Wer versucht, den Begriff Agrarlobby zu definieren, hat es nicht leicht. Für einmal hilft selbst Wikipedia nicht weiter, der Begriff kann offenbar sehr flexibel ausgelegt werden. In den Medien wird Agrarlobby meistens mit Bauernverband und SVP gleichgesetzt. Etwas anders sieht es aus, wenn man als Massstab die diversen bäuerlichen Interessenvertreter nimmt. Dann fallen auch Organisationen wie die Agrarallianz, Bio Suisse, Kleinbauernverbeinigung oder Vision Landwirtschaft darunter. Sie stehen in Sachen Lobbying dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) in nichts nach.
Dachorganisation Agrarallianz
Die Agrarallianz ist eine Dachorganisation. Sie vereint 500'000 Mitglieder in Konsumenten-, Natur-, Landschafts-, Umwelt-, Tierschutz- und Bauernorganisationen. Die grösste bäuerliche Organisation unter dem Dach der Agrarallianz ist die Schweizerische Vereinigung der integriert produzierenden Bauern und Bäuerinnen, IP-SUISSE mit rund 20'000 Mitgliedern. Daraus abzuleiten, dass die Agrarallianz die Interessen von 20'000 Labelproduzenten vertritt, wäre allerdings gewagt: Die allermeisten IP-Suisse-Bauern sind nämlich gleichzeitig Mitglied beim Schweizerischen Bauernverband, der 60'000 Mitglieder hat. Den wenigsten von ihnen dürfte bewusst sein, dass sie der Agrarallianz eine Stimme geben. Denn bei einer Dachorganisation wie der Agrarallianz gibt es keine Direktmitgliedschaft.
Das zweitgrösste bäuerliche Mitglied der Agrarallianz ist Bio Suisse. Die Biolandbauorganisation mit rund 5'600 Bioproduzenten leistet sich seit drei Jahren einen eigenen Lobbyisten: Martin Bosshard. Er leitet den Geschäftsbereich Politik, war früher beim Verkehrsclub der Schweiz für Umweltthemen zuständig, davor Präsident der Grünen Aargau und Geschäftsführer der Stiftung Pro Specie Rara.
Die dritte bäuerliche Organisation innerhalb der Agrarallianz ist die Kleinbauernvereinigung (VKMB). Diese spürt den landwirtschaftlichen Strukturwandel: Sie zählt je länger, je weniger Bauern zu ihren Mitgliedern und dafür immer mehr Konsumenten.
Die Agrarallianz wird von Christof Dietler im Mandat geführt. Dietler war von 1995 bis 2003 Bio Suisse Geschäftsführer, davor war er sechs Jahre lang als Projektleiter Landwirtschaft bei Pro Natura angestellt. Heute ist er Mitinhaber der Marketingagentur pluswert GmbH mit Sitz in Chur und leitet zudem die Geschäftsstelle von Agrotourismus Graubünden.
Breites Meinungsspektrum
Dass die Abschaffung der Tierbeiträge im Nationalrat sowohl Gegner als auch Befürworter aus SBV-Kreisen fand, zeigt, dass die politische Stossrichtung des SBV nicht von allen getragen wird. Das trifft in noch grösserem Masse auf die Agrarallianz-Mitglieder zu: Zwischen der Schweizer Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL) und dem Verein Vision Landwirtschaft (VL) liegen Welten. Während die SVIL den Paradigmawechsel der neue Agrarpolitik (Abkehr vom Prinzip des Einkommensausgleichs, hin zu reinen Flächenzahlungen) dezidiert in Frage stellt, kann VL die Ökologisierung der Landwirtschaft gar nicht weit genug gehen.
VL bezeichnet sich selbst als „Denkwerkstatt unabhängiger Agrarfachleute“. Der Verein hat zwar höchstens 100 Mitglieder, darunter ein paar Bauern. Aber VL verfügt über eine grosse finanzielle Schlagkraft: Der Verein bekommt allein von der Mava-Stiftung eine Million Franken, um die Ökologisierung der Agrarpolitik voranzutreiben. Dazu kommen Beiträge vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl), dem Schweizer Vogelschutz (SVS) und der Vogelwarte. Die Mava-Stiftung wird vom Pharmariesen Roche gespiesen; Roche-Verwaltungsrat und Multimilliardär André Hoffmann ist sowohl Mava-Stiftungsratspräsident als auch Vizepräsident des WWF International. Weil VL-Geschäftsführer Andreas Bosshard auch Economiesuisse in Sachen Agrarpolitik berät, muss man sich nicht wundern, dass der Wirtschaftsdachverband vor der Agrardebatte ähnlich lautende Schreiben an die Parlamentarier verschickte wie der WWF, die Agrarallianz und Vision Landwirtschaft. Andreas Bosshard ist Inhaber eines Ökobüros, welches auf Vernetzungs- und Landschaftsqualitätsprojekte spezialisiert ist. Er sitzt zudem im Zentralvorstand von Pro Natura und ist damit quasi Vorgesetzter von Pro Natura Mitarbeiter Marcel Liner, der seinerseits Präsident der Agrarallianz ist, welche wiederum von Vision Landwirtschaft mitfinanziert wird. Womit sich der Kreis wieder schliesst.

