Der Bundesrat hat zwar am 19. Januar die Agrarpolitik 2011 wider Erwarten noch nicht verabschiedet. Er wird sich am 2. Februar erneut damit beschäftigen. Die Vorschläge aus dem Volkswirtschaftsdepartement (EVD) zeigen aber, dass auch eine alte Frage neu diskutiert werden soll: Soll die Agrarpolitik steuern, welche Bauernbetriebe verschwinden? Das EVD macht Vorschläge, die mehr kleinere Betriebe zum Aufhören zwingen sollen.
Beispielsweise soll ein Betrieb neu nur dann zu Vorzugsbedingungen, nämlich zum Ertragswert, innerhalb der Familie übernommen werden können, wenn zu seiner Bewirtschaftung 1,5 so genannte Standardarbeitskräfte (SAK) notwendig sind. Diese so genannte Gewerbegrenze – die Grenze, ab wann ein Landwirtschaftsbetrieb im Bodenrecht als Gewerbe gilt, liegt heute bei 0,75 SAK. Unterhalb dieser Grenze kann ein Betrieb zwar auch zum Ertragswert verkauft werden: Dann, wenn Verkäufer und Käufer sich einig sind. Weil aber auch das Realteilungsverbot wegfällt, ist es für den Verkäufer interessanter, den Betrieb oder Teile davon den Meistbietenden zu verkaufen.
Zweiter Anlauf
Schon in der Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2007 hatte der Bund vorgeschlagen, die Gewerbegrenze zu verdoppeln, kam damit aber nicht durch. Anpassungen bei der Berechnung der SAK und bei der Angleichung der Massstäbe zwischen Agrar- und Bodenrecht führen dazu, dass im Rahmen der AP 2007 trotzdem rund 5,000 Betriebe den Schutz des bäuerlichen Bodenrechts verlieren. Falls der Vorschlag diesmal durchkäme, kämen noch ein paar Tausend Betriebe dazu. Für das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) sei die Erhöhung der Gewerbegrenze eine Massnahme, die zwar langsam wirke – im Prinzip braucht es eine Generation, bis alle Betriebe einmal den Besitzer gewechselt haben – die aber wichtig sei, erklärt BLW-Vizedirektor Eduard Hofer. Wichtig sei aber auch die Änderung bei der Betriebshilfe, die künftig auch als Ausstiegshilfe für Sozialfälle funktionieren solle. Heute würden damit die Bäuerinnen und Bauern in der Landwirtschaft behalten. Ferner schlägt die Verwaltung vor, die Kriterien für Investitionskredite zu verschärfen. Sie sollen für den Betrieb nicht nur tragbar, sondern auch effizient sein.
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) wolle genau prüfen, welche konkreten Auswirkungen alle Vorschläge des EVD haben, erklärt dessen Direktor Jacques Bourgeois. Die Erhöhung der Gewerbegrenze im Bodenrecht sei ein "gewaltiger Schritt" und müsse genau geprüft werden. Die Strukturentwicklung – das heisst, die Vergrösserung der Betriebe – sei ohnehin nur eine von verschiedenen Massnahmen, um den Bauern in Zukunft das Leben zu erleichtern. Rudolf Streit vom Departement Treuhand und Schätzungen beim Bauernverband macht darauf aufmerksam, dass eine Änderung im Berggebiet starke Auswirkungen hätte. Die Kantone machten hier zum Teil noch von Ausnahmebestimmungen Gebrauch, bei denen die Grenzen bis mindestens 0,5 SAK gesenkt werden könne. Wichtig sei auch, dass in anderen Gesetzen, etwa im Pacht- oder im Raumplanungsrecht auf diese Gewerbegrenze Bezug genommen werde. Falls man sie erhöhe, würden sich die Bedingungen für die Betriebe auch in diesen Bereichen verschlechtern. Das EVD schreibt dazu nur, falls wegen solchen Querverweisen Probleme entstehen sollten, seien "adäquate Lösungen zu entwickeln".
Milchproduzenten begrüssen die Vorschläge
Aus Sicht der Milchproduzenten gehen die vom Bundesamt vorgeschlagenen Änderungen in die richtige Richtung. "Wir unterstützen jede Massnahme, die die Flächenmobilität erhöht", erklärt Kurt Nüesch, stellvertretender Direktor der Schweizer Milchproduzenten (SMP). Für die professionellen Betriebe, insbesondere die Milchbetriebe, sei es ein zunehmendes Problem, dass sie flächenmässig wachsen sollten, um den zunehmenden wirtschaftlichen Druck aufzufangen, dass aber ein Wachstum fast nicht möglich sei. Das Land sei entweder gar nicht verfügbar oder zu teuer. Allerdings wirkten die Erhöhung der Gewerbegrenze und auch die anderen vorgeschlagenen Massnahmen nur beschränkt und langsam. Die SMP wünscht deshalb, dass die Direktzahlungen zusätzlich weniger an die Fläche, sondern vermehrt auch an andere Kriterien, etwa an die SAK, gebunden würden. Auch dies ist ein Vorschlag, der schon im Rahmen der AP 2007 diskutiert wurde, gegen den man sich beim BLW aber wehrt. Die Anbindung an die SAK sei letztlich auch eine Bindung an Tiere und Flächen und damit an die Produktionsintensität, sagt Hofer. Das sei aber nicht die Stossrichtung, die der Bund verfolge. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen stiegen ja nicht mit der Intensität der Bewirtschaftung.
Über eine Erhöhung der Gewerbegrenze könne man noch am ehesten diskutieren, generell lehne man aber die Vorschläge zur Strukturentwicklung ab, erklärt Christof Dietler, Koordinator der Kritischen Agrarallianz. Diese umfasst neben Kleinbauernvereinigung, Bio Suisse und IP Suisse auch verschiedene Naturschutz- und Tierschutzorganisationen. Nebenerwerbsbetriebe dürften nicht diskriminiert werden, sie erfüllten ihre Leistungen für die Gesellschaft genauso wie grosse und Haupterwerbsbetriebe. Der Strukturwandel verlaufe jetzt schon rasch und müsse nicht noch beschleunigt werden. Unakzeptabel sei etwa die Erhöhung der SAK-Grenze für Direktzahlungen, meint Dietler.
Hobbybetriebe hinausdrängen
Für diese Grenze, die definiert, ab welchem Arbeitaufwand die Betriebe Direktzahlungen erhalten, will das EVD nämlich im Talgebiet eine Erhöhung prüfen, zur "Abgrenzung von Hobbybetrieben", wie es im Strategiepapier zur Agrarpolitik 2011 heisst. Eine konkrete Zahl wird nicht genannt, heute liegt die Grenze bei 0,25 SAK. Das BLW hat diesen Punkt aber mehr der Vollständigkeit halber wieder hinein genommen – er war bereits in der Agrarpolitik 2007 diskutiert und schliesslich abgelehnt worden.
In der Agrarpolitik 2007 hatte die Beratende Kommission vorgeschlagen, die Grenze von damals 0,3 auf 0,5 SAK zu erhöhen. Doch das Bundesamt sah dann davon ab, weil verschiedene Kantone, vor allem aus dem Berggebiet, dies ablehnten. Weil die SAK in der AP 2007 neu berechnet wurde, wurde die Grenze dann auf 0,25 SAK gesenkt. Hätte man die Grenze bei 0,3 gelassen, hätten 2,300 Betriebe keine Direktzahlungen mehr erhalten, so waren es noch 600. Damals sei man zum Schluss gekommen, dass eine Menge Bauern wütend würden und es von der Fläche her praktisch nichts bringe, sagt Hofer.
SBV-Direktor Bourgeois nimmt auch zu dieser Frage noch nicht konkret Stellung, bekräftigt aber, dass die Differenzierung zwischen Berg und Tal wichtig sei. Immerhin: Bei der Vernehmlassung zu den Verordnungen der AP 2007 hatte der Bauernverband vorgeschlagen, die Grenze nicht auf 0,25 SAK zu senken, sondern auf 0,3 SAK zu belassen. Auch für die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für das Berggebiet (SAB) ist wichtig, dass künftig noch stärker zwischen Berg und Tal differenziert wird. Die SAB lehne eine Verschärfung der strukturwirksamen Grenzen generell ab, sagt Sibylle Meyre, agrarwirtschaftliche Mitarbeiterin bei der SAB. Wichtig sei im Berggebiet, dass die Landschaft gepflegt werde, egal, ob von einem Nebenerwerbs- oder einem Haupterwerbsbetrieb.
Betriebsaufgabe soll nicht honoriert werden
Nicht mehr aufgreifen will das EVD die Betriebsaufgabeentschädigung. Diese Massnahme, die vom Bauernverband immer wieder gefordert wurde, um den Ausstieg attraktiver zu machen, koste zu viel und bringe zu wenig. Für den Bauernverband ist das Thema "immer noch auf dem Tisch", wie Direktor Bourgeois sagt. Die Bedingung wäre nach wie vor, dass das Geld dazu von ausserhalb des Agrarbudgets kommt, was bei der gegenwärtigen Finanzlage des Bundes eher unrealistisch ist. Bei den Schweizer Milchproduzenten teilt man laut Nüesch angesichts der Bundesfinanzen die Beurteilung des Bundes und betrachtet die Massnahme als wenig effizient.
Siehe auch: "Jeder dritte Bauernhof ist ungeschützt", im Mediendienst Nr. 2633 vom 11. September 2003, "AP 2007: Korrekturen, aber keine grundlegende Änderung", im Mediendienst Nr. 2535 vom 27. September 2001, "5-Punkte-Plan folgt auf ‚Horizont 2010,", im Mediendienst Nr. 2523 vom 5. Juli 2001 und "Direktzahlungen pro Arbeitskraft statt pro Hektare: Warum eigentlich nicht?" im Mediendienst Nr. 2522 vom 28. Juni 2001