Auf den ersten Blick ist alles in Ordnung: Die Delegierten des Dachverbandes Schweizer Milchproduzenten (SMP) haben am 19. November in Bern alle Anträge des Vorstandes mit sehr deutlichen Mehrheiten angenommen. Sie sagten vier Mal Ja:
- Ja zu einer höheren Abgabe pro Kilo Milch (1 Rappen statt 0,5 Rappen) bis Ende Jahr, um die derzeitigen Milchüberschüsse zu verwerten;
- Ja zur Überführung des SMP-Milchstützungsfonds in einen Interventionsfonds, der für die Krisenintervention bei Butterüberschüssen gedacht ist;
- Ja zum Begehren an den Bundesrat, die Allgemeinverbindlichkeit der Abgaben zu verlängern. Das heisst, auch künftig sollen sowohl SMP-Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder – etwa zwei Prozent aller Milchproduzenten – die Abgaben bezahlen müssen.
- Ja zur so genannten Segmentierung des Marktes. Das heisst: Auf überschüssige Milch soll eine zusätzliche Abgabe erhoben werden. "Wer überproportional zu Überschüssen beiträgt, soll verursachergerecht auch einen höheren Beitrag an die Verwertung der Überschüsse leisten müssen", hiess es dazu in Bern.
Keine Handhabe
Das Problem ist: An den letzten Punkt wird sich im Milchmarkt voraussichtlich niemand halten, obwohl er aus Sicht der Milchproduzenten der wichtigste ist. Denn um diese Segmentierung durchzusetzen, müsste die SMP auch dafür vom Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit erhalten. Aufgrund der geltenden Gesetze ist dies praktisch chancenlos. "Die Unsicherheit besteht, dass die Verarbeiter diese Segmentierung auf eigene Verantwortung durchführen müssen", sagte SMP-Direktor Albert Rösti vor den Medien. Die SMP selber habe hier keine Handhabe. Ohne die Gewähr, dass alle im Markt die Abgaben erheben müssen, wird niemand die Abgaben erheben: Keiner der regionalen Milchhändler wird seinen Milchbauern den Milchpreis kürzen wollen für eine Massnahme, die wirkungslos verpufft, weil nicht alle mithelfen.
Wie es rauskommt, wenn die SMP keine Handhabe hat und wie weit entfernt die Beschlüsse innerhalb der SMP von den realen Vorgängen und Eigendynamiken im Milchmarkt entfernt sind, hat sich schon in den letzten Monaten gezeigt: Eine Basisumfrage der SMP blieb folgenlos. Von der Idee, das Milchangebot mit einem nationalen Milchpool zu bündeln, das auch in der Umfrage mit einer grossen Mehrheit gefordert wurde, ist nichts geblieben. Und die nächstbeste Lösung, ein Branchenmodell, wie es jetzt die Delegiertenversammlung beschlossen hat, wurde zwar im SMP-Vorstand abgesegnet. Gleichzeitig aber gründete ein Teil der SMP-Vorstandsmitglieder gemeinsam mit den grossen Milchverarbeitern und hinter dem Rücken der SMP den neuen "Verein Schweizer Milch" (VSM).
Ein Sog in Richtung VSM?
lid. Der neue "Verein Schweizer Milch" hat als Mitglieder die vier grossen Milchverarbeiter Emmi, Cremo, Elsa und Hochdorf sowie die Molkereien Züger, Strähl und Vallait. Von Seiten der Milchverarbeiter sind die MIBA, verschiedene Direktlieferanten-Organisationen von Emmi, Cremo und Elsa, die Thur Milch Ring AG sowie die ZMP dabei. Der ZMP-Vorstand hatte sich in letzter Minute entschieden, mitzumachen, gegen den Willen einer kleinen Minderheit um Präsident Moritz Erni. Damit habe man den Auftrag der Basis, gemeinsam mit der SMP verschiedene Modelle zu prüfen, übergangen, erklärte Erni gegenüber dem LID. Die Nordostmilch will nur unter bestimmten Bedingungen und später beitreten.
Von den grösseren Produzentenorganisationen nicht dabei sind die Westschweizer Prolait und die Berner Lobag Milch AG. Deren Verwaltungsratspräsident Christian von Känel erklärte gegenüber dem LID, man wolle nun abwarten, wie sich der VSM entwickle und nicht bedingungslos beitreten. So müssten bei der Verteilung der Vertragsmengen alle Organisationen gleichberechtigt sein. Für Bemo-Präsident Christian Burren, bereits im VSM aktiv, ist allerdings klar: "Die Lobag wird auch bald dem VSM beitreten, sonst wird sie nicht mehr lange existieren."
Verarbeiter am Drücker Ebendieser Verein schwebte wie ein Schatten über der ganzen Veranstaltung. VSM-Präsident und ELSA-Einkäufer Alexander Briw hatte nach der Gründung mit provokativen Äusserungen und mit der Aussage, der Milchpreis müsse um bis zu 20 Rappen sinken, die Milchbauern verärgert. Daniel Jenni, Präsident des Milchverbandes MIBA, der beim VSM dabei ist, bemühte sich in Bern, zu beschwichtigen. Der VSM solle an der ersten Delegiertenversammlung in eine Branchenorganisation umgewandelt werden, in der die Marktakteure gemeinsam Regeln festsetzen. Dass die SMP – weil sie kein Marktakteur ist – dabei nicht erwünscht ist, machte die VSM schon letztes Wochenende klar: Sie beschied der SMP, die zu Preisgesprächen eingeladen hatte, man werde mit ihr nicht mehr über Preise verhandeln.
Kampf um die Vertragsmengen
Dieses Vorgehen lasse nur den Schluss zu, dass die Milchindustrie ohne Richtpreisverhandlungen leichteres Spiel habe, die zahlreichen Handelsorganisationen gegeneinander auszuspielen, sagte SMP-Präsident Peter Gfeller. Er erwarte jetzt von den Delegierten "die Offenheit Ihrer Gedanken und Vorstellungen, weil zwar schon vieles gesagt, das letzte Wort im Hinblick auf die zukünftige Milchmarktordnung aber noch nicht gefallen ist." Transparenz sei nötig, um zu erkennen, welche Lösungsbereitschaft hinter jedem Pokerface stehe und welche Kompromissbereitschaft vorhanden sei. Genau das kann Gfeller wohl nicht mehr erwarten, denn hinter den Kulissen tobt längst ein Kampf "Jeder gegen jeden" um die Milch. Jeder der regionalen Milchhändler will zum Zeitpunkt, wenn die Kontingentierung fällt, eine möglichst grosse Menge unter Dach und Fach haben. Jeder hat den eigenen relativen Vorteil gegenüber der Kon- kurrenz im Auge, zum Beispiel, indem im VSM mit der Industrie zusammengearbeitet wird (siehe Kasten). Mit der Folge, dass die Milchpreise wohl letztlich auf ein Niveau absacken werden, von dem die Verarbeiter bisher nur träumen konnten. Ernüchtert zitierte SMP-Präsident Gfeller in Bern aus der Wirtschaftszeitschrift" Stocks": "Die Margen von Emmi dürften 2009 steigen. Die Aktie bleibt ein Kauf." Ernüchtert auch die Antwort von Direktor Albert Rösti auf die Frage "Wie viel Macht hat die SMP?": "Wir haben so viel Macht, wie Sie uns geben." Siehe auch: "Die Milchverarbeiter übernehmen ab Mai 2009 das Ruder" im LID-Mediendienst Nr. 2894 vom 10. November 2008.
