Dass der Nationalrat sich am Montagabend, 17. März, entschieden hatte, die Redezeit in der Agrardebatte zu beschränken, nützte wenig. Am Schluss der Morgensitzung vom Mittwoch war er gerade bis zum Artikel 72 des Landwirtschaftsgesetzes vorgedrungen. In den Unterlagen zur Debatte ist er damit auf Seite 25 angelangt – 50 weitere Seiten sind noch unbehandelt. Die Agrarpolitik 2007 (AP 2007) kann somit in der laufenden Session nicht fertig behandelt werden.
Im Landwirtschaftsgesetz sind zwar die viele Streitpunkte entschieden. Die Milchkontingentierung soll 2009 aufgehoben und die Importkontingente für Schlachtvieh und Fleisch ab 2007 vollständig versteigert werden. Ausserdem sollen die Direktzahlungen nach Einkommen und Vermögen begrenzt bleiben und die ökologischen Auflagen nicht verschärft werden. Der Zahlungsrahmen 2004-2007 ist jedoch ebenso wenig unter Dach wie die Änderungen im Bäuerlichen Bodenrecht, im Pachtrecht und im Tierseuchengesetz entschieden sind.
Milchkontingente fallen 2009
Nicht überraschend hat der Nationalrat wie der Ständerat beschlossen, die Milchkontingente Ende April 2009 aufzuheben. Mit 102 zu 55 Stimmen hat er sich am Dienstag gegen einen Aufschub ausgesprochen. Den frühzeitigen Ausstieg für Berg- und Biobetriebe lehnte er – anders als der Ständerat – mit 134 zu 21 Stimmen ab. Ebenfalls bis 2009 beibehalten werden der Kontingentshandel und die Kontingentsmiete. Das entschied der Rat mit 100 zu 70 Stimmen. Noch nicht entschieden ist über Massnahmen zur Abfederung des Ausstiegs aus der Milchkontingentierung.
Bauernverbandspräsident Hansjörg Walter beantragte vergebens, die Kontingentierung bis 2009 zu befristen und offen zu lassen, wie die Milchmarktordnung ab 2009 aussehen soll. Er verwies auf die EU, welche die Mengenbeschränkungen erst ab 2013 aufheben wolle. Der Bundesrat solle bis Ende 2006 eine Neuregelung vorschlagen, meinte Walter. Ebenso erfolglos blieb der St. Galler SVP-Nationalrat Toni Brunner, der sich für eine Weiterführung der Milchkontingentierung einsetzte. Ein Ausstieg käme einer Abkehr vom "Milchland Schweiz" gleich, argumentierte er. Milch würde künftig nur noch entlang der "Milchstrasse A1" produziert. Auch nicht durchsetzten konnte sich das links-grüne Lager, dass die Kontingentierung bereits 2007 aufheben wollte – so wie es der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen hatte.
Bundesrat Joseph Deiss bat den Nationalrat, keine halben Entscheide zu treffen. Die Milchbauern brauchten Klarheit. Das wahre Risiko sei die Ungewissheit. Der Bundesrat werde rechtzeitig eine neue Milchmarktordnung für die Zeit nach der Kontingentierung präsentieren, versprach der Landwirtschaftsminister.
Eher überraschend hat der Nationalrat am Mittwoch entschieden, die Zulage für Fütterung ohne Silage wie bisher fest im Gesetz verankert zu lassen und das Butterimportsystem beizubehalten und damit zwei Differenzen zum Ständerat zu schaffen.
Fleischimport: Nationalrat für Systemwechsel
Während bei der Milchmarktordnung die Differenzen zum Ständerat gering sind, entschied der Nationalrat bei den Fleischimportkontingenten gegensätzlich. Mit 129 zu 50 Stimmen hat er sich am Mittwoch für die Versteigerung entschieden. Gegen den Systemwechsel waren die grosse Mehrheit der SVP sowie eine Minderheit der CVP. Beim geltenden System werden die Importkontingente zum Vorzugszoll hauptsächlich nach der Zahl der geschlachteten inländischen Tiere zugeteilt. Zu einem höheren Zollansatz kann jederzeit frei importiert werden. 10 Prozent des bei der Welthandelsorganisation (WTO) notifizierten Kontingents von 77’000 Tonnen Fleisch sollen nach dem Willen des Nationalrates auch in Zukunft zugeteilt werden, und zwar entsprechend der Käufe auf überwachten öffentlichen Märkten. Die Sicherung dieser so genannten Inlandleistung war ein Anliegen der Bauern, insbesondere der Bergbauern. Der Bundesrat hatte eine solche Zuteilung nicht vorgesehen, akzeptiert sie jedoch. Der Ständerat als Erstrat hatte die Versteigerung im Dezember mit 26 zu 13 Stimmen deutlich abgelehnt.
Die Befürworter des Systemwechsels argumentierten, das heutige System sei strukturerhaltend und intransparent. Kritisiert wurden insbesondere die Renten von geschätzten 150 bis 300 Millionen Franken, die dank der Kontingentszuteilung erzielt werden können. "Wenn die Importrenten nicht zur Verbilligung des inländischen Fleisches eingesetzt werden, geht die heutige Regelung zu Lasten der Bauern und Konsumenten", meinte Konsumentenschutz-Präsidentin Simonetta Sommaruga. Bei der Regelung der Fleischimporte zeige sich, ob die Agrarpolitik für die Bauern oder für die Händler gemacht werde, meinte sie weiter. Für das bestehende System kämpfte der Zürcher Landwirt Ernst Schibli. "Bei der Versteigerung werden sich einige wenige die Kontingente sichern und dann so agieren, dass die Preise im Inland dauernd unter Druck sind", warnte er. Auch der Berner Kälbermäster Fritz Abraham Oehrli befürchtet, dass nur grosse Händler Importekontingente finanzieren können. Bundesrat Joseph Deiss entgegnete, nicht die Grössten, sondern die Besten würden am meisten bezahlen. Das zeige die heute schon gängige Versteigerung der Importkontingente für Fleischspezialitäten.
Versteigerungserlös bleibt in der Landwirtschaft
Der Nationalrat lehnte deutlich alle Einzelanträge ab, einzelne Tierkategorien von der Versteigerung auszunehmen. Dagegen legte der Nationalrat im Landwirtschaftsgesetz fest, wie die Versteigerungserlöse verwendet werden sollen. Mit dem Erlös sollen in erster Linie Massnahmen finanziert werden, welche den Fleischmarkt entlasten. Übriges Geld soll für Direktzahlungen verwendet werden. Einen entsprechenden Minderheitsantrag hat er mit 99 zu 80 Stimmen befürwortete. Der Bundesrat wolle zwei Drittel für die Agrarkredite und ein Drittel für die Entsorgung der Fleischabfälle einsetzen.
Keine neuen Ökoauflagen
Deutlich lehnte der Nationalrat alle Anträge an, den Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) – eine Bedingung für Direktzahlungen – zu verschärfen. CVP, SVP und FDP hatten schon in der Einkommensdebatte klar gemacht, dass sie neue Auflagen für mehr Ökologie ablehnen werden. Minderheitsanträge für einen hohen Anteil an betriebseigenem Futter und für eine tiergerechte Fütterung aller Wiederkäuer hatten ebenso wenig eine Chance wie die Forderung, die Reduktionsziele für Nitrat und Phosphor im ÖLN zu verankern. Eine neue Einschränkung wurde jedoch aufgenommen: Bauern, die neu einsteigen, sollen nur noch Direktzahlungen erhalten, wenn sie eine entsprechende landwirtschaftliche Ausbildung nachweisen können. Diesen Vorschlag der vorberatenden Kommission hat der Rat mit 137 zu 33 Stimmen angenommen. Er war von bäuerlicher Seite eingebracht worden.
Einkommensgrenzen bleiben, Flächengrenzen fallen
Beibehalten wurden auch die Einkommens- und Vermögensgrenzen für den Bezug von Direktzahlungen – eine weitere Differenz zum Ständerat. Ab 80’000 Franken Einkommen werden die Direktzahlungen gekürzt, bei einem Vermögen über einer Million Franken werden sie gestrichen. Insbesondere Grüne und SP wehrten sich gegen mehr Geld für Grossbauern und Bauernmillionäre. "Es geht um Akzeptanz und Glaubwürdigkeit", meinte SP-Nationalrätin Simonetta Sommaruga. SVP-Nationalrat und Zürcher Bauernsekretär Ueli Maurer argumentierte vergebens, Direktzahlungen seien keine Almosen, sondern Entgelt für erbrachte Leistungen. "Mit diesen Grenzen erhält das Landwirtschaftsgesetz den Anstrich eines Sozialhilfegesetzes", fand er. Die Streichung der Limiten war ferner ein Anliegen des Schweizerischen Landfrauenverbandes. Bauernfamilien sollten nicht benachteiligt sein, wenn die Bäuerin ausser Haus arbeitet, war das Hauptargument. Der Vorschlag der Freiburger CVP-Nationalrätin Thérèse Meyer, die Einkommen von Doppelverdienerpaaren nicht zusammenzurechnen, wurde mit 88 zu 85 Stimmen knapp abgelehnt.
Der Bundesrat selbst hatte die Streichung der Vermögens- und Einkommenslimiten vorgeschlagen. Geblieben wäre jedoch die Limite von maximal 55’000 Franken Direktzahlungen pro Standardarbeitskraft (SAK). Im Jahr 2001 wurden gemäss Bundesamt für Landwirtschaft wegen der Einkommenslimite die Direktzahlungen um 4,9 Millionen Franken gekürzt. Den Bauernmillionären entgingen wegen der Vermögensgrenze 3,6 Mio. Franken. Gestrichen hat der Nationalrat dagegen mit 102 zu 68 Stimmen die Abstufung der Direktzahlungen nach Fläche und Tierzahl. Durch diese Grenzen sind den Bauern bisher 30 Mio. Franken entgangen.
Keine Chance hatte der Antrag des Waadtländer Bauern Jean Fattebert, die gesetzliche Voraussetzung für Direktzahlungen pro Standardarbeitskraft zu schaffen. Der Nationalrat lehnt den Antrag mit 82 zu 26 Stimmen ab. Die Gegner argumentieren vor allem, es sei zurzeit nicht klar, wie man solche Beiträge handhaben solle. Der Rat will deshalb Abklärungen des Bundesamtes abwarten, bevor er eine solche Möglichkeit prüft.
Nationalrat entzieht "Bündnerfleisch" den Schutz
Auch weitere Details sorgten im Ständerat für ausgiebige Diskussionen. So hat der Nationalrat am Montag mit 74 gegen 52 Stimmen beschlossen, die Anforderungen an Produkte mit geschützter geografischer Angabe (GGA/IGP) zu verschärfen, gegen die Empfehlung von Bundesrat Deiss. Neu muss der Rohstoff von IGPs aus der Schweiz sein. Das hat Konsequenzen für das "Bündnerfleisch", das heute im IPG-Register eingetragen ist, auch wenn das Fleisch dafür zum grössten Teil aus Argentinien stammt. Heute ist das zulässig, weil für eine IGP entweder der Rohstoff aus der erwähnten Region stammen oder das Produkt dort hergestellt werden muss. Dagegen muss für die geschützte Ursprungsbezeichnung (AOC/GUB) – heute sind zum Beispiel Käse wie Gruyère, l’Etivaz oder Sbrinz im AOC-Register eingetragen – der Rohstoff aus der Region stammen und auch dort verarbeitet werden.
Die Gegner argumentierten, die Verschärfung widerspreche der Regelung in der EU und die Unterschiede zwischen AOC und IGP zu verwischen. Für die Verschärfung waren insbesondere die SVP und die Grünen. Für so genannt unverwechselbare regionale Spezialitäten dürfe es keine unhaltbaren Kompromisse geben, meinte der St. Galler SVP-Nationalrat Theophil Pfister.
Bundesrat und Bauern mehrheitlich zufrieden
Bundesrat Deiss ist mit den Ergebnissen zufrieden. Der Nationalrat ist mehrheitlich seinen Vorschlägen gefolgt. Bauernverbandspräsident Walter ist mit den bisherigen Entscheiden ebenfalls im Grossen und Ganzen zufrieden. "Die Anträge im Interesse des Bauernverbandes haben wir mehrheitlich durchgebracht", sagt er gegenüber dem LID. So beim Butterimport, bei der Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der Fleischimportkontingente oder bei der geschützten geografischen Angabe. Noch im Mai 2002, als der Bundesrat die Botschaft zur AP 2007 vorlegte, meinte der Bauernverband, "die Bauern könnten den vom Volk gutgeheissenen Verfassungsauftrag nicht mehr wahrnehmen, wenn die bundesrätlichen Vorschläge umgesetzt würden".
Die Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) findet die Aufhebung der Kontingente immer noch nicht "besonders durchdacht". "Von wesentlich grösserer Bedeutung aber ist, wie längerfristig die Zulagen und Beihilfen, der Grenzschutz und die Direktzahlungen ausgestaltet werden", schreibt die SMP in einer Pressemiteilung.
Der Bauernverband bedauert, dass die Vorlage in der Frühlingssession nicht fertig beraten werden konnte. Gemäss Auskunft der Parlamentsdienste wird der Nationalrat die Vorlage in der Sommersession von 2. bis 20. Juni fertig beraten. Ziel des Bundesrates bleibt es, die Änderungen wie geplant auf Anfang 2004 in Kraft zu setzen.