Herr Berger, gibt es überhaupt noch junge Menschen, die sich für Berglandwirtschaft begeistern?
Bernhard Berger: Momentan platzt unsere Schule aus allen Nähten. Erstaunlicherweise ist auch Landwirt und Landwirtin als Zweitberuf sehr gefragt.
Und die werden später alle einmal einen Betrieb übernehmen?
Berger: Nicht ganz. Ich würde sagen zwei Drittel. Ein Drittel träumt davon, zu einem Betrieb zu kommen oder einzuheiraten.
Hat es zu wenige Betriebe?
Berger: Nicht überall. In der Region Berner Oberland sind nach wie vor viele Betriebsleiter über 50 Jahre alt und ohne Betriebsnachfolger, weil sie kinderlos oder ledig sind.
Aber der Strukturwandel ist im Berggebiet höher als im Tal.
Berger: Das ist sehr unterschiedlich. In manchen Regionen verläuft der Strukturwandel noch zu langsam. Wo wir kleine Strukturen haben, wie teilweise im Frutigtal, gibt es einen unwahrscheinlichen Druck aufs Land. Wenn dort ein Bauer aufgibt, warten schon vier oder fünf andere darauf, die Fläche zu übernehmen. In anderen Regionen, zum Beispiel im Saanenland oder zwischen Interlaken und Brienz, sind die Strukturen schon ein wenig grösser.
Grösse ist ja nicht alles...
Berger: Das stimmt.
...allerdings werden im Berggebiet Nebenerwerbsbetriebe doppelt so häufig aufgegeben wie Vollerwerbsbetriebe.
Berger: Für viele Landwirtschaftsbetriebe hat der Nebenerwerb schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Hier in der Tourismusregion geben zum Beispiel sehr viele Betriebe ihre Kühe im Sommer auf die Alp. Und selbst wenn sie ausserhalb der Alpzeit keine Käsereimilch produzieren, müssen sie die Kühe den Rest des Jahres zweimal am Tag melken. Wenn so ein Bauer um neun Uhr am Skilift mit der Arbeit anfängt und bis siebzehn Uhr dort ist, ist er von morgens um fünf bis abends um neun Uhr voll dran.
Das klingt hart. Will die junge Generation noch so leben?
Berger: Im umliegenden Ausland sieht es nicht danach aus: Im Schwarzwald werden 80 Prozent der Betriebe im Nebenerwerb geführt. Dort ist der Trend zum Aufgeben sehr stark. Wir haben dank der höheren Direktzahlungen wenigstens eine gewisse Grundsicherheit. In meinen Augen ist eine Drittelung ideal: Ein Drittel Einkommen aus dem Nebenerwerb, ein Drittel aus der landwirtschaftlichen Produktion und ein Drittel Direktzahlungen. Aber das kann man natürlich nicht generell sagen.
Aus Berechnungen weiss man, dass die Produktion von einem Kilo Milch im Berggebiet 1,20 bis 2,10 Franken kostet. Der Bauer bekommt am Markt aber nur 60 bis 80 Rappen, den Rest steuern Direktzahlungen bei. Geht diese Rechnung noch auf?
Berger: Mit dem Gras, das hier wächst, haben wir nur die Möglichkeit Wiederkäuer zu halten und Milch oder Fleisch zu produzieren. Die naturbedingte Produktionserschwernis müssen wir dabei in Kauf nehmen. Beides kommt ganz klar teurer als im Tal. Aber wenn wir das dann verknüpfen mit der Offenhaltung der Landschaft, dem Beitrag zur dezentralen Besiedlung, dem Erhalt der Biodiversität und so weiter, dann müsste das Berggebiet eigentlich noch mehr Direktzahlungen erhalten.
Oder billiger produzieren.
Berger: Auf der Kostenseite besteht noch Nachholbedarf. Unter anderem sind die Maschinen sehr teuer. Der überbetriebliche Maschineneinsatz oder die Arbeit mit Lohnunternehmern steckt hier noch in den Anfängen. Bergbauern sind da etwas eigensinnig.
Weil sie unabhängig sein wollen?
Berger: Natürlich. Aber wenn jeder einen Vierradmäher und einen Selbstfahrladewagen hat, muss er dafür ohne Zusatzgeräte rund 300'000 Franken investieren.
Viel Geld. Müssten die Betriebe wachsen, um die teure Mechanisierung besser auszulasten?
Berger: Wer mehr Land bekommt, muss auch den Tierbestand anpassen. Er muss also auch in Gebäude investieren. Da könnte man eine Betriebszweiggemeinschaft machen oder gemeinsam einen Stall bauen. Aber die Bauern, die so etwas machen, sind noch in der Minderheit.
Das unterste Quartil der Bergbauern hat im 2010 nicht nur nichts verdient, sondern sogar draufgelegt...
Berger: Wir haben noch viele Betriebsleiter, die nie eine Ausbildung gemacht haben. Ein Teil des Negativergebnisses ist wohl auch auf Unvermögen zurückzuführen.
...das oberste Quartil konnte hingegen zulegen.
Berger: Es gibt Betriebe, die ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Man kann den Betrieb vergrössern, soweit es geht, die Kosten senken und mehr Wertschöpfung über die Produkte reinholen. Zum Beispiel gibt es junge Bergbauern, die die Milch bisher mehr oder weniger entsorgt haben und jetzt in die Alpkäserei einsteigen. Das können natürlich nicht alle. Denn erstens müssen sie eine Alp haben und zweitens finanzielle Mittel, um zu investieren.
Und drittens wächst der Käsekonsum nicht. Wer neu einsteigt, muss andere verdrängen.
Berger: Ich glaube nach wie vor an ein bescheidenes Wachstum beim Alpkäseabsatz. Weil es ein einmaliges Produkt ist. Schön wäre natürlich, wenn wir damit Importe verdrängen könnten.
Stattdessen verdrängen sich die Bauern gegenseitig: BO-Milch-Vorstandsmitglied Roland Werner hat kürzlich gesagt, dass diejenigen, die weniger als 80'000 Kilo Milch pro Jahr produzieren, aufhören sollen, damit andere wachsen können.
Berger: Ich finde es anmassend, wenn man das an der Grösse festmacht. Wir haben einige Betriebe mit 80'000 Kilo Milchlieferrecht, die in den guten Jahren investiert haben, richtig rechnen konnten, jetzt abgeschriebene Ställe haben und finanziell gut dastehen. Erst wenn sie wieder investieren müssen, stellt sich das Problem, dass sich das mit dem kleinem Lieferrecht nicht lohnt.
Und dann? Stellen diese Betriebe um oder geben sie auf?
Berger: Man muss nicht um jeden Preis an der Milchproduktion festhalten. Bei der Vertragsaufzucht und Mutterkuhhaltung hat das Berner Oberland noch ein gewisses Potential. Aber damit wir uns richtig verstehen: Ich erwarte auch in Zukunft noch eine produzierende Landwirtschaft in der Region.
Erwarten Sie eine Intensivierung zu Lasten der Ökologie?
Berger: Wenn Naturschützer behaupten, wir hätten eine zu intensive Landwirtschaft, dann stimmt das höchstens punktuell. Über das Ganze gesehen ist die Tierhaltung im Berggebiet nicht zu intensiv. Auch wenn es da und dort bei der Ökologie noch Nachholbedarf hat.
Dabei könnten die Bauern mit Ökologie mehr verdienen als mit Fleisch oder Milch.
Berger: Aber der Bauer kann nicht nur Ökowiesen bewirtschaften, er braucht auch produktive Flächen. Er muss ja die Strukturen, die er mit seinen Tieren hat, vernünftig auslasten. Dazu braucht er genügend qualitativ gutes Heu.
Die Agrarallianz möchte Quereinsteigern den Weg auf die Höfe nicht verbauen. Fehlt es an Querdenkern?
Berger: Sie sprechen jetzt konkret den Nebenerwerbskurs an. Ich finde, dass es für eine normale Betriebsübergabe ein Fähigkeitszeugnis braucht, eine dreijährige Lehre. Aber es hat immer wieder Leute, die einen Beruf gelernt haben, Lebenserfahrung mitbringen und sich erst spät für die Landwirtschaft entscheiden. Das sind unter Umständen absolut fähige Leute, ein Grossteil hat einen landwirtschaftlichen Hintergrund. Die richtigen Quereinsteiger machen etwa ein Drittel aus. Unter ihnen hat es echte Querdenker, die man einfach mal machen lassen müsste. Aber meistens können die nicht. Es ist sehr schwierig von aussen zu einem Betrieb zu kommen. Das bäuerliche Bodenrecht und die Vorzugsstellung der Betriebsübergabe innerhalb der Familie ist hier ein Problem. Wenn man hier etwas Konkurrenz schaffen könnte mit Quereinsteigern...
Sie meinen: Mehr Innovation statt Tradition?
Berger: Das Denken, das die Jungen von den Eltern mitbekommen, ist zuweilen etwas eng. Und wenn der Betrieb dann wächst, sind die Betriebsleiter voll in der Tretmühle drin und haben oft keine Kraft und Zeit mehr um grosse Visionen zu realisieren.
Dabei bräuchten sie auch Zeit und Energie für regionale Entwicklungsprojekte, Landschaftsqualitätsprojekte oder andere Vorhaben, bei denen der Bund Hilfe anbietet.
Berger: Da sind wir gefordert, dass wir im Rahmen von Weiterbildungskursen solche Sachen initiieren.
Unterdessen geht die Liberalisierung der Agrarmärkte weiter.
Berger: Bei den bilateralen Abkommen muss man am meisten Angst vor Brasilien haben. Das würde Druck auf die Fleischpreise geben. Und wenn die Fleischproduktion in der Schweiz im grossen Stil unrentabel wird, stehen wir vor der Frage: Was machen wir mit unserem Grasland?
Die landwirtschaftliche Forschungsanstalt hat schon mal ausgerechnet, dass es billiger wäre die Landschaft mit Mulchgeräten offen zu halten, als die Bauern zu unterstützen.
Berger: Die Geringschätzung von Nahrungsmitteln läuft in die völlig falsche Richtung. Der ganze aufgeblähte Dienstleistungssektor macht bei uns 70% der Bruttowertschöpfung aus, während die Produktion von Nahrungsmitteln nur noch 0,7% dazu beiträgt. Dabei geht es da doch um das wichtigste, nämlich um Lebensmittel! In hundert Jahren werden die Historiker die Köpfe schütteln und sich fragen, was das für eine Gesellschaft gewesen ist. Wenn es sie dann noch gibt.
