Soll ein Landwirt Gebäude oder Gebäudeteile, die er nicht mehr für die landwirtschaftliche Tätigkeit benötigt, zu Wohnungen, Werkstätten, Gewächshäusern, Masthallen oder zu andern Zwecken umbauen dürfen, oder muss er sie verlottern und zerfallen lassen? Die Frage trennt die Geister in der Schweiz seit mindestens sechs Jahren, wird National- und Ständerat im Dezember erneut beschäftigen und muss wahrscheinlich im kommenden Jahr an der Urne entschieden werden. Denn noch bevor die eidgenössischen Räte im Dezember ihre Differenzen bei der entsprechenden Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) bereinigen werden, steht das Referendum bereits so gut wie fest. Als erste Gruppierung hat der Vorstand der Kleinbauernvereinigung VKMB am 1. November beschlossen, bei Beginn der entsprechenden Frist sofort mit der Unterschschrifensammlung zu beginnen; die Unterstützung durch zahlreiche Organisationen aus dem Bereich Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutz ist der VKMB gewiss. Daran, dass die erforderlichen 50,000 Unterschriften innert drei Monaten zustandekommen, zweifelt kaum jemand.
Angst vor Hors-sol-Landschaften
Damit ist eine öffentliche Auseinandersetzung um emotionale Werte wie Landschaftsbilder und Schlagworte wie Tierfabriken programmiert. Stein des Anstosses ist nämlich vor allem die in der RPG-Revisionsvorlage unterbliebene Unterscheidung zwischen bodenabhängiger und bodenunabhängiger Produktion: Dadurch werde, so die Gegner, die Trennung von Landwirtschafts- und Bauzone durchlöchert, einer Verunstaltung der Landschaft durch Hors-sol-Gewächshäuser und Masthallen würden Tür und Tor geöffnet. Ein Szenario, das breite Bevölkerungsschichten erschrecken dürfte. VKMB-Copräsident Alois Rölli lässt denn auch keinen Zweifel darüber offen, wo die Referendumsführer die bevorzugte Angriffsfläche in der RPG-Revision sehen: "Dass die Nutzung landwirtschaftlicher Bauten nicht mehr an die Bewirtschaftung von Boden gebunden sein soll, ist der Hauptgrund für unseren Widerstand," erläuterte er Anfang November an einer Pressekonferenz den Referendumsentscheid seines Vorstands.
Kantone in der Verantwortung
Verschiedene sachliche Argumente sprechen freilich nach Ansicht von Bauernorganisationen wie auch zum Teil von Raumplanungsexperten dagegen, dass die heraufbeschworenen Schreckensszenarien eintreffen könnten. So lässt die Revisionsvorlage in der Landwirtschaftszone ohnehin - Hors-sol hin oder her - nur Um- und bescheidene Ausbauten bestehender Gebäude zu, wobei der Haupt-Erwerbszweig des Betriebes nach wie vor die bodenabhängige landwirtschaftliche Tätigkeit sein muss. "Grössere bodenunabhängige Produktionsanlagen werden entgegen anderslautenden Meinungen nicht generell zugelassen," schreibt die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung (VLP) in ihrem jüngsten Pressedienst. Sie werden andererseits zwar auch nicht generell verboten; doch wo das Mass der sogenannten "inneren Aufstockung" eines zur Hauptsache bodenabhängigen Landwirtschaftsbetriebes verlassen wird, muss ein relativ aufwendiger Weg beschritten werden: Die Kantone müssen nämlich zuerst in einem ordentlichen Planungsverfahren jene Gebiete in der Landwirtschaftszone bezeichnen, wo solche Bauten möglich sein sollen. Das heisst gemäss VLP, dass die Kantone und in der Folge meist auch die Gemeinden die Nutzungsplanung ausserhalb der Bauzonen ändern müssten - mit allen für solche Verfahren gesetzlich garantierten Einsprache- und Beschwerdemöglichkeiten. Die Entstehung von eigentlichen Hors-sol-Landschaften, wie sie ansatzweise in der Region Genf und in der Magadino-Ebene anzutreffen sind, müsste also, wenn schon, auf dieser Stufe verhindert werden. "Die Kantone werden da ihre Verantwortung wahrnehmen müssen, soll es nicht zu bedauerlichen Fehlentwicklungen kommen," heisst es dazu im VLP-Pressedienst.
Schreckensszenarien "utopisch"
Dass Bauernland grossflächig unter Glas verschwinden könnte, halten Revisionsbefürworter aber auch aus wirtschaftlichen Gründen für praktisch ausgeschlossen. So weist Hanspeter Späti vom Schweizerischen Bauernverband (SBV) darauf hin, dass die Errichtung eines Hors-sol-Gewächshauses mit "enormen Investitionen" verbunden sei; wer sie auf sich nehme, müsse sich einer genügend grossen Abnehmerschaft für seine Produkte sicher sein. Und zumindest bis heute ist die Nachfrage nach Hors-sol-Gemüsen - die als solche deklariert werden müssen - in der Schweiz nicht überwältigend; die Zahl der entsprechenden Produktionsanlagen ist in den letzten Jahren sogar leicht zurückgegangen. "Dass sich die Hors-sol-Produktion hierzulande in gigantischem Ausmass entwickeln könnte, ist völlig utopisch," ist Späti deshalb überzeugt. Klar sei auch, dass es für bodenunabhängige Gemüse- oder Fleischproduktion keine Direktzahlungen gebe. Dem Bauernverband gehe es lediglich darum, die Möglichkeit zu schaffen, dass neben holländischen oder spanischen vermehrt auch schweizerische Hors-sol-Tomaten angeboten werden könnten. "Ein Bauer, der für sich entsprechende Marktchancen sieht, soll nicht durch das Raumplanungsgesetz daran gehindert werden, sie zu nutzen," meint Späti.
Mehr Spielraum für Nebenerwerb
Den Bauern Chancen eröffnen - das eigentliche Ziel der RPG-Revision - möchten an sich auch viele Kritiker der Liberalisierung: Dass vor allem kleine Bauernbetriebe mit bescheidenem landwirtschaftlichen Einkommen in Zukunft vermehrt auf Nebenerwerbsmöglichkeiten angewiesen sind, wird im Grundsatz seitens der Schutzorganisationen kaum bestritten - Differenzen bestehen lediglich in der Frage des Ausmasses. Allerdings gerät die Landwirtschaft hier dem Gewerbe ins Gehege, das sich von einer privilegierten Konkurrenz bedroht sieht (siehe Kasten). Und die Kleinbauern- und Schutzorganisationen sind der Ansicht, dass es für Liberalisierungen etwa beim Umbau von landwirtschaftlichen Gebäudeteilen zu Wohnungen gar keine Gesetzesrevision brauche: Das Problem liege, so VKMB-Copräsident Alois Rölli, vielmehr in der unterschiedlichen Bewilligungspraxis der Kantone. Um diese zu vereinheitlichen, genüge aber eine bundesrätliche Weisung oder eine Verordnungsänderung.
Das Gewerbe fürchtet Konkurrenz
rp. Neben den Organisationen von Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutz sowie der Kleinbauern hat auch das Gewerbe Widerstand gegen die RPG-Revision angekündigt. Freilich aus andern Gründen und mit entgegengesetzten Alternativvorstellungen: Wenn Bauern auf ihrem billigeren Boden gewerbliche Tätigkeiten entfalten dürften, erwachse dem Gewerbe unfaire Konkurrenz, lauten die Befürchtungen. Deshalb müsse, so fordert der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), die Landwirtschaftszone auch für Nicht-Landwirte geöffnet werden.
Hanspeter Späti vom SBV hat für die Einwände des Gewerbes zwar "teilweise Verständnis," hält sie freilich für "ein wenig kleinkariert". Zwar treffe es zu, dass innovative Bauern beispielsweise durch die Direktvermarktung von Fleisch den Metzgern gewisse Marktanteile streitig machten. Doch deren Umfang sei so gering, "dass ein fitter Metzgereibetrieb wirklich nicht um seine Existenz fürchten muss." Die Forderung des SGV nach einer weitergehenden Öffnung der Landwirtschaftszone geht für Späti zu weit: "Dadurch würde die Trennung von Landwirtschafts- und Bauzone dann tatsächlich durchlöchert."
Die Wünsche von Schutzorganisationen und SGV schlössen sich überdies gegenseitig aus. "Es ist unmöglich, beide zu erfüllen," hält Späti fest. Für den Bauernverband sei klar, dass eher den Schutzinteressen als jenen des Gewerbes entgegenzukommen sei.
Nur Gesetz bringt gewünschte Rechtssicherheit
Eine Auffassung, der Hanspeter Späti vom SBV nicht kategorisch widerspricht: "Sollte das Volk die RPG-Revision ablehnen, könnte der Bundesrat die unbestrittenen Teile allenfalls mit einer Verordnungsänderung regeln," bestätigt er. Allerdings würde dadurch die heute bestehende Rechtsunsicherheit kaum im gewünschten Mass beseitigt; das heutige RPG lasse so vieles offen und ermögliche soviele unterschiedliche Interpretationen, dass über viele Baubewilligungsgesuche heute erst vom Richter und nicht selten sogar erst vom Bundesgericht abschliessend entschieden werden könne. Viele an sich unternehmerische Bauern würden, so Späti, angesichts der damit verbundenen Kosten und Wartezeiten zum vornhinein auf Bauvorhaben verzichten. Deshalb sei es für die Bauern wichtig, dass auf Gesetzesstufe mehr Klarheit geschaffen werde.
Mehr Sicherheit wünschten sich eigentlich ja auch die Schutzorganisationen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: So kritisieren sie etwa beim Thema Hors-sol den in ihren Augen zu grossen Handlungsspielraum der Kantone. Ein Einwand, für den beispielsweise die Vereinigung für Landesplanung angesichts des in einzelnen Kantonen bisher sehr laschen Umgangs mit der Raumplanung Verständnis zeigt. Die Frage sei bloss, fügt der VLP allerdings an, "ob die Ursache des Misstrauens, nämlich der mangelhafte Vollzug, durch die Ablehnung der Gesetzesänderung verbessert würde. Realistisch gesehen könnte auch das Gegenteil der Fall sein".