Als die Stiftung Pro Specie Rara Mitte der 80er Jahre Landwirte suchte, die sich für die Wiederansiedlung des Rätischen Grauviehs interessierten, befasste sich auch Ruedi Gmür aus Kaltbrunn SG mit dieser Idee. Der gelernte Koch war von mehrjährigen, beruflichen Auslandsaufenthalten in die Schweiz zurückgekehrt und hatte den Hof seines Vaters übernommen. Durch einen Radiobericht erfuhr Gmür mehr über die in der Schweiz verschwundene Rindviehrasse. Er informierte sich bei einem Berufskollegen über das Grauvieh, das mit Rauhfutter zufrieden ist und ohne Futterzukäufe, ohne Leistungsförderer auskommt. Kurz darauf beschloss Gmür, zunächst sechs Kühe und einen Stier zu kaufen, die von der Pro Specie Rara aus dem Tirol in die Schweiz geholt wurden.
Das Grauvieh ist wirtschaftlich interessant
"Weil das Rätische Grauvieh genügsam und vor allem für die steilen Weiden im Berggebiet geeignet ist, fiel der Entschluss für diese Rasse leicht", meint der St. Galler Landwirt heute rückblickend. Er bewirtschaftet einen Betrieb hoch über der Linthebene auf etwa 840 Metern über Meer. Anfangs habe er seine braunen Kühe behalten, um sie mit dem Grauvieh zu vergleichen. Mit demselben Futter und auf denselben Weiden erbrachten die Braunen aber spürbar geringere Milchleistungen als die Kühe aus dem Tirol. Es seien also durchaus wirtschaftliche Ueberlegungen gewesen, die für das Grauvieh gesprochen hätten. Das Tier passe auch ausgezeichnet zur biologischen Bewirtschaftungsmethode. Letztlich brauche es aber auch hier ein Stück Idealismus, räumt der Landwirt ein.
Inzwischen hält der 46jährige Bauer durchschnittlich elf bis 12 Kühe und auch Jungvieh. Dabei konzentriert er sich auf die Aufzucht und die Kälber. Als einer der ersten Grauvieh-Züchter sei er in der ganzen Schweiz fast ein bisschen bekanntgeworden, meint Gmür. Zwar hätten viele seiner Berufskollegen wenig Verständnis für das Grauvieh aufbringen können, ihn und andere Grauviehzüchter schief angesehen, doch heute sei die Rasse in der Schweiz anerkannt.
Genossenschaft seit 1992
Dazu hat auch Gmür seinen Beitrag geleistet. Er half mit, den 1990 gegründeten Grauviehzüchterverein 1992 in die Genossenschaft der Grauviehzüchter (GdG) zu überführen, die er seit 1999 auch präsidiert. Die GdG organisiert die Zucht und führt das Herdebuch. Nebst der Abstammungskontrolle und der linearen Beschreibung, das heisst der Beurteilung des Rindes nach äusserlichen
Kriterien bezüglich Format, Fundament, Euter und Zitzen, werden auch Leistungsprüfungen bei Milch, Melkbarkeit und Fleisch angeboten.
LID-Sommerserie (1): Tierreservoir Landwirtschaft
LID. Auf den Bauernhöfen leben heute nicht mehr so viele verschiedene Tiere wie früher. Viele Tierrassen sind selten geworden, weil die Bauern unter einem steigenden ökonomischen Druck arbeiten müssen. Für weniger produktive Rassen bleibt kaum noch Platz. In der Landwirtschaft werden deshalb, zusammen mit der Organisation Pro Specie Rara, Anstrengungen unternommen, um gefährdete Nutztierrassen zu erhalten. Einige davon stellt die LID-Sommerserie vor.
Gleichzeitig ist die Landwirtschaft in den letzten Jahren ökologischer geworden und ermöglicht es damit freilebenden Tieren, die vom Aussterben bedroht sind, sich wieder vermehrt anzusiedeln. Auch solche Tiere stellt die Serie vor.
Milch, Mast, Mutterkühe
Die GdG gehört auch dem Züchterverband der Pro Specie Rara an, der die Interessen der Grauviehzüchter gegenüber dem Bundesamt für Landwirtschaft vertritt und vom Bund auch entsprechende Beiträge erhält. "Heute leben rund 600 Tiere auf etwa 180 Betrieben, die meist Mutterkuhhaltung, aber auch Kälbermast betreiben und vereinzelt sogar Verkehrsmilch produzieren", weiss Gmür.
Das Grauvieh, das naturgemäss vor allem auf den bergigen Weiden der Kantone Graubünden, Bern, Luzern, St. Gallen oder Appenzell anzutreffen ist, hat unter den gefährdeten Nutztierrassen noch vor den Hinterwälder-Rindern beispielsweise die grösste Verbreitung gefunden.
In gewissem Sinne knüpft Gmür an eine alte Tradition an. Sein Grossvater habe noch ähnliche, kleinrahmige Kühe gehalten, weiss der Landwirt aus mündlichen Überlieferungen und zeigt ein altes Familienfoto. Dass er Freude am Grauvieh mit dem stark fuchsigen Stirnschopf und dem eisengrauen bis graugelbem Fell hat, kann er nicht verbergen. Nach wie vor ist Gmür überzeugt, dass das Grauvieh mit einer Widerristhöhe von 1,16 bis 1,23 Metern dem ursprünglich in Graubünden stark verbreiteten Tierbestand am ehesten entspricht.
Vom Kreuzungsprodukt zum Zweinutzungsrind
si. Die Ursprünge des Rätischen Grauviehs reichen weit zurück in die Zeit der Völkerwanderung. Als Kreuzungsprodukt wurde es immer wieder den Einflüssen neuer Kulturen ausgesetzt, von den Pfahlbauern über die Kelten und Alemannen bis zu den Walsern, die ihr Vieh mitbrachten.
Im Kanton Graubünden war das Rätische Grauvieh noch vor 100 Jahren stark verbreitet. Die einzelnen Tiere variierten stark in Form und Farbe, von eisengrau, silbergrau über dunkelgrau bis graugelb. Die kleinrahmigen Tiere galten als ausgesprochene Dreinutzungstiere für Arbeit, Milch und Fleisch. In der Schweiz ging diese Rindviehrasse in den 1920er Jahren schliesslich in der Braunviehpopulation auf, während sie sich im Tirol bis heute halten konnte.
Das heutige Grauvieh ist ein kleines Tier mit einer Widerristhöhe von 116 bis 123 Zentimetern bei Kühen und von 120 bis 128 Zentimetern bei Stieren. Die Tiere wiegen 350 bis 500 Kilogramm beziehungsweise 500 bis 700 Kilogramm, sind anspruchslos und anpassungsfähig. Beim robusten und langlebigen Rind schätzen Züchter vor allem die gute Umsetzung von Rauhfutter in Milch und Fleisch.
Das Grauvieh wird heute deshalb als Zweinutzungsrind bezeichnet, das sich besonders für die Haltung auf extremen und extensiven Weiden im Berggebiet eignet. Mit ausschliesslichen Rauhfuttergaben erreicht das Tier eine jährliche Milchleistung von 3‘500 Kilogramm, und es ist für sein feinfaseriges Fleisch bekannt. Selbst in extensiver Haltung zeichnet sich das Grauvieh durch eine gute Gewichtszunahme und eine hervorragende Schlachtausbeute aus.
Ideal für extensive Nutzung
Der engagierte Züchter hofft umso mehr, dass der wiederangesiedelten Rasse nicht das gleiche Schicksal widerfahren wird, wie dem Original-Braunvieh vor 25 Jahren, als es mit den leistungsstärkeren Brown-Swiss-Kühen gekreuzt wurde. Nicht Leistung um jeden Preis dürfe die Devise lauten, sondern die Lebensleistung soll vermehrt im Vordergrund stehen. Das Grauvieh folge, trotz unterschiedlicher Ansichten in der Genossenschaft über dessen weitere Zucht, weitgehend dem Trend nach einer extensiveren Landwirtschaft. Deshalb plädiert der Präsident der Züchtergenossenschaft auch für eine flexible und offene Nutzung der Tiere, damit sie in der Schweiz eine weitere Verbreitung finden.
Bild 1: Das Rätische Vieh ist ein kleines, leichtes, aber robustes und langlebiges Rind, das dem Extensivierungsgedanken der Landwirtschaft entspricht.
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Bild 2: Ruedi Gmür, Präsident der Grauviehzüchter, mit einem seiner Tiere | |
Bild 3: Die Aufzucht und Kälbermast steht beim Grauvieh im Vordergrund |
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