"Ein Interview? Das können andere sicher besser!" Vreni Steger steht hinter ihrem Marktstand am Altstättner Bauernmarkt und reibt die kalten Hände. "Ich steh nicht gern im Vordergrund." Viel lieber mache sie ihre Arbeit. Ein paar Kilometer weiter tönt es ähnlich: "Ein Generationengespräch?" Begeisterung klingt anders. Sabrina Knechtle aus Eggerstanden AI bittet sich Bedenkzeit aus, dann wirft sie ein: "Ich bin aber gar keine typische Bäuerin."
Das mag sein. Wie die beiden auf eine Interviewanfrage reagieren, ist hingegen "typisch" für viele Bäuerinnen: Diese Frauen haben immer zu tun. Sie packen lieber zu, als zu reden. Sie erledigen vieles lieber sofort, als es auf die lange Bank zu schieben. Doch zum Glück tun sie einem auch gern einen Gefallen. Deshalb sitzen die beiden Frauen schlussendlich doch noch gemeinsam an Knechtles Küchentisch und lassen sich interviewen.
Bauer und Bäuerin in einer Person
Es sind zwei Frauen, die sich nicht kennen, aber einiges gemeinsam haben: Vreni ist 68 Jahre jung und Sabrina 30 Jahre alt, beide sind Bäuerinnen. Sabrina ist im Gegensatz zu Vreni nicht nur Bäuerin, sondern auch Bauer: Die Mutter von zwei kleinen Kindern – Alina (3) und Robin (5) – ist Frau von Tobias (30) und hat eine Lehre als "Landwirt" gemacht. Sie hatte dabei nicht viele Mitstreiterinnen: "Unter den vierzig Stiften am Plantahof waren nur drei Frauen."
Landwirtin werden? Das wäre für Vreni undenkbar gewesen: "Ich weiss nicht einmal, ob man das damals überhaupt lernen konnte?" Ihr hat man stets eingebläut: "Mädchen müssen den Haushalt lernen und sparen." Beides war für Vreni kein Problem. Trotzdem beherrscht sie auch alle Arbeiten, die auf ihrem vielseitigen Bauernhof anfallen: Stallarbeit, Melken, Hühnerhalten, Direktvermarkten und vieles mehr. Nur das Traktor fahren liess sie sein: "Dafür hatten wir ja die Jungen", ihre fünf Kinder, drei Mädchen, zwei Buben. Denen scheint das Mithelfen auf dem Hof gefallen zu haben. Jedenfalls sind vier von ihnen der Landwirtschaft treu geblieben; ein Sohn ist Gärtner geworden, eine Tochter führt zusätzlich noch einen Blumenladen.
Vielseitigkeit fordert Frauen heraus
Stegers haben einen mittelgrossen Hof im St. Galler Rheintal, den inzwischen der Sohn übernommen hat. Es ist ein vielseitiger Betrieb mit Milchvieh, Ackerbau, Obst und Direktvermarktung. Knechtles 12 Hektaren grosser Hof in Appenzell-Innerrhoden erlaubt diese Vielseitigkeit nicht: Zu "ruuch" ist das Klima hier oben auf 900 Meter über Meer. Weil sie von 15 Kühen allein nicht leben könnten, setzen Knechtles stattdessen auf die Weiterverarbeitung: "Wir haben bei der Betriebsübernahme eine Hofkäserei eingebaut und gehen seither auf den Bauernmarkt nach St.Gallen." Dort und in einigen kleineren Läden verkaufen sie ihren würzigen Halbhartkäse, verschiedene Frischkäsespezialitäten, Quark und Rohmilch. "Man könnte noch mehr machen", sagt Sabrina, "aber dann wäre mein Mann nur noch in der Käserei." Irgendwo müsse man auch Grenzen setzen und sagen, bis hierhin und nicht weiter. Vreni nickt. Das Thema Grenzen setzen ist ihr nicht fremd. Gerade die Umsetzung von innovativen Ideen bleibt oftmals an den Bäuerinnen hängen. Auch wenn bei Knechtles die Rollenverteilung etwas anders ist: Für die Stallarbeit ist mehrheitlich Sabrina verantwortlich, während sich Tobias mit Leidenschaft in der Käserei und auf dem Markt engagiert.
Bäuerinnen, eine aussterbende Spezies?
Vor 75 Jahren, als der LID gegründet wurde, bildeten die Bäuerinnen noch eine breite Gesellschaftsschicht. Heute sind sie selbst im ländlichen Raum oft eine Ausnahme: Sabrina Knechtle ist im Muki-Turnen nur eine von zwei Bäuerinnen. Und die Enkel von Vreni Steger sind in der Schule in Hinterforst bald die einzigen mit bäuerlichem Hintergrund. Allerdings war Vreni Steger schon vor 40 Jahren nicht nur von Bäuerinnen umringt: "Im Städtli gab es natürlich auch viele andere Berufe." Weil es immer weniger Höfe gibt und die Schweiz zunehmend verstädtert, nimmt auch die Zahl der Bäuerinnen ab. Der Spruch: "Wenn die Bäuerin nicht will, steht die Landwirtschaft still", trifft aber weiterhin auf alle kleinen und mittelgrossen Betriebe zu. Sabrina: "Je kleiner der Betrieb ist, desto wichtiger ist es, dass einer fort kann und der andere den Betrieb schmeisst." Grössere Betriebe können die Arbeit dagegen mit Maschinen, Angestellten oder Lehrlingen bewältigen. Der Strukturwandel könnte deshalb dazu beitragen, dass die vielseitige, engagierte, mitarbeitende Bäuerin in Zukunft vermehrt durch eine Unternehmer-Gattin ersetzt wird.
Optionen für die Zukunft
Für Betriebe wie der von Familie Knechtle wird es mit der anstehenden Agrarreform nicht einfacher werden. "Wir sind zu klein, um mehr Ökologie zu machen und zu gross, um viel mehr Land dazu zu pachten. Denn dann kommen wir mit der Arbeit nicht mehr nach", sagt Sabrina. "Höchstens ganz ebenes Land würden wir noch dazu nehmen", wirft Tobias ein. Und er lacht, denn wer nach draussen blickt, sieht, dass ganz ebenes Land rund um den Hof rar ist. "Es gibt in Zukunft schon ein grosses Abwägen, wie wir weitermachen. Vielleicht bauen wir die Direktvermarktung weiter aus oder wir lagern das Jungvieh aus, oder wir ändern sonst etwas."
Alle drei sind sich einig, dass es nichts nützt, sich Gedanken zu machen über eine Zukunft, die man ohnehin nicht beeinflussen kann. Sollte es mit der Landwirtschaft einmal nicht mehr weitergehen, so ist sich Sabrina sicher, dass sie auf dem Arbeitsmarkt Vorteile haben: "Die Arbeitgeber wissen, dass Leute aus der Landwirtschaft gewohnt sind, auch mal länger und strenger zu arbeiten. Das wird geschätzt." Vreni pflichtet bei: "Wenn Bauernkinder eine Lehrstelle suchen, haben sie ein Plus, weil sie gewohnt sind etwas durchzuziehen und selbstständig arbeiten können. Ich seh das schon bei meinen Grosskindern."
Vertrauen statt Vertrag
Vielleicht liegt es an der Arbeit mit der Natur, dass die Bäuerinnen auch sehr viel Vertrauen im Hinblick auf ihre eigene wirtschaftliche Sicherheit haben. Denn weder Vreni noch Sabrina haben die Arbeit, die sie im Landwirtschaftsbetrieb leisten, rechtlich abgesichert. Vreni hat mit ihrem Mann Albert Unfall, Tod und Altersvorsorge geregelt – doch den Fall einer Trennung haben sie nicht vorgesehen. Warum auch, Vreni lacht: "Wir haben es ja gut miteinander." Sabrina gibt zwar zu, dass sie das Thema gelegentlich beschäftigt. Aber auch Knechtles haben den Betrieb nur für Unglücksfälle abgesichert. Das sei nicht nur schlecht, meint Tobias: "Sonst denkt man immer, es gibt ein Hintertürchen und ich kann jederzeit wieder gehen."
Das junge Paar glaubt an eine gemeinsame Zukunft. Die erfahrene Bäuerin ist ein gutes Beispiel dafür: "Wir haben einfach geschafft und gespart und einander geholfen." Ihrem Erfolgsmodell stimmen die anderen beiden zu: Wichtig sei, dass man am gleichen Strick ziehe. Und miteinander redet.
Damit vor lauter Reden die Arbeit nicht liegen bleibt, machen wir uns wieder auf den Heimweg. Bei der Abfahrt sagt Vreni anerkennend: "Hier wird viel gschaffed, das sieht man." Doch was hätte Sabrina vor vierzig Jahren gesagt, wenn sie auf Stegers Hof gekommen wäre? Vermutlich genau dasselbe.
Schweizer Bauern woher – wohin?
Seit 75 Jahren schlägt der LID Brücken zwischen Stadt und Land. In einer Artikelserie mit Bauern verschiedener Generationen sucht der LID 2012 Perspektiven für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.


