren keinen Ertrag bringen. Und falls weiterhin im Mittel mehr Trauben wachsen als in Form von Wein verkauft werden können, bleibt nur noch die Radikallösung: Rebberge roden.
Weinwirtschaft in Zahlen
LID. Die Schweizer Rebfläche, insgesamt rund 15,000 Hektaren, entspricht 0,2 Prozent der weltweiten Rebfläche. An der weltweiten Weinproduktion hat die Schweiz aber einen Anteil von 0,5 Prozent. Der grösste Weinproduzent ist die EU: Sie vereint rund die Hälfte der weltweiten Rebfläche und rund zwei Drittel der gesamten Weinproduktion auf sich.
Von den 15,042 Hektaren Reben sind 7,901 ha mit roten und 7‘141 ha mit weissen Rebsorten bepflanzt. Pinot Noir/Blauburgunder, Gamay und Merlot sind die Haup-sorten bei den roten Trauben. Bei den weissen Trauben sind Chasselas/Gutedel, Müller-Thurgau (früher RieslingxSylvaner) und Sylvaner die Spitzenreiter. Das Wallis ist mit 5,255 ha der grösste Weinbaukanton. Ihm folgen die Kantone Waadt (3,879 ha), Genf (1,355 ha), und Tessin (961 ha). In der deutschsprachigen Schweiz besitzt der Kanton Zürich mit 645 ha die grösste Rebfläche, vor den Kantonen Schaffhausen (500 ha), Aargau (395 ha) und Graubünden (384 ha).
Kontakt: Branchenverband Schweizer Wein, Chutzenstrasse 47, Postfach, 3000 Bern 17, Tel: 031 370 27 27, Fax: 031 370 27 26, E-Mail: fsv@bluewin.ch
Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Pierre Schauenberg, Sektion Spezialkulturen und Weinwirtschaft, Tel: 031 324 84 21. Beim BLW ist ferner der Bericht "Das Weinjahr 1999/2000" erhältlich, Tel: 031 322 25 26.