Die Nachfrage nach Lebensmitteln aus dem Biolandbau ist nach Auffassung der Wissenschafter Ulrich Hamm von der Fachhochschule Neubrandenburg (D) und Johannes Michelsen, Universität Süddänemark, europaweit nicht der begrenzende Faktor in der Marktentwicklung, wie aus einem Artikel der Nachrichtenagentur Agra-Europe (AgE) hervorgeht. Ihre Aussage stützen sie auf ihre Studie über die Entwicklung des Marktes für Bio-Lebensmittel in der Europäischen Union (EU), der Schweiz, Norwegen, und der Tschechischen Republik. Allerdings seien der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten Grenzen gesetzt. Für viele verarbeitete Produkte liege die Schwelle bei einem Preisaufschlag von 20 bis 30 Prozent gegenüber vergleichbaren konventionellen Produkten, bei unverarbeiteten frischen Produkten wie Obst und Gemüse bei etwa 50 %.
Mangel an Markttransparenz
Von grosser Bedeutung für die Marktentwicklung ist nach Auffassung der Wissenschafter eine einheitliche Kennzeichnung von Biolebensmitteln, anhand derer Konsumenten die Produkte eindeutig erkennen können. Die Analyse ergab, dass nicht das Vorhandensein eines nationalen Logos der entscheidende Faktor ist, sondern dessen möglichst hundertprozentige Verwendung im Markt. Ferner fanden die Experten heraus, dass breite Konsumentenschichten in den meisten europäischen Ländern den Einkauf von Bioprodukten in ihren gewohnten Einkaufsstätten bevorzugen, in erster Linie im allgemeinen Lebensmittelhandel. Wird dieser Absatzkanal von den Anbietern nicht ausreichend erschlossen, so wird dadurch das Marktwachstum begrenzt.
Weiter stellten die Wissenschafter bei ihren Untersuchungen fest, dass sich der Markt für Bio-Lebensmittel in Europa durch eine sehr geringe Markttransparenz auszeichnet. Weil offizielle Statistiken fehlen und Informationen über Angebotsmengen und –preise in allen untersuchten Ländern unzureichend sind, erfolgt der überre-gionale Austausch der Produkte nur unvollkommen. So dürfte das verfügbare Angebot das Marktwachstum in Grossbritannien und Norwegen in den letzten Jahren deutlich begrenzt haben, obwohl zum gleichen Zeitpunkt Landwirte in anderen europäischen Ländern Absatzprobleme hatten. Ein weiteres Zeichen für die geringe Markttransparenz sind die im Rahmen der Studie ermittelten Preisunterschiede selbst zwischen benachbarten Ländern, die sehr viel grösser als die jeweiligen Transportkosten für die Produkte sind und die – wenn überhaupt – nur zu einem geringen Teil auf Verbraucherpräferenzen für besondere regionale Herkünfte zurückzuführen sein dürften.
Hohes Angebot an Milch und Rindfleisch
In der Angebotsstruktur machten die Wissenschafter europaweit ein – gemessen an der Nachfrage – hohes Angebot an Milch und Rindfleisch gegenüber einem zu geringen Angebot an Obst, Gemüse, Eiern und Geflügelfleisch aus. Trotz der starken Nachfrage nach Obst und Gemüse und den in vielen Ländern deutlich höheren Flächenprämien für Sonderkulturen kann das Angebot die Nachfrage in Europa kaum decken, und es kommt immer wieder zu Versorgungsengpässen. Die Flächenprämien wiesen zudem innerhalb der EU erhebliche Unterschiede au, was nach Auffassung der Wissenschafter zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt.
Die wichtigste Produktgruppe unter den Bio-Lebensmitteln ist nach den für die Studie erhobenen Daten das Gemüse. Dahinter rangieren Getreide, Milch, Kartoffeln und Obst. Bei den meisten Erzeugnissen aus dem Biolandbau gibt es keine Absatzprobleme. Die höchsten Wachstumsraten wurden in den letzten fünf Jahren mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs sowie mit Wein erzielt. Das führen die Wissenschafter unter anderem auf die in diesen Bereichen aufgedeckten Lebensmittelskandale zurück.
Grosse Chancen auch für Entwicklungsländer
LID. Eine Studie des Internationalen Handelszentrums (ITC) sieht im Markt für Bio-Produkte eine grosse Chance für Entwicklungsländer. In einigen Jahren werden demnach zehn Prozent aller weltweit verkauften Lebensmittel Öko-Produkte (= Bio-Produkte) sein, gegenüber nur einem Prozent heute. Grösstes Wachstumspotenzial im Öko-Bereich sehen die Autoren der Studie in Skandinavien, der Schweiz, Deutschland und Grossbritannien.
Grösster Markt für Bio-Produkte ist derzeit die EU, in der 1997 Bio-Produkte für über 5 Mrd. Dollar verkauft worden. Auch die Schweiz gehörte mit 350 Millionen Dollar zu den Spitzenmärkten. Es gebe keine Zweifel, dass die Weltmärkte für Bio-Produkte Entwicklungsländern gute Exportchancen einräumten, wird in der Studie betont. Zu den Schlüsselfaktoren für die Produzentenländer gehörten Zertifikation und technisches Know-how.
Negativer Einfluss der Bauernverbände
Eine wesentliche Triebkraft für die Marktentwicklung stellten Produktionssubventionen dar. Die in der EU angebotenen Flächenprämien für den Biolandbau haben die Marktentwicklung in nahezu allen Mitgliedstaaten gefördert. Dagegen haben die allgemeinen Bauernverbände in vielen europäischen Ländern insbesondere in der ersten Hälfte der neunziger Jahre einen negativen Einfluss auf die Marktentwicklung ausgeübt, indem sie gegen den Biolandbau polemisierten, die positiven externen Effekte negierten und den Biolandbau als Rückschritt bezeichneten. Das Blatt habe sich zwar inzwischen gewendet, ausserhalb Skandinaviens gebe es aber noch immer keinen nationalen Bauernverband, der seinen Mitgliedern Betriebsumstellungen regelrecht empfiehlt, um die Marktchancen zu nutzen.
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