
„Bio oder regional“, „mit Laktose oder ohne Gluten“: diese Fragen beschäftigen die Konsumenten in der Schweiz hinsichtlich einer täglichen Gewohnheit – dem Essen. Die „Food-Beraterin“ Alessandra Roversi ist am Eco-Naturkongress in Basel auf die unterschiedlichen Trends und Meinungen zum Thema Essen im 21. Jahrhundert eingegangen.
Essen ist heute Individualismus
Lebensmittel werden in unserer Zeit nicht mehr ausschliesslich als Notwendigkeit zum Überleben betrachtet, vielmehr geht es um die Qualität des Produkts. In der Schweiz, wo Hungersnöte weit zurückliegen, besteht ein grosses Bedürfnis seitens der Konsumenten, in hochwertige Lebensmittel zu investieren.
Dieses Begehren nach Qualität und einem Mehrwert in den Lebensmitteln stellt die Konsumenten aber vor neue, unbekannte Fragen. Zum Beispiel ob dieses Produkt zu viele Pestizide enthält oder ob jenes Produkt das Krebsrisiko mindert. Das verkompliziert die Thematik rund ums Essen und führt zu einer Individualisierung der Esskultur, so dass sich jeder seine ganz persönliche Diät zusammenstellt. Für manche bedeutet das ohne Laktose und Gluten oder mit Fleisch und viel Bio, für andere einfach das teuerste.
Im Vergleich zu früher, als besonders das familiäre Umfeld und der eigene Kulturkreis die Ernährung beeinflussten, fällt heute die Ess-Entscheidung mit den persönlichen Kriterien viel mehr ins Gewicht. Neuerdings gilt nicht nur, was die Eltern zum Thema Ernährung sagen, sondern neue Faktoren wie Moral, Herstellungsart oder Herkunft bestimmen mit.
Die zunehmende Unsicherheit, ob ein Lebensmittel gut oder schlecht für einen selbst oder die Umwelt ist, wird unter anderem durch Labels gestillt. Diese helfen einem dabei, sicher zu sein, dass ein Produkt zum Beispiel fair produziert wurde oder aus der eigenen Region kommt.
Essen ist mehr als nur Essen
In der Nahrungsmittelindustrie ist dieser Kulturwandel im Bereich Ernährung angekommen und richtet sich immer wie mehr auf die Generation der Millennials, auch Generation Y, aus. Diese jungen Erwachsenen sind förmlich besessen vom Thema Essen. Laut Alessandra Roversi geben die sogenannten „Foodies“ mehr Geld für Essen als Kleidung aus, besuchen leidenschaftlich gern Kochkurse und interessieren sich für die authentische Herstellung von Lebensmitteln.
Anstatt dass man gemeinsam am Küchentisch mit demselben Gericht im Teller sitzt, wird jetzt das eigene Abendmahl auf den sozialen Netzwerken via Instagram vorgestellt oder auf Snapchat kurz erklärt. Die neuen Foodtrends wie Quorn, Chia-Samen und Kale-Chips werden dann in den Kommentaren reichlich ausdiskutiert.
Alessandra Roversi erklärt, dass bei dieser Essenskultur vor allem der Spass und der Genuss im Vordergrund stehen. Es fehlt aber gänzlich an einer persönlichen Auseinandersetzung mit den Folgen der individualisierten Ernährung. Zum Vergleich besuchen tausende ein Street-Food-Festival, aber kaum mehr als 20 nehmen an einer Debatte zum Thema Bodenunfruchtbarkeit teil. „Die Landwirtschaftspolitik, der Milchpreis und das Recht auf Essen sind viel schwieriger auf Instagram zu posten als die neuen Kale-Chips“, verdeutlicht Roversi.
Gemäss einer Umfrage von Coop steht für die Konsumenten der Genuss beim Essen an oberster Stelle. Auch die Bewegung Slow Food beschäftigt sich damit, denn für sie gilt das Recht des Genusses. Slow Food ist regional und vielfältig im Vergleich zum künstlichen und ungesunden Fast Food. Slow Food möchte eine Brücke zwischen dem persönlichen Geniessen und der eigenen Verantwortung gegenüber der Umwelt und Gesellschaft schlagen.
Hierbei geht es vor allem darum, den modernen Konsumenten Alternativen zu bieten. Alessandra Roversi sieht hier die Rolle der Politik als zentral und nennt das Beispiel von Abendmärkten in Genf. Die Kundschaft, die normalerweise nach der Arbeit noch in die Supermärkte geht, kann stattdessen abends frisches Gemüse und Obst vom lokalen Produzenten kaufen. Eine solche politische Intervention stärkt die soziale Verantwortung der Konsumenten ohne auf Kosten des Genusses zu gehen.
Die Slow Food-Bewegung
Slow Food ist eine Bewegung, die für gute, saubere und fair gehandelte Lebensmittel einsteht. Slow Food postuliert ein Recht auf gutes Essen für alle und fordert dazu auf, seine soziale und ökologische Verantwortung wahrzunehmen. Vor über 30 Jahren in Italien lanciert, ist Slow Food heute weltweit in 150 Ländern vertreten. Slow Food Schweiz wurde 1993 gegründet und zählt heute 4000 Mitglieder.
www.slowfood.ch
