Eine neue Verfassungsdiskussion vermeiden, lautete eines der Ziele der offiziellen Landwirtschaftspolitik seit dem überwältigenden Ja des Souveräns vom Juni 1996 zum neuen Landwirtschaftsartikel. Dieses Ziel wurde nicht erreicht: Seit dem 14. Februar steht nämlich fest, dass die Kleinbauerninitiative der Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauernbetriebe (VKMB) nicht zurückgezogen wird. Der entsprechende Beschluss des Initiativkomitees sei definitiv, liess dieses nach seiner Sitzung verlauten. Damit scheint eine Volksabstimmung über das Begehren, das den noch frischen Verfassungsartikel ergänzen möchte, unumgänglich. Bei einem Ja von Volk und Ständen würden unter anderem sämtliche Marktstützungen des Bundes mit Ausnahme des Grenzschutzes abgeschafft und die – flächenabhängigen - Direktzahlungen auf 50,000 Franken pro Betrieb plafoniert.
Parlament kann nur noch Chancen beeinflussen
Der Beschluss der Initianten nimmt der parlamentarischen Beratung über die AP 2002 einiges von ihrer politischen Brisanz. Bisher hatte man da und dort noch mit der Möglichkeit gerechnet, dass eine möglichst nahe an die ständerätliche Linie herankommende Schlussfassung des Reformwerks die Initianten zum Rückzug bewegen könnte. Jetzt ist deutlich, dass die AP 2002 auch in der Fassung des Ständerates für die VKMB noch zu wenig reformfreudig ist und dass der Ausgang der laufenden Differenzbereinigung zwischen den beiden Parlamentskammern keinen Einfluss mehr haben wird auf die Frage, ob die VKMB-Initiative zur Abstimmung kommt oder nicht.
Möglich bleiben allerdings Auswirkungen auf die Chancen des von der VKMB als Alternative zur AP 2002 propagierten Begehrens an der Urne. So war die AP 2002 nach der Nationalratsdebatte im Herbst 1997, bei der sich die Verfechter eines sanfteren und langsameren Übergangs Richtung mehr Markt und Ökologie durchgesetzt hatten, in der Öffentlichkeit mit Kritik überhäuft und die Initiative entsprechend als chancenreich eingestuft worden; nach der Diskussion im Ständerat, der sich für eine marktnähere Version entschieden hatte, war in den Medien dagegen ein Stimmungsumschwung zugunsten der AP 2002 feststellbar.
In der Differenzbereinigung zeichnet sich nun ab, dass sich der Ständerat weitgehend durchsetzen wird. Die vorberatende Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrates hat an ihrer Sitzung diese Woche 44 der rund 60 Differenzen ausgeräumt. Das heisst, sie empfiehlt dem Nationalrat in diesen Fällen, der ständerätlichen Fassung zuzustimmen, die nach allgemeiner Einschätzung beim Volk mit einer breiteren Unterstützung rechnen kann als die Fassung des Nationalrates. Ob letzterer einlenkt und damit seiner Kommission folgt, wird sich in der Märzsession zeigen.
Biobauern warten mit Stellungnahme
Der Ausgang könnte unter anderem die Haltung der Bio-bauern beeinflussen, von der eine gewisse Signalwirkung für andere Gruppierungen wie Konsumenten- und Umweltorganisationen ausgehen dürfte. So kündigte der Vorstand der Bio Suisse (der Vereinigung Schweizer Bio-Landbauorganisationen) am 18. Februar mit, den Entscheid über die Parole zur VKMB-Initiative einer Delegiertenversammlung vorzulegen. Diese soll "nach Abschluss der parlamentarischen Debatte über AP 2002" im April stattfinden und laut Pressemitteilung der Bio Suisse darüber entscheiden, "ob sie die bestehende Verfassungsgrundlage und die dann ausformulierte Gesetzesvorlage AP 2002 der Kleinbauern-Initiative" vorziehe.
Kumulation mit Gentech-Gegnern?
Keinen Erfolg dürfte die VKMB mit ihrem Ansinnen haben, bereits am 7. Juni über ihre Initiative abstimmen zu lassen und so möglicherweise von einer Kumulation von Gentech-Gegnern und Landwirtschaftskritikern zu profitieren. Der Bundesrat hat nämlich die Vorlagen für diesen Abstimmungstermin bereits festgelegt (neben der Gen-Schutz-Initiative sind dies die S.o.S.-Initiative ("Schweiz ohne Schnüffelstaat") und das Haushaltsziel 2001), und es ist nicht üblich, dass er nachträglich auf einen solchen Beschluss zurückkommt – ganz abgesehen davon, dass die Landesregierung eben jene Kumulation vermutlich nicht unbedingt provozieren möchte.
AP 2002 nimmt Konturen an
rp. Die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrates empfiehlt dem Plenum, bei 44 der rund 60 bestehenden Differenzen dem Ständerat zu folgen. Demnach zeichnen sich unter anderem folgende Übereinstimmungen ab:
- die Bundesmittel für die Marktstützung sollen innert fünf Jahren um ein Drittel reduziert werden. In Zahlen bedeutet dies einen Abbau um rund 400 auf 800 Millionen Franken, der für die Bauern durch steigende Direktzahlungen kompensiert werden soll;
- Direktzahlungen sind nur noch an Betriebe auszurichten, die neben einem ökologischen Leistungsausweis (Mindeststandard: Integrierte Produktion) auch den Nachweis der tiergerechten Nutztierhaltung erbringen;
- Milchkontingente soll der Bund nicht von den Bauern zurückkaufen können; bei der Übertragung von Landstücken sollen die Kontingente überdies gekürzt werden können.
Mit den Differenzen wird sich der Nationalrat in der Frühlingssession (2. bis 20. März 1998) befassen.