Das Hotel Möschberg, eines der alten Zentren des biologischen Landbaus oberhalb vom emmentalischen Grosshöchstetten, ist ein idyllischer Ort und bei schönem Wetter ein idealer Aussichtspunkt auf die Berner Alpen. Umso grösser deshalb der Kontrast, wenn im Innern des Hotels über Agrarpolitik diskutiert wird, und das recht unzimperlich: Am 3. Möschberg-Gespräch vom 4. und 5. Dezember debattierten Bio-Bauern aus der ganzen Schweiz mit Vertretern der Verbände und mit einem der Autoren des Strategiepapiers. Deutlich wurde vor allem eines: Zwischen den radikal-ökologischen Vorstellungen, die letztlich das Prädikat "nachhaltig" verdienen, und der offiziellen Agrarpolitik, die von internationalen Sachzwängen geprägt ist, liegen buchstäblich Welten.
Sechs Biobäuerinnen und -bauern legten ihre Thesen und ihre Kritik an "Horizont 2010" zur Diskussion vor – mit einer Vehemenz und einem Engagement, das stark mit den nüchternen und illusionslosen Erwägungen kontrastierte, mit denen der Vertreter des Bundesamtes sein Papier verteidigte. Abgeschlossen wurde der Anlass mit der Verabschiedung einer Resolution (siehe Kasten).
Forderung nach einer "Bio-Nation Schweiz"
Wendy Peter, Biobäuerin, Vizepräsidentin der Bio Suisse und Schweizer Vertreterin bei der Weltorganisation für Ernährung FAO, war vom Strategiepapier "Horizont 2010" "bitter enttäuscht". Damit würden kleine und mittlere Betriebe wegrationalisiert, was eine ökonomische und ökologische Katastrophe sei. So gingen nicht nur der Gedanke der Subsistenz, Mischkulturen und Kreislaufwirtschaft verloren, sondern auch die regionale Wertschöpfung und die bäuerliche Identifikation mit dem eigenen Produkt. Sie wies auf Widersprüche in der aktuellen Agrarpolitik hin: So werde etwa ländlicher Tourismus als Alternative zur Produktion verkauft. Dem stehe der Trend zur Wegrationalisierung und Spezialisierung entgegen: nur funktionierende und vielfältige Bauernhöfe seien eine Garantie dafür, dass die Leute überhaupt aufs Land kämen. Für leere Ställe interessiere sich schliesslich niemand. Gefordert sei deshalb nicht zuletzt eine koordinierte Zusammenarbeit der betroffenen Bundesämter, um eine Entwicklung des ländlichen Raumes zu fördern.
Auch Roman Abt, Präsident der Biofarm-Genossenschaft in Kleindietwil, betrachtete das Strategiepapier als Armutszeugnis, als "Huldigung an die heutige Gesellschaft" ohne eigene Vision. Das Ziel müsse eine "Bio-Nation Schweiz" sein, die Schweizer Bauern müssten Vorreiter einer ökologischen Bewegung sein, deren Lebensstil die einzige Überlebenschance des Planeten biete. Dazu seien aber ganz andere Rahmenbedingungen notwendig: mehr Bio in der bäuerlichen Ausbildung, mehr Bio in der Forschung und eine stärkere Förderung von Bio durch die Direktzahlungen.
Markus Wildisen vom Bundesamt für Landwirtschaft, Co-Autor des Strategiepapieres, entgegnete, für ihn sei der Anteil des Biolandbaus eine Sache des Marktes und der unternehmerischen Freiheit der Produzenten, nicht von staatlichen Regelungen. Eine zu starke Förderung könne hier genauso zu Überangeboten führen. Ferner komme die Schweiz nicht an der Globalisierung und an der Notwendigkeit zu tieferen Preisen und grösseren Betrieben vorbei und deshalb müsse auch die Strukturfrage endlich enttabuisiert werden.
Was ist ein Familienbetrieb?
Hans Luder, Präsident der IP-Suisse, warf in diesem Zusammenhang eine Frage auf, die in der agrarpolitischen Diskussion regelmässig auftaucht: Wie soll der unterstützungswürdige Familienbetrieb definiert werden? Heute sei es so, dass sich viele Bauern Arbeitskräfte nicht mehr leisten könnten und dass deshalb nur die Familie bleibe. Mit der enormen Arbeitsbelastung komme aber die Gefahr, dass es in der Familie nicht mehr stimme. Der Bund könne doch nicht nur Profibetriebe zu unterstützen, im Emmental etwa gäbe es fast keine Vollzeitbauern mehr. Auch Roman Abt forderte, dass es einem Bauer möglich sein müsse, einen Angestellten zu haben, damit er – wie andere Berufstätige auch – selber mal ausspannen und sich regenerieren könne.
Die Vertreter der Verbände äusserten sich vorsichtig zur Definition des "Familienbetriebes". Für Samuel Lüthi, Direktor der Schweizer Milchproduzenten, ist die Diskussion "unglücklich", es werde damit lediglich viel Energie verschwendet. Entscheidend sei, dass die zu leistenden Aufgaben definiert würden, deren Erfüllung müsse dann regional unterschiedlich geschehen. Auch Urs Schneider, Pressesprecher des Schweizerischen Bauernverbandes, konnte "Familienbetrieb" nicht definieren. Es habe in der Strategie des Bauernverbandes Platz für verschiedene Modelle, wichtig sei aber, dass in Zukunft keine Hobbybetriebe mehr gefördert würden.
Aus der Möschberg-Resolution
"...Die im Strategiepapier "Horizont 2010" postulierte Lösung eines beschleunigten Ausstiegs der Menschen aus der Agrarproduktion verunmöglicht gerade die Umsetzung des in der Verfassung verankerten Ziels einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft. Wir erwarten vom BLW Visionen, die geeignet sind, die bäuerliche Bevölkerung zu motivieren, die auch von der FAO als Ziel formulierte Umstellung auf Biolandbau umzusetzen...
Wir Bäuerinnen und Bauern wollen keine Sozialpläne zur Begleitung des Ausstiegs aus der Landwirtschaft. Wir haben gemäss der geltenden Gesetzgebung ein Recht auf Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, unter Respektierung der natürlichen Kreisläufe für unseren Lebensunterhalt die biotischen Ressourcen zur Produktion natürlicher Nahrungsmittel zu nutzen und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Erhaltung der Kulturlandschaft zu leisten....
Das Ziel der Agrarpolitik ist nicht die Unterordnung der Landwirtschaft unter die Bedürfnisse des Handels und der Nahrungsmittelindustrie, sondern die Versorgung der Bevölkerung mit natürlichen Lebensmitteln. Es geht also darum, uns Bauern und Bäuerinnen die Nutzung der biotischen Ressourcen zu ermöglichen und nicht darum, uns immer mehr vom Verbrauch mineralischer Ressourcen abhängig zu machen, nur weil damit höhere Wachstumsraten erzielt werden können...
Technischer Fortschritt und globale Sachzwänge
Urs Hans, Bio-Bauer aus dem zürcherischen Turbenthal, stellte den technischen Fortschritt in Frage: Die Schweiz habe doch die Chance zum Verzicht auf GVO und auf Chemie, insbesondere Gentech-Lebensmittel würden weder von den Konsumenten noch von den Produzenten gewünscht. GVO werde jetzt von der Industrie allen aufgedrängt, so wie bisher schon die Chemie. Wildisen vom BLW fühlte sich in dieser Frage missverstanden: Im Strategiepapier werde keineswegs die Gentechnik propagiert, es werde lediglich festgestellt, dass die Forschung voranschreite und nicht ignoriert werden könne.
Samuel Lüthi zeigte durchaus Sympathien für die Visionen der Bio-Bauern: Der momentane Umgang mit den fossilen Ressourcen sei tatsächlich "eine Katastrophe". Wie schwierig es aber sei, solche Nachhaltigkeitsüberlegungen durchzusetzen und etwa gängige Verkehrskonzepte zu ändern, habe gerade die gescheiterte Klimakonferenz in Den Haag gezeigt. So gesehen stelle der Verfassungsartikel zur Landwirtschaft einen vernünftigen
Wir fordern das BLW deshalb auf, den grundsätzlichen Unterschied zwischen der industriellen und der agrarischen Produktion zur Kenntnis zu nehmen, damit in Zukunft auf einer realistischen Grundlage Konzepte und Strategien für eine nachhaltige Entwicklung formuliert werden können..." ?
Kompromiss dar, nur werde er auf Verordnungsstufe instrumentalisiert und führe bei der jetzigen Anwendung dazu, dass die Milchproduktion im Berggebiet verschwinde.
Urs Schneider übte seinerseits Kritik am Strategiepapier und bemängelte, dass eben die Verfassungsgrundlage zuwenig Gewicht erhalte, und dass eine aktuelle Situationsanalyse fehle. Ferner fehlten Aussage zur regionalen Entwicklung. An diesem Punkt kristallisierte sich wieder die fehlende Kompetenz des Bundesamtes für Landwirt schaft und die Forderung nach ämterübergreifender Zusammenarbeit für die wichtige Frage der ländlichen Entwicklung heraus.
Auch Herbert Karch, Geschäftsführer der Vereinigung zum Schutz kleiner und mittlerer Bauern VKMB, der die Ansichten der Bio-Bauern weitgehend teilte, kritisierte die mangelnde Regionalisierung der bisherigen Agrarpolitik. Er bemängelte etwa, dass von den Geldern zur Absatzförderung nur zehn Prozent in regionale Massnahmen gehen, der weitaus grösste Teil in die Branchen. Ferner vermittle das Strategiepapier nicht den Eindruck einer Diskussionsgrundlage, die Unterschiede zwischen den vier gebotenen Strategien seien minim und Ausdruck des grundsätzlichen Problems, nämlich dass im Volkswirtschaftsdepartement mit Pascal Couchepin ein neoliberaler Chef sitze. Das BLW hätte, so Karch, auch Strategien zur Regionalisierung und zur Qualitätsproduktion vorlegen müssen.
Die Geschichte des Möschbergs
LID. Die Schweizerische Bauernheimat-Bewegung (Jungbauern), der linke Flügel der Bauern-, Gewerbe und Bürgerpartei BGB (heutige SVP) eröffnete 1932 auf dem Möschberg bei Grosshöchstetten ein Schulungs- und Bildungszentrum für Bäuerinnen und Bauern. Der Chef der Jungbauern, Hans Müller, leitete damals den Möschberg. Ab 1950 rückte der biologische Landbau ins Zentrum der Bildungsarbeit. In den 60er und 70er Jahren hatte der Möschberg eine grosse Ausstrahlung auf Bio-Verbände im In- und Ausland. Mit der Gründung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL in Frick und der Bio Suisse verlor der Möschberg an Bedeutung, nicht zuletzt, weil Hans Müller es versäumte, mit den neuen Institutionen zu kooperieren und seine Nachfolge zu regeln. Nach seinem Tod 1988 wurde der Möschberg als geistiges Standbein der Bio-Bewegung weitergeführt, neben dem methodischen des FiBL und dem politischen der Bio Suisse. Träger des Möschbergs ist heute das Bio-Forum Möschberg, das auch die Zeitschrift "Kultur und Politik" herausgibt und Seminare zu ökologischen Themen durchführt. 1993 wurde die Genossenschaft Zentrum Möschberg gegründet, die das Haus im Baurecht übernommen und zu einem zeitgemässen Seminarhaus umgebaut hat und es in eigener Regie führt.
Seminar- und Kulturhotel Möschberg, Postfach 226, 3506 Grosshöchstetten, Tel. 031 710 22 22, Fax 711 58 59, E-mail: info@moesch.ch
Zu wenig Erbauendes
Ein weitgehender Konsens herrschte schliesslich in der Diskussionsrunde darüber, dass das Strategiepapier "Horizont 2010" psychologisch ungeschickt formuliert sei und viele Bauern schockiert habe. Es sei darin zuviel von Zwängen und weiteren Härten und zuwenig von Optimismus und Motivation für die Bauern zu spüren. Wildisen mochte das zwar nicht direkt zugeben, wird es aber trotzdem zur Kenntnis genommen haben. Er betonte, dass er nach wie vor zu neunzig Prozent des Papiers stehe, einzelne Sätze seien vielleicht missverständlich formuliert. Der grösste Fehler sei aber gewesen, das Papier "Horizont 2010" zu nennen. So sei der Eindruck entstanden, es handle sich um eine agrarpolitische Wende. Im Grunde gehe es aber um den nächsten Zahlungsrahmen des Bundes und "2004" wäre, so Wildisen, treffender gewesen.
Das Strategiepapier "Horizont 2010" ist auf der Homepage des Bundesamtes für Landwirtschaft zu finden: http://www.blw.admin.ch/fakten/texte/d/horizont.pdf