Herr Frischknecht, wie sind Sie Biobauer geworden?
Ernst Frischknecht: Ich habe 1968 die Meisterprüfung gemacht und musste dafür lernen, wie die Mittel wirken, die wir einsetzen. Das hat mich skeptisch gemacht. Ausserdem war ich damals in der Programmkommission der SVP Zürich. Was die Zukunft der Landwirtschaft anging, hatte niemand Antworten. Auf meinen Vorschlag: Wie wärs denn mit Biolandbau? hat man gesagt: "Wenn Du verlumpen willst, dann kannst Du das machen."
Ich habe dann einen Kurs gemacht, bei Hans Müller auf dem Möschberg. Nicht wegen Pech im Stall, sondern aus volkswirtschaftlichen Überlegungen. Was Müller gelehrt hat, hat mich überzeugt und ich wollte das für mich selber prüfen. Meine Frau und ich haben einander versprochen, dass wir mindestens vier Jahre lang durchhalten. Wir mussten uns daran gewöhnen, der Boden auch. Wir haben das Auto verkauft und hatten auch etwas Angst wegen den Ertragseinbussen. Wir führten aber Buchhaltung seit 1965 und konnten so die Ertrags- und Erlöseinbussen nach vier Jahren beurteilen: Biolandbau war für uns eine realistische Alternative.
Wie reagierten die konventionellen Kollegen?
Frischknecht: Anfänglich schauten die Bauern interessiert zu, nachher fiel man aber völlig aus dem Rahmen. Bei uns hat es bis zu Zerwürfnissen in der Verwandtschaft geführt. Ich wurde aber gleichzeitig mit der Umstellung auf Bio Präsident der Landwirtschaftlichen Genossenschaft und hatte so immer Boden unter den Füssen. Die Bio-Leute kamen mir ein bisschen wie Träumer vor. Es waren liebe Kerle, aber keine Top-Manager.
Wieviele Biobauern gab es damals?
Frischknecht: Im Jahr 1972 kamen wir jeweils wie eine Sekte abends zusammen, um Erfahrungen auszutauschen (lacht). Im Kanton Zürich waren wir etwa fünf Biobauern.
Was heisst Biolandbau für Sie persönlich?
Frischknecht: Für mich heisst das "lebensgesetzlich" bauern. Die ganzen ökologischen Kreisläufe haben ein Grundgesetz: Der Starke überlebt. Wenn Krankheiten auftreten, muss man fragen, warum treten sie auf, was ist am Milieu nicht in Ordnung. Das Milieu ändert sich immer, die Technik gibt uns neue Möglichkeiten, stellt neue Stoffe zur Verfügung, deshalb muss man ihre Anwendung und die Auswirkungen immer neu hinterfragen: was ist gut und was nicht.
Sie waren 1982 Gründungsmitglied und Vizepräsident der Vereinigung zum Schutz kleinerer und mittlerer Bauern VKMB. 1987 sind Sie zurückgetreten...
Frischknecht: ...Ich wurde eigentlich hinausgeworfen, weil ich zu kritisch war mit den Kleinbauern. Ich sagte, ihr könnt nicht höhere Preise oder Vergünstigungen verlangen, nur weil ihr klein und "herzig" sein. Ihr müsst etwas anbieten, das ihr besser könnt als Grossbetriebe. Ich habe auch versucht, mit anderen zusammenzuarbeiten: Ich war beim Schweizerischen Bauernverband im Vorstand und habe versucht, auch die Not und die Argumente dieser Leute zu gewichten. So geriet ich dann zwischen Stuhl und Bank. Der VKMB unter Präsident René Hochuli verstand sich als Kampforganisation und wollte nicht in den SBV-Vorstand.
Die Bio Suisse als Ökodachverband ist einmalig auf der Welt. Gibt es innerhalb der Bio Suisse Spannungen?
Frischknecht: Wo es keine Spannungen gibt, da "tötelets", da wirds unheimlich. Bei der Weiterentwicklung und Interpretation des Gedankens Bio gibt es laufend Diskussionen, das ist gesund. Es sind aber alle froh, dass wir unter einem Dach sind.
Die Bio Suisse feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Was ist heute anders als vor 20 Jahren?
Frischknecht: Früher musste man mit Erlösseinbussen leben, so dass man auch vom Biolandbau überzeugt sein musste. Heute, mit einem 12 Rappen höheren Milchpreis, muss man nicht mehr davon überzeugt sein, sondern nur rechnen können, ob es sich lohnt. Die meisten aber kommen nach zwei bis drei Jahren in die Tiefe des Themas hinein.
Dann folgt die Gesinnung also dem Gewinndenken?
Frischknecht: Das war schon bei uns so. Die Pioniere haben nicht aus rein ideologischen Gründen umgestellt, da waren immer handfeste wirtschaftliche Aspekte dabei. Aber trotzdem: wenn jemand das Wesentliche mit der Zeit nicht erfasst, dann werden die Auflagen doch zu streng und zu mühsam, dann geht er wieder zurück zum konventionellen Anbau. Österreich etwa hat in kurzer Zeit etwa 1‘000 Biobauern verloren.
Unsere Philosophie ist zwar, möglichst viel Boden biologisch zu bewirtschaften und möglichst viele Konsumenten zu annehmbaren Preisen mit Bioprodukten zu bedienen. Dann muss man auch offen sein für Neues. Aber man darf nicht die Richtlinien immer einfacher machen, damit jeder Trottel mitmachen kann.
Die Bio Suisse definiert ja auch für verarbeitete Produkte, was noch erlaubt ist: Stichwort UHT-Milch.
Frischknecht: Nach dem Grundsatz der Lebensgesetzlichkeit muss man sagen: Alle Verarbeitungsprozesse, die dazu führen, dass die Proteine eine falsche Botschaft an die Zellen übermitteln, sind zu vermeiden. Und UHT ist ein solcher Prozess. Man kann auch sagen: Uns ist wichtiger, dass möglichst viel Boden biologisch bewirtschaftet wird, auch wenn das Produkt nicht nur wertlos, sondern schädlich ist. Milch fällt aber jeden Tag an. Es gibt keinen Grund, sie für zwei Monate haltbar zu machen. UHT ist vor allem für die Grossverteiler einfacher.
Hat sich das Verhältnis zu den Grossverteilern geändert?
Frischknecht: Der Druck auf den Preis ist beim Handel immer da. Eine starke Bauernorganisation, die sich nicht ausmanövrieren lässt, kann den Preisdruck abschwächen. Ich habe aber auch erlebt, dass gewaschene Kartoffeln für 15 Rappen der Landi geliefert wurden und im Laden 60 Rappen kosteten. Dann ist die bäuerliche Organisation nicht besser als der Grossverteiler.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um ein staatliches Biolabel ist die Monopolstellung der Bio Suisse kritisiert worden. Was sagen Sie dazu?
Frischknecht: Wenn die Bio Suisse von den Biobauern alleine getragen würde, dann könnte das verheerend sein, es könnte eine künstliche Hochpreispolitik bedeuten. Ich strebte aber immer neue gemeinsame Verantwortung für Nahrungsmittel und Lebensraumgestaltung an, zwischen Produzent, Konsument, Verarbeiter und Verteiler. Die Knospe ist nur etwas wert, so lange sie nachgefragt wird. Man muss sie im Einvernehmen mit Konsumenten und den Grossverteilern weiterentwickeln.
In der Schweiz flacht die Kurve der Bio-Neueinsteiger ab, während im Ausland der Bio erst richtig boomt. Wie sehen Sie die Exportchancen für Schweizer Bioprodukte?
Frischknecht: Wenn wir es fertigbringen, zum Beispiel die Exklusivität Schweizer Milch und Milchprodukte – aus unseren Kräutern – wieder aufleben zu lassen, dann haben wir einen Markt. Andererseits sollen sich andere Länder mit ihren staatlichen Biolabel in der Schweiz profilieren können. Wir werden zum Beispiel nie auf 100 Prozent Bioweizen kommen. Wir müssen die Knospe europaweit als regionales Schweizer Zeichen auffassen. Wir müssen nur clever genug sein und sagen: Wir zeichnen keine ausländischen Bioprodukte mehr mit der Knospe aus. Dazu kommt, dass die Garantie auf Bio langsam etabliert ist: Die EU macht ein Biolabel, die IFOAM auch. Vor zehn Jahren war die Knospe weltweit das einzige anerkannte Label.
Die Frage ist doch auch, wie viele Konsumenten überhaupt teurere Bioprodukte wollen.
Frischknecht: Die Kundschaft muss erworben werden. Ein Bekenntnis der Schweizer Konsumenten zu unseren Produkten erreichen wir nicht mit Protektionismus, sondern nur mit einer klaren Deklaration: Das hier ist Schweizer Ware und kann gleichzeitig mit der Produktion auch den Lebensraum gestalten.
Man kann gratis arbeiten und so billig wie möglich produzieren und den Markt trotzdem verlieren. Oder man kann dazu stehen: Wenn wir den Schweizer Boden, Wasser und Luft erhalten wollen, dann braucht es die Bioproduktion, und die kostet halt etwas mehr. Im Durchschnittsbetrieb mit normaler Arbeitszeit und sozial gerechten Bedingungen sollte das möglich sein. Das alles ist etwas schwierig in der Landwirtschaft, die derart lange vom Markt abgeschottet war. Der Bund hat die Produzenten geschützt. Viele meinen, die Bio Suisse müsse jetzt diesen Schutz bieten. Das geht nicht.
Was ist Ihre Zukunftsvision vom Schweizer Biolandbau?
Frischknecht: Die SP hat ja 100 Prozent Biolandbau gefordert. Das wäre ganz klar der Todesstoss. Meine Vision ist, dass Bio im Einklang mit den Konsumenten wächst. Etwa bei 30 Prozent wird aber die oberste Grenze sein.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Landwirtschaftspolitik?
Frischknecht: Grundsätzlich hat der Bauernverband zu wenig gemacht, um die Wertschöpfung bei der bäuerlichen Arbeitskraft zu erhalten. Er hat dafür gesorgt, dass viel produziert und exportiert werden kann, dass wenig und einfache Vorschriften gelten. Deshalb sind die übertriebenen Kontrollmechanismen entstanden. Wenn der Bauernstand gesagt hätte: Vernünftig Bauern heisst 7 Prozent Ökoausgleichsfläche, Freilaufstall, Verzicht auf Kupfer undsoweiter, und das kostet so viel, dann hätten wir Bauern das selber anbieten und den Rahmen setzen können. Das haben wir verpasst.
Die Bauern müssen vom proletarischen Verhalten, vom Recht auf Produktion, Recht auf Schutz oder auf Verweigerung von Vorschriften zum Geschäftlichen kommen. Meine Vision ist ein Generalunternehmen Landwirtschaft. Wie Nestlé: Diese Firma produziert mit ein paar tausend dezentralen Arbeitsplätzen Waren, aber koordiniert, marktgerecht und zu guten Preisen. In der Landwirtschaft ist es schwieriger, aber wir müssen den Schritt irgendwann machen. Die Bauern müssen sich selber führen und auf den Markt abgestimmt produzieren. Dann können wir auch eine höhere Wertschöpfung rechtfertigen.
Sie treten Ende August zurück. Warum gerade jetzt?
Frischknecht: Ich habe bei den letzten Wahlen angekündigt, dass ich nicht die ganze Amtsdauer ausschöpfe. Wenns keine Spannungen gibt, tötelets, wenn Spannungen zu viel Raum einnehmen gibt’s Rücktritte.
Wer wird Nachfolger?
Frischknecht: An der Generalversammlung vom 25. August wird gewählt. Regina Furrer ist in den Startlöchern.
Haben Sie persönliche Ziele für die Zukunft?
Frischknecht: Ich habe eine sehr intensive Zeit gehabt. Seit 1972 habe ich viel politisiert, viel für die Öffentlichkeit gemacht. Jetzt freue ich mich darauf, vernünftige Arbeitszeiten und ein Privatleben zu haben.
Ernst Frischknecht
LID. Ernst Frischknecht ist seit 1993 Präsident der Bio Suisse. Er ist auch Präsident der Stiftungen "Fintan Rheinau" und "Landwirtschaft und Behinderte", Mitglied im Stiftungsrat des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL in Frick AG und in der Begleitgruppe der Eidg. Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau FAL in Reckenholz ZH. sowie Gemeinderat. Der Betrieb von Ernst Frischknecht und seinem Sohn im zürcherischen Tann ist 24 Hektaren gross, davon sind 18 Hektaren gepachtet. Im Stall stehen 25 Kühe, 6 Pferde, 3 Muttersauen und ein paar Hühner. Angebaut werden verschiedene Getreide und Kartoffeln. Frischknechts betreiben Direktvermarktung von Milch, Fleisch, Eiern und weiteren Produkten im Hofladen.