Nürnberg lag im Biofieber. Während der "Bio Fach" vom 17. bis 20. Februar war die Stadt gefüllt, das letzte Hotelbett besetzt. Die Besucher und Aussteller aus der ganzen Welt mussten im grösseren Umkreis, in Fürth und Erlangen untergebracht werden. Mehr als zwei Dutzend Nürnberger Restaurants drückten ihre Gastfreundschaft dadurch aus, dass sie während der Messe mit Bioprodukten kochten. Am Abend hörte man in Nürnbergs Gassen mehr Niederländisch, Italienisch, Englisch und Spanisch als Fränkisch sprechen.
Kuhschweizer...
Auch Schweizerdeutsch war in Nürnberg zu hören, und zwar mehr als in früheren Jahren. 41 Aussteller nahmen die Möglichkeit war, als Teilnehmer der Delegation des Gastlandes besonders aufzufallen. Die Schweiz präsentierte sich als Mutterland des Biolandbaus, als Wiege der biologisch-dynamischen wie auch der organisch-biologischen Landwirtschaft: Die beiden Ur-Pioniere Rudolf Steiner und Hans Müller wirkten von der Schweiz aus. "Der Biolandbau wurde in der Schweiz gezeugt", erklärte Bio Suisse-Geschäftsführer Christof Dietler der internationalen Presse, "und gedeiht dort auch prächtig." Mit 7,8 Prozent ökologischer Bewirtschaftung liegen die Eidgenossen nach Liechtenstein und Österreich weltweit an dritter Stelle, bedrängt allerdings von den aufstrebenden Bio-Nationen Finnland, Dänemark und Italien.
Um trotz der vergleichsweise hohen Preise die Liberalisierung des Agrarhandels meistern zu können, müssen sich die "Kuhschweizer", so Dietler, auf hohem Qualitätsniveau positionieren – was dank einheitlichem nationalem Label, der Bio Suisse-Knospe, machbar ist. Nebst dem konsequent gesamtbetrieblichen Bioanbau unterzieht sich auch die Verarbeitung von Bioprodukten strengen Richtlinien.
Zusätzlich zu den privatrechtlichen Richtlinien schafft auch die stabile Schweizer Agrarpolitik ein günstiges Umfeld für den Schweizer Biomarkt, erklärte Hans Burger anlässlich der Eröffnungsfeier. Als wichtigste Eckpfeiler bezeichnete der Noch-Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft die Bio-Verordnung, die Erhöhung der Markttransparenz durch Deklarationsvorschriften, die bilateralen Verträge sowie die Unterstützung des Basismarketings durch den Bund.
Letzteres wurde an der Bio Fach sogleich in die Praxis umgesetzt. Die Schweizerische Zentrale für Handelsförderung OSEC unterstützte die Bio Suisse in der Errichtung des Schweizer Standes und der Stände der Aussteller aus der Schweiz. Auch die Schweizer Bio-Nacht, eine Party, an der sich die Schweiz aus ungewohnter Perspektive zeigte und alte Traditionen neu interpretierte, entstand in Zusammenarbeit zwischen Bio Suisse und OSEC.
...ohne Biokäse
Die insgesamt 41 Schweizer Aussteller – 12 mehr als letztes Jahr – , die international auf sich aufmerksam machen wollten, kamen aus verschiedenen Gründen nach Nürnberg. Die Bio-Familia AG aus Sachseln exportiert bereits seit ihrer Gründung in den Fünfzigerjahren ihre Müsli-Produkte in zahlreiche Länder und sogar nach Übersee. Geschäftsführer Daniel Ebner kam vor allem an die "Bio Fach", um den Kontakt mit bestehenden Kunden zu pflegen. Anders Markus Johann von der Biofarm-Genossenschaft Kleindietwil oder Christian Böhlen von der Bonatura AG in Kerzers. Sie sind im Be-griff, in den Märkten jenseits der Grenze Fuss zu fassen. Die Biofarm exportiert bereits ihren Vollrohrzucker, die Bonatura Gemüse-Halbfabrikate für Gastrobetriebe. Beide möchten den Export erweitern. Für Christof Züger von der Züger Frischkäse AG in Oberbüren und Pius Biedermann von der Molkerei Biedermann in Bischoffszell liegen die Dinge bezüglich Export noch anders. Sie befinden sich in Warteposition. Wegen der hohen Grenzabgaben warten sie zunächst auf die Inkraftsetzung der bilateralen Verträge mit der EU, bevor sie Ihre Milchprodukte auch in der süddeutschen Nachbarschaft anbieten. "An dieser Messe geht es uns vorerst mal darum, den EU-Markt abzutasten," meint Züger, "und zu lernen, was von den Kunden überhaupt verlangt wird. Wir müssen diesen Markt kennen, bevor wir beginnen, zu exportieren."
Weniger exportfreudig zeigte sich der Schweizer Bio-Käsehandel. Wer an der "Bio Fach" auf der Suche nach Bio-Emmentaler war, fand ihn in grossen Mengen. Dutzende von Anbietern stellten die Galionsfigur des Schweizer Käseexportes aus, nur kam er aus Österreich, aus Deutschland oder aus Frankreich. Auf der ganzen Messe war kein einziges Stück Schweizer Bio-Emmentaler oder Bio-Greyerzer zu finden. Ein Käsehändler aus dem Allgäu, der sich darum bemüht hatte, Bio-Emmentaler aus der Schweiz zu kaufen, äussert seinen Verdacht: "Vielleicht wollen die Schweizer gar keinen Käse verkaufen."
Eindrücklicher Auftritt der Bioszene
Mit Bioprodukten spreche man "nicht mehr nur die Müslitypen an", erklärte der Bio Fach-Direktor Hagen Sunder zur Eröffnung der grössten Bio-Messe der Welt, sondern die "gesamte junge, technisch versierte Elite". Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich die eindrücklichen Zuwachsraten der Ausstellung in ihrer elften Auflage erklären. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der auftretenden Firmen um 13 Prozent auf 1’444, die belegte Fläche um 10 Prozent auf 37,000 Quadratmeter. Bio ist zum Business geworden. Ein Blick in die Ausstellungshallen bestätigt: Die Bio-Freaks haben sich zu Kaufleuten gemausert; professionelle Auftritte in Kittel und Krawatte an professionell gestalteten Ständen.
Diesem äusserlichen Konformismus zum Trotz herrschte in den Messehallen eine kreative und phantasievolle Stimmung. An zahlreichen Ständen wurden die Besucher auf originelle Weise überrascht und auf die kulturellen Wurzeln des Biolandbaus angesprochen. Etwa am Stand der chinesischen Grünteeproduzenten, wo das Publikum in das Geheimnis der traditionellen Teezeremonie eingeführt wurde. Oder am deutschen Demeter-Stand, der die Sinnesorgane ansprach, indem man sich durch die intensiven Düfte verschiedener Apfelsorten und der Erzeugnisse der Bienenhaltung überraschen lassen konnte. Oder die Komikertruppe, die eine schwerkranke Lady in einem Spitalbett durch die Ausstellung karrte und sie mit den an den Ständen angebotenen Bio-Naschereien "gesund fütterte".
Die "Bio Fach" war mehr als nur eine Ausstellung, sie war ein Event erster Güte der weltweiten Bioszene. Während der ganzen Messe ging in den Konferenzsälen ein Rahmenprogramm über die Bühne, wo neuste Erkenntnisse der ökologischen Landwirtschaft vermittelt wurden. Und selbst der prominenteste Biobauer der Welt liess – per Video – die Bioszene grüssen: seine königliche Hoheit Prinz Charles (vgl. Kasten).
Königliche Worte zur Eröffnung
als. Kein geringerer als Prinz Charles, genauer His Royal Highness, The Prince of Wales, eröffnete die diesjährige Biofach. Da er wegen eines Staatsbesuchs, wie es hiess, nicht persönlich erscheinen konnte, musste seine Grussbotschaft ab Video auf eine Grossleinwand gespielt werden.
Der Prinz, der sich seit nunmehr 15 Jahren für den Biolandbau engagiert, blickt erfreut auf den weltweit boomenden Biomarkt. Dieser Boom stelle die Biobewegung aber auch vor Herausforderungen, denn die Konsumenten, die Bioprodukte kaufen, bringen dafür viel Vertrauen auf. Dieses Vertrauen dürfe nicht aus rein wirtschaftlichen Motiven missbraucht werden, mahnte der Prinz: "Wir müssen sicherstellen, dass der anhaltende Erfolg zu höheren und nicht zu tieferen Standards führt." Daher müssen alle Beteiligten, so Charles weiter, "sehr wachsam bleiben und dem unausweichlichen Druck widerstehen, den Praktiken des konventionellen Marktes zu folgen." Denn die Richtlinien zu verwässern sei eine "natürliche Versuchung".
Mit der weltweiten Ausdehnung des Biomarktes werde dies natürlich nicht leichter. Die Verteidigung möglichst hoher Standards sei zwar eine grosse Herausforderung, jedoch auch der "Schlüssel für den weiteren Erfolg".
Bio boomt weltweit weiter
Ähnliche Erfolgszahlen wie die "Bio Fach" Nürnberg schreiben auch der weltweite biologische Anbau und der Biomarkt. Dies geht aus einer Studie hervor, die rechtzeitig zur Eröffnung der Messe fertiggestellt wurde. In Westeuropa nahm die biologisch bewirtschaftete Fläche von 1998 auf 1999 um 46,2 Prozent zu (Schweiz 10,2 Prozent), wobei Grossbritannien mit einer Wachstumsrate von 437 Prozent klar an der Spitze liegt, gefolgt von Dänemark, Griechenland und Portugal mit je rund 150 Prozent. Der Jahresumsatz des Biomarktes in Westeuropa lag 1997 bei 6,3 Milliarden US-Dollar und steigt derzeit je nach Land um 5 bis 40 Prozent (Schweiz 20 bis 30 Prozent). In den beiden nebst Europa wichtigsten Biomärkten USA und Japan wird mit ähnlichen Zuwachsraten gerechnet. Für das laufende Jahr wird für diese drei Märkte ein Gesamtumsatz von 20 Milliarden US-Dollar prognostiziert (davon rund 6 Prozent in der Schweiz).
Der Bioboom findet aber nicht nur in den Industrieländern statt. "Ökologischer Landbau wird praktisch in allen Ländern der Welt betrieben, und sein Anteil wächst ständig", hält die Studie fest. In Osteuropa, Afrika, Südamerika und Asien habe sich der Biolandbau zunächst im Hinblick auf zusätzliche Exportmöglichkeiten in die reichen Länder entwickelt, doch sei auch in verschiedenen ärmeren Ländern ein sehr schnelles Wachstum des heimischen Biomarktes zu beobachten. Namentlich in Afrika bestehe für den biologischen Anbau ein riesiges Potential, da dort der traditionelle Anbau zu einem grossen Teil die Biorichtlinien erfüllen würde, jedoch noch kaum Kontroll- und Zertifizierungsstrukturen bestehen. Das Interesse der ärmeren Länder, sich am weltweiten Biomarkt zu beteiligen, zeigte sich auch an der Messe deutlich: Sie stellten insgesamt 162 Stände, wovon 17 durch das schweizerische Importförderungsprogramm "sippo" ermöglicht wurden.
173 Neuheiten auf dem Biomarkt
als. Die "Bio Fach" liess keinen Zweifel mehr offen: Heute gibt es praktisch alles in Bio-Qualität. Sei es eine Fertigpizza, die nicht nur von Grund auf biologisch erzeugt wurde und gut schmeckt, sondern dank dem beigemischten Hanfsamenöl auch noch eine breite Palette essentieller Aminosäuren und ungesättigter Fettsäuren enthält und deshalb gleichzeitig als "functional food" angepriesen werden darf. Oder sei es ein neuer Brotaufstrich aus Sonnenblumenkernen, der schmeckt wie Frischkäse, jedoch keine Milch, kein Cholesterin, keine Hefe, dafür um so mehr Vitamine, Ballaststoffe und ungesättigte Fettsäuren enthält.
Nebst einer grossen Anzahl neuer Biscuits, Knäckebroten, Bonbons und Säfte fiel unter den 173 ausgestellten Neuheiten auch ein neuer Biodrink aus Schweden auf, der aus Hafer, Rapsöl und Wasser hergestellt wird. Er schmeckt ähnlich wie ein Milchdrink mit Haferaroma, soll äusserst gesund sein und kann auch von Menschen mit Milchallergie genossen werden.
Ein österreichischer Kleinanbieter machte sein Hobby zum Beruf. Nachdem er einen kleinen Bauernhof mit zahleichen Hochstammobstbäumen gekauft hatte, begann er sich mit der Essigherstellung zu befassen. Nun ist er mit einem Sortiment biologischer Kräuter-Apfel-Essige, im Barrique ausgebaut, auf dem Markt und möchte seine Produkte europaweit vermarkten.