Theoretisch betrachtet ist die Sache einfach. Ein paar wenige grosse Firmen produzieren für die Bauern Pflanzenschutzmittel, Dünger, Treibstoff, Maschinen. Ein paar wenige grosse Firmen bringen die konsumfertigen Nahrungsmittel an die Konsumenten. Und dazwischen "zerfällt" alles: 70,000 Bauern und 3,000 kleinere und mittlere Unternehmen – Käsereien, Landis, Maschinenhändler, Obst- und Gemüsehändler, Getreidesammelstellen, Mühlen und Viehhändler – sind an der Urproduktion im engeren Sinn beteiligt. Damit auf diesen Stufen Kosten gespart werden können, müssen die Angebote zusammengefasst und der Markt transparent gemacht werden. Dafür bietet sich das Internet geradezu an.
Ganz praktisch betrachtet ist die Sache auch einfach. Ein Bauer will sein Saatgut, seine Pflanzenschutzmittel und Dünger möglichst billig kaufen. Weil für ihn der wirtschaftliche Druck immer stärker wird, ist er immer mehr darauf angewiesen, die besten Angebote zu kennen und davon profitieren zu können.
Riesiges Potenzial, grosse Widerstände
Theorie und Praxis zusammenzubringen, darin besteht die grosse Herausforderung des E-Commerce. Je mehr Marktteilnehmer online miteinander geschäften, umso besser funktioniert das Ganze. Das Einsparungspotenzial, darin sind sich die Experten einig, ist enorm. Die Widerstände und Unsicherheiten sind aber auch erheblich, und deshalb wird alles seine Zeit dauern. So viel wurde klar am 4. BEA-Agrarforum vom 24. April in Bern.
Johann Schlieper von der E-Business-Beratungsfirma input e.consult stellte in seinem Referat grundsätzliche Nutzen und Risiken des E-Commerce dar. Durch den Handel übers Internet sinken die administrativen Kosten und die Kosten für Werbung, und neue Kunden können leichter akquiriert werden. Voraussetzung sind Investitionen in die Technik, einheitliche Geschäftsabläufe und Transparenz. Ein Saatguthändler, der ein bestimmtes Saatgut nicht liefern kann, kann im normalen Handel die Abnehmer auf später vertrösten, eventuell wider besseres Wissen. Im Netz bleibt ihm nichts anderes übrig, als klar zu deklarieren, dass er im Moment nicht liefern kann.
Chance Kostenersparnis
Am Beispiel des bekannten Internetbuchhändlers "Amazon.com" zeigte Schlieper auf, worin die Attraktivität des "new economy"-Modells (internetbasierte Wirtschaft) besteht und weshalb diese Firmen vielleicht doch noch gewinnträchtig werden könnten. Die hauptsächlichen Kosten für Firmen wie "Amazon" entstehen bei der Technik und sie sinken mit der Zeit wegen des technologischen Fortschritts. Die hauptsächlichen Kosten der tra- ditionellen Firmen aber entstehen beim Standort und beim Personal, beide Faktoren werden mit der Zeit teurer. Daraus ergibt sich eine Kostenschere zwischen den beiden Modellen, und obwohl der "new economy"-Ballon an der Börse schon stark geschrumpft ist, könnte es sein, dass solche Firmen langfristig gewichtige Vorteile haben. Das Misstrauen gegenüber E-Commerce sei aber immer noch relativ hoch, stellte Schlieper klar, und es betreffe vor allem die Transparenz, die Sicherheit, Service und Lieferfristen. Deshalb sei es wichtig, dass eine Firma diesbezüglich Garantien abgeben könne.
Dossier "E-Commerce"
LID. Das LID-Dossier Nr. 384 "Landwirtschaft und E-Commerce" vom 23. April liefert aktuelle Fakten und Zahlen zum Thema. Es zeigt die Vorteile und Herausforderungen des E-Commerce auf und bietet nützliche Internetadressen, ein Glossar und eine Literaturliste. Das Dossier kann beim LID zum Preis von 10 Franken bestellt werden. Den Abonnenten des LID Mediendienstes wird das Dossier automatisch und gratis zugestellt.
"Landwirtschaft und E-Commerce", LID-Dossier Nr. 384, Bestellen beim LID, Weststrasse 10, 3000 Bern 6, Tel. 031 359 59 77, Fax 031 359 59 79, E-Mail: info@lid.ch
Pionierportal AgriGate
Das Internetportal AgriGate ist das momentan am weitesten gediehene Projekt im Bereich E-Commerce und Landwirtschaft. Stefan Schärer, operativer Leiter von AgriGate, veranschaulichte aus seiner Sicht das Potenzial, das für den Internethandel besteht: Auf dem Schweizer Markt sind schätzungsweise 12,000 verschiedene Futtermittel, 1,600 verschiedene Dünger, 1,400 Pflanzenschutzmittel und 700 Saat- und Pflanzgutprodukte erhältlich. Für den Bauern wird diese Wahl zur Qual, so lange er keine wirkliche Übersicht hat, also die Produkte und Händler nicht kennt, und Preise und Konditionen oft nur schwer vergleichen kann. Nur wenn möglichst viele Anbieter im Netz sind, kann er optimale Kaufentscheidungen treffen.
AgriGate läuft seit Ende Januar bietet nebst einer Handelsplattform auch landwirtschaftliche Beratung an. Die Plattform weist laut Stefan Schärer wachsende Besucherzahlen auf. Momentan werden 670 Produkte von 24 Shopanbietern angeboten, 1,000 Benutzer haben sich bis jetzt registriert. "Die ersten Erfahrungen sind ermutigend", meinte Schärer, obwohl man im Februar noch technische Probleme gehabt habe. Zu den Umsatzzahlen wollte Schärer, wie das in der Branche üblich sei, nichts Konkretes sagen, um Spekulationen und Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Am Agrarforum wurden zum Schluss zwei der Landwirtschaft nachgelagerte Angebote vorgestellt. Hans-Peter Brandenburger von Agroimpuls erläuterte, wie "Bauern bieten" funktioniert, ein Angebot, das seit letzter Woche bäuerlichen Direktvermarkter und Ferienanbietern als gemeinsame Plattform dient. Und "Le Shop", der Online-Laden der "Bon Appetit"-Gruppe, befindet sich, so die Message der Referentin Janine Pilloud Herr, auf unaufhaltsamem Erfolgskurs. Wenn es im Internetdetailhandel tatsächlich viel zu holen gibt, werden sich früher oder später auch die beiden Grossen im Geschäft ihren Teil des Kuchens abzuschneiden wissen.
Verschiedene Mentalitäten
wy. Der Blick in andere Länder zeigt ambivalente Ergebnisse. In den USA etwa hat sich das Agrarportal XSAg.com als weltweit erfolgreichstes Agrarportal etabliert. Die amerikanischen Bauern sind laut dem Geschäftsführer Fulton Breen traditionell fortschrittfreundlicher als ihre europäischen Kollegen. Das Portal bietet alle Arten von Produktionsmitteln an, die alle stark standardisiert sind. XSAg.com hat 51,000 registrierte Benutzer mit einem durchschnittlichen Transaktionsvolumen zwischen 7,000 Dollar (11,970 Franken) und 12,000 Dollar (20,500 Franken). Pro Jahr entsteht ein Transaktionsvolumen von mehreren hundert Millionen Dollar.
In Deutschland gibt es mehrere Portale, die um die Gunst der vernetzten Bauern buhlen. Am "European E-Business Congress für die Agri- und Foodbranche" von letzter Woche im deutschen Bad Homburg wurden die Zukunftschancen des E-Commerce eher nüchtern betrachtet, wie die Agentur Agra-Europe berichtet. Der Marktanteil von E-Commerce wird von Experten für das Jahr 2005 auf 10 bis höchstens 15 Prozent geschätzt. Der Geschäftsführer der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft DLG, Reinhard Grandke, hielt fest, dass die Bauern noch weniger Vertrauen in die Geschäftsabwicklung übers Internet hätten als der Rest der Bevölkerung. Das Kerngeschäft, der einmal jährliche Verkauf der Produkte, verlange ein hohes Mass an Sicherheit. Diese finde der Bauer traditionellerweise vor allem in überschaubaren, gewachsenen und persönlichen Handelsbeziehungen. Deshalb gelte für die Bauern wohl immer noch die Devise: national informieren – regional handeln.