Ein halbes Jahr bevor die staatliche Milchkontingentierung wegfällt, herrscht Hochspannung im Milchmarkt. Es wird zu viel Milch produziert, nach den Milchpreiserhöhungen im Sommer kommen jetzt happige Preissenkungen (siehe Kasten "Der Milchpreis sinkt wieder").
Auch wenn diese Preissenkungen für die Bauern happig sind – viel wichtiger ist, welche Spielregeln im Milchmarkt ab Mai 2009 gelten. Dann wird die staatliche Kontingentierung aufgehoben, Menge und Preis werden ganz dem Markt überlassen – sofern sich nicht Milchbauern und Verarbeiter gemeinsam auf gewisse privatwirtschaftliche Regeln einigen.
Die Menge im Griff haben
Hinter den Kulissen gibt es deshalb ein Gerangel um Marktanteile und um Einfluss im künftigen Milchmarkt. Während die Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) mit mässigem Erfolg versucht, die Milchbauern solidarisch zusammenzuhalten und für gemeinsame Massnahmen zu gewinnen, verfolgen die Milchverarbeiter seit einiger Zeit das Prinzip "Teile und herrsche", indem sie Direktlieferanten gegenüber den grossen regionalen Milchhandelsorganisationen bevorzugen.Die grosse Frage ab 2009 wird sein: Wie kann die Milchmenge im Griff behalten werden? Darauf gibt es derzeit zwei Antworten: Mit zusätzlichen Abgaben auf überschüssiger Milch oder mit einer Online-Milchbörse, wo überflüssige Milch zum Spotmarktpreis gehandelt wird.
Alexander Briw, Einkäufer bei der Migros-Molkerei Elsa in Estavayer, propagiert letzteres. "Wir brauchen Stabilität im Milchmarkt mit Vertragsmengen. Und wir brauchen ein Ventil, damit auch mal billigere Milch beschafft werden kann, mit einer Online-Börse." Gemeinsam mit einer ganzen Reihe von Verarbeitern und Milchbauernorganisationen gründet Briw am Freitag, 7. November den "Verein Schweizer Milch" (siehe Kasten "Verein Schweizer Milch"). Man sei noch daran, die genauen Spielregeln zu definieren, sagt er. Die entscheidende Frage ist aber schon geklärt: Der grösste Milchverarbeiter Emmi wird dabei sein. Emmi-Sprecher Stephan Wehrle sagt: "Wir erachten das VSM-Modell als gute, tragfähige Lösung, da ein breiter Konsens besteht." Auch wenn nicht überall Einigkeit herrsche, etwa bei der Frage, ob auch künftig die Verwertung von überschüssigem Milchfett zu Butter gestützt werden soll.
Am wichtigsten sei, dass Börsenmilch auch wirklich geliefert und bezahlt werde und dass sie qualitativ einwandfrei sei, sagt Briw. "Und Verträge sollten wieder langfristige Gültigkeit haben." Nicht wie in den letzten Monaten, wo zuerst die Milchbauern eine Preiserhöhung durchgeboxt hätten und jetzt Emmi den Preis wieder senke. Die Online-Börse ist in erster Linie für VSM-Mitglieder gedacht, soll aber auch für andere offen sein. Man werde mit der Industriemilch beginnen, später aber auch die Käsereimilch integrieren, sagt Briw.
Christian Burren, Präsident der Berner Emmi-Milchlieferantenorganisation Bemo, hält das Börsenmodell für eine gute Lösung. Das Ziel sei, 90 bis 95 Prozent der Milch vertraglich zu sichern. Bei der vertragslosen Milch solle nicht von vornherein eine Stützung dazu führen, dass viel Butter und Pulver produziert werde, so wie es das SMP-Modell zur Folge habe. "Die Verarbeiter sollen sich Mühe geben und einen Anreiz haben, auch wertschöpfungsstarke Produkte herzustellen." Im Gegenzug sind die Verarbeiter, die beim VSM Mitglied sind, verpflichtet, vertragslose Milch nur über die Börse zu beschaffen.
Der Milchpreis sinkt wieder
lid. Emmi bezahlt ab 1. November 2008 3,5 Rappen weniger pro Kilogramm Milch. Der Grund dafür sind die Absatzprobleme im Export. Die Produzentenorganisation der Zentralschweizer Milchproduzenten (PO ZMP) erhält von Emmi 2,5 Rappen weniger, senkt ihren Milchlieferanten den Kilogrammpreis aber um 4,5 Rappen. Emmi und ZMP sprechen von einem "Rückbehalt", der den Bauern zurückbezahlt werde, sollten sich die Märkte wieder erholen. Die Nordostmilch, ebenfalls ein grosser Emmi-Lieferant, senkt den Milchpreis um bis zu sechs Rappen auf 75 Rappen pro Kilogramm.
Doch der wahre Aderlass für die Milchbauern kommt erst. Per Januar 2009 wollen die Milchverarbeiter eine weitere markante Preissenkung, bei Emmi sollen es gegen die zehn Rappen sein.
Die Schweizer Milchproduzenten stützen bereits seit Anfang Oktober die Überschussverwertung aus ihrem Milchstützungsfonds. An der SMP-Delegiertenversammlung vom 19. November soll der entsprechende Beitrag pro Kilogramm per 1. Januar 2009 von 0,5 Rappen auf 1 Rappen angehoben werden.
Skeptische SMP
Bei der SMP setzt man Fragezeichen hinter das VSM-Modell. "Fraglich ist, ob die Vertragsmengen der effektiven Nachfrage der Verarbeiter entsprechen würden", sagt SMP-Sprecher Christoph Grosjean-Sommer. Oder ob die Verarbeiter nicht doch möglichst viel Milch billig über die Börse beschaffen möchten. "Und wichtig wäre, dass bei der Verteilung der Vertragsmengen alle Milchverkaufsorganisationen gleich behandelt werden." Entscheidend sei schliesslich, ob das Modell tauglich sei, um den Milchmarkt zu segmentieren. "Die Bauern sollen an der höheren Wertschöpfung des ‚Normalmarktes‘ beteiligt werden, und die Verursacher von Überschussmilch sollen die Konsequenzen selbst tragen." Mit dem von der SMP entwickelten Modell wäre dies möglich: Eine erhöhte Abgabe auf überschüssige Milch würde zur Finanzierung der Marktabräumung dienen. So schlägt die SMP ihrer Delegiertenversammlung vom 19. November vor, dieses oder ein anderes geeignetes Modell zur Marktsegmentierung weiter zu verfolgen. Für ein neues System, dass die erwähnten Bedingungen erfülle, sei man offen, sagt Grosjean-Sommer.
Beim Börsenmodell hingegen sei die Frage, welche Strategie die Initianten verfolgen und ob diese im Sinne der Milchbauern sei, deren Organisationen bei der VSM mitmachen, meint Grosjean-Sommer. "Das Preisniveau ist für die Einkommen der Bauern entscheidend. Wer aber von einer Marge lebt, setzt alles daran, seine Einstandspreise möglichst tief zu halten."
Keine Angst
Bemo-Präsident Burren hat keine Angst, unter die Fuchtel der Verarbeiter zu geraten. "Im Vorstand wird die eine Hälfte der Vertreter Milchbauern sein, die andere Hälfte Verarbeiter. Alle Entscheide werden mit Zweidrittelsmehrheit gefällt werden." Das Börsenmodell sei die bessere und die realistischere Lösung als das Modell der SMP. Zu letzterem müsste auch der Bundesrat seinen Segen geben, indem er eine gestaffelte Abgabe für allgemeinverbindlich erklären würde, damit sie auch bei allen Milchbauern erhoben werden könnte.
Und für Burren ist klar: "Mit der allgemein verbindlichen Abgabe müssten die vier grossen Molkereien einverstanden sein. Die ELSA war aber von Anfang an dagegen." Mit dem Börsenmodell habe man die ELSA und andere Verarbeiter für eine gemeinsame Lösung gewinnen können.
Verein Schweizer Milch
wy. Beim "Verein Schweizer Milch" sind aktuell folgende Firmen involviert: Emmi, Elsa, Cremo, Hochdorf-Nutritec, Züger, Strähl und Vallait. Von Seiten der Milchbauern sind es die MIBA Basel, die Emmi-Direktlieferanten-Organisationen MIMO, Bemo und ZeNoOs, Thur Milch Ring AG, die Elsa-Direktlieferanten und die Cremo-Direktlieferanten.
Auf Kniehöhe
Auch wenn Burren von einer gemeinsamen Lösung spricht: Gemessen am ursprünglichen Anspruch der Milchbauern, künftig im Milchmarkt "auf Augenhöhe" mit den Verarbeitern zu verhandeln, ist das Resultat dürftig. Da alle wichtigen Verarbeiter in einem Boot sitzen, ist klar, dass sie das Machtvakuum, das der Bund ab Mai 2009 im Markt hinterlässt, ganz füllen, und der Kampf um die Vertragsmengen unter den regionalen Milchhändlern wird sich bis zum Frühling zuspitzen. In den letzten Monaten war noch von einem bäuerlichen Milchpool die Rede, um die zersplitterten Bauern gegenüber den Verarbeitern zu einen, mit 80 Prozent der Molkereimilchmenge. Nun ist das Gegenteil passiert: Es gibt einen Verarbeiterpool, der diese 80 Prozent managt.
Siehe auch: "Weniger Geld für Überschussmilch" im LID-Mediendienst Nr. 2892 vom 24. Oktober 2008, "Kurze Euphorie bei den Milchbauern" im Mediendienst Nr. 2889 vom 3. Oktober 2008, "Zu viel Milch drückt wieder auf den Preis" im Mediendienst Nr. 2887 vom 19. September 2008 und "Hitziger Kampf um die Milchbauern-Stimmen" im LID-Mediendienst Nr. 2864 vom 8. August 2008.
