Die Aufhebung der Milchkontingentierung ist zwar Geschichte. Doch diese Geschichte beschäftigt die Bauern weiterhin. Erst kürzlich bestätigte das Bundesverwaltungsgericht z.B. die Busse des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) gegen die Produzentenorganisation Ostschweiz (PO Ostschweiz). Die darin zusammengeschlossenen Lieferanten des Milchhändlers Walter Arnold müssen nun 1,6 Mio. Franken in die Bundeskasse überweisen, weil sie im Vorfeld des Ausstiegs aus der Milchkontingentierung die Milchmenge nicht nur um zehn, sondern um beinahe zwanzig Prozent ausgedehnt haben. Insgesamt brachten sie rund 20 Mio. Kilo Milch mehr auf den Markt als vom Bund bewilligt. Dass einige Milchproduzenten, die zur PO Ostschweiz wechselten, ihr Milchlieferrecht bei der alten Organisation lassen mussten, war für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund die nicht-bewilligten Mehrmengen trotzdem zu vermarkten. Zumal nie jemand meldete, dass er sein Lieferrecht nicht mitnehmen könne und das ohnehin gegen die Verordnung verstossen hätte. Es würde ja bedeuten, dass sich bei einem Produzentenwechsel die Milchmenge jeweils verdoppelt. Wie zum Trost stellte das BLW der PO Ostschweiz aber nur acht Rappen pro Kilo zu viel vermarkteter Milch in Rechnung – während andere Organisationen zehn Rappen Busse zahlen müssen. Mit diesem Preisnachlass sollten "die speziellen Bemühungen zur Verwertung der überschüssigen Milch im Export" gewürdigt werden.
Emmi wollte mehr – die Bauern lieferten
Im Juni 2008 – kurz nachdem die Bauern eine deutliche Erhöhung des Milchpreises erstreikt hatten – reichte Milchverarbeiter Emmi beim Bund ein Mehrmengenprojekt mit 22 Mio. Kilo Milch ein. Das BLW gab grünes Licht. Doch später wurde die bewilligte Milchmenge um die Hälfte reduziert. Das wussten die Produzenten-Milchverwerter-Organisationen (PMO) von Emmi spätestens ein paar Wochen nachdem ihre Mehrmengengesuche beim BLW eingetroffen waren. Allerdings war es da bereits Dezember und das Milchjahr, das jeweils bis 1.Mai dauerte, zum grössten Teil gelaufen. Die Bauern und ihre Kühe hatten sich unterdessen auf Mehrmengen eingeschworen, sie lieferten die Milch trotzdem. Die PMO-Verantwortlichen hofften offenbar, dass die "Rollmengen" von fünf Prozent Unter- bzw. Überlieferung, die gemäss ihrem (vom BLW genehmigten) Reglement allen Mitgliedern zustehen, auch für die Organisation als Ganzes gelten. Dieser Trugschluss geht nun ins Geld: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Busse von 233'000 Franken für die PMO Zentral-/Nord und Ostschweiz (ZeNoOs), weil sie im Milchjahr 2008/09 vier Millionen Kilo Milch zu viel in den Verkehr gebracht hat. Auch die Berner Emmi-Milchproduzenten (BEMO) kommen um die Busse von 370'000 Franken nicht herum; sie lieferten Emmi fast sechs Mio. Kilo Milch mehr als erlaubt. Die Emmi-Mittellandmolkerei-Lieferanten (Mimo) werden mit 42'000 Franken zur Kasse gebeten.
Jede dritte Organisation gebüsst
Sie sind nicht allein: 13 der 39 Ausstiegsorganisationen erhielten vom BLW Bussen in Höhe von total 4,6 Mio. Franken aufgebrummt, weil sie entweder ihr Produktionspotential überschritten (gesamthaft um 53 Mio. Kilo), oder aber Mehrmengenprojekte nicht wie vorgesehen umsetzten (27 Mio. Kilo). Neun Organisationen haben die Bussen des BLW beim Bundesverwaltungsgericht angefochten, eine Beschwerde wurde zurückgezogen. Sechs Urteile wurden inzwischen veröffentlicht. Grundsätzlich wurde die Bussen-Praxis des BLW gestützt, in zwei Fällen jedoch der Betrag reduziert.
Zum Beispiel bei Cremo: Der zweitgrösste Milchverarbeiter der Schweiz wollte im Milchjahr 2008/09 die Produktion um sechs Prozent ausdehnen und 27 Mio. Kilo Milch zusätzlich verarbeiten. Die Société des producteurs et des transformateurs Cremo (SPTC) reichte Mitte Juni ein Gesuch über 14 Mio Kilo Mehrmenge ein, das vom BLW bewilligt wurde. Bis Ende Milchjahr hat Cremo aber nur 6,5 Mio. Kilo exportiert. Die SPTC gab die Schuld dafür dem desolaten Milchmarkt, der fehlenden Nachfrage auf den Märkten, technischen Problemen bei der Herstellung von Proteinkonzentrat und dem Milchstreik, der zu einer Preiserhöhung geführt und damit den Absatz erschwert haben soll. Zudem sei die Cremo mit der Marktabräumungsaktion des Bundes voll ausgelastet gewesen und hätte deshalb ihr Kanadaprojekt erst im "fünften Quartal", also nach Ablauf des Milchjahres, in Angriff nehmen können.
Mit Mehrmengen zur Überproduktion
Mit Mehrmengen zur Überproduktion Um die Bauern für die Zeit nach der Milchkontingentierung vorzubereiten, erlaubte der Bund vom 1.Mai 2006 bis zum 31. April 2009 die Produktion von Mehrmengen. Dabei mussten Ausstiegsorganisationen, also Produzenten-Organisationen (PO) oder Produzenten-Milchverwerter-Organisationen (PMO), beim BLW einen Antrag stellen und aufzeigen, wie sie mit diesen Mehrmengen neue Märkte, vor allem im Export, erschliessen wollen. Die meisten Ausstiegsorganisationen machten rege von dieser Möglichkeit Gebrauch. Das BLW bewilligte anfänglich recht grosszügig. Im Milchjahr 2007/08 wurden z.B. von 136 Gesuchen 135 bewilligt, wobei rund ein Viertel der Mehrmenge für Inlandprojekte vorgesehen war. Erst in der zweiten Hälfte des Milchjahrs 2008/09 trat der Bund auf die Bremse. Doch da hatten die Bauern ihre Viehbestände bereits aufgestockt. Der Milchmarkt quoll über und die Butterberge türmten sich. Noch heute machen den Bauern die damals aufgebauten Produktionskapazitäten zu schaffen.
Das BLW halbierte nichtsdestotrotz die bewilligte Mehrmenge nachträglich mit der Begründung, dass mit einem Teil der Mehrmenge der Inlandmarkt belastet wurde und der andere Teil, der eigentlich für den Export nach Kanada vorgesehen war, im Rahmen der von der Branche beschlossenen Fünf-Prozent-Marktabräumung zu Milchpulver verarbeitet und exportiert wurde. Diese Milch hat damit den Absatzkanal für Binnenprodukte belegt und schlussendlich ebenfalls den Inlandmarkt belastet. Das Gericht akzeptierte dagegen Probleme im Export und reduzierte die Busse von 900'000 auf 700'000 Franken.
In die Migros statt in den Export
Auch die PMO GAE et Estavayer Lait SA, die den Migros-Verarbeitungsbetrieb Elsa beliefert, wollte den Milchstreik für ihren Misserfolg im Export verantwortlich machen. Dabei hat die Elsa das ursprüngliche Mehrmengenprojekt in Höhe von 18 Mio. Kilo redimensioniert und im Herbst 2008 – drei Monate nach dem Milchstreik – mit "nur" 6,5 Mio. Kilo eingereicht. Neun Zehntel davon lieferte die PMO. Sie kassierte dafür eine Busse von 170'000 Franken. Nicht wegen Überschreitung des Produktionspotentials, sondern weil drei der rund fünf Mio. Kilo Milch nicht projektkonform verwendet wurden. Statt als Käse in der EU landete ein Teil der Mehrmengenmilch als Vollmilchpulver auf dem Weltmarkt wo sie Schweizer Abräummilch konkurrenzierte. Der andere Teil wurde zu ganz normalen Produkten verarbeitet, wie Elsa zugab. Die Mehrmengen-Milch für den Export landete letzten Endes in den Regalen der Migros.
Für die Bauern ist das bitter: Sie lieferten zuerst billige Mehrmengen-Milch um damit neue Absatzmärkte im Ausland aufzubauen. Dann wurden damit Konkurrenz-Produkte produziert, die auf die Milchpreise drückten. Und nun müssen sie auch noch die Bussen dafür bezahlen. Denn Mehrmengengesuche wurden von den Ausstiegsorganisationen eingereicht, also den Bauern. Dass die Verarbeiter für die Bussen aufkommen, ist kaum zu erwarten. Auch wenn sich Emmi-Mediensprecherin Sibylle Umiker bemüht mitzuteilen: " Das weitere Vorgehen bezüglich der daraus resultierenden Kosten wird nach Analyse des Urteils zwischen Emmi und den Organisationen intern geregelt."
