Ab kommendem Montag werden die Mitglieder der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) zu einer dreitägigen Sondersitzung zusammentreten, in deren Verlauf viele Köpfe - egal, ob die Schafskälte bis dann anhalten wird oder nicht - recht warm werden dürften. Einziges Traktandum der Monsterdebatte ist die Totalrevision des Landwirtschaftsgesetzes, das Kernstück des Reformpaketes Agrarpolitik (AP) 2002, dessen Eckpunkte die WAK in den letzten Monaten wie heisse Kartoffeln vor sich hergeschoben hat. In mehreren Sitzungen sind bisher erst rund 30 der insgesamt über 180 Gesetzesartikel behandelt worden, und zwar nicht die kontroversesten. Jetzt sollen die Knoten durchgehackt werden.
Im September im Nationalrat?
Falls die WAK ihr Ziel - Verabschiedung des ganzen Landwirtschaftsgesetzes zuhanden des Plenums bis am Mittwochabend, 2. Juli - erreichen sollte, wäre damit höchstwahrscheinlich die entscheidende Phase im jahrelangen Ringen um die Neuausrichtung der Agrarpolitik eingeläutet. Ab Herbst könnte es dann Schlag auf Schlag gehen: In der Mitte September beginnenden Herbstses-sion könnte der Nationalrat die AP 2002 beraten, worauf die WAK des Ständerates an der Reihe wäre. Im Dezember würden Volk und Stände möglicherweise über die von Bundesrat und Parlamentsmehrheit als Widerspruch zur AP 2002 betrachtete Kleinbauern-Initiative abstimmen und sich damit zum dritten Mal nach 1995 und 1996 über die verfassungsmässigen Leitlinien der Agrarreform aussprechen. Je nach Abstimmungsergebnis könnte die AP 2002 dann - nach der Verabschiedung durch den Ständerat und einem allfälligen Referendumskampf - entweder 1999 in Kraft treten, oder aber sie müsste durch einen anderen Gesetzesentwurf ersetzt werden.
Ob die WAK die Türe zu einem heissen agrarpolitischen Herbst nächste Woche tatsächlich aufstossen wird, ist allerdings trotz der veranschlagten drei vollen Tage keineswegs sicher. Denn der Weg durch die verbleibenden 150 Gesetzesartikel ist mit fast ebensovielen Abänderungsanträgen von links und rechts gepflastert, die teils auf Beschleunigung und Radikalisierung, teils auf Verzögerung und Abschwächung zielen.
Auch der Bauernverband macht Dampf
Immerhin deutet zur Zeit einiges darauf hin, dass die Bremser in der WAK fürs erste den Kürzeren ziehen werden. Dampf machen nämlich nicht nur ungestüme Radikalreformer aus dem rot-grünen Lager, sondern in zunehmendem Mass auch der Schweizerische Bauernverband (SBV), aus dessen Reihen noch zu Jahresbeginn Verschiebungsanträge gestellt worden waren. So erklärte der SBV am vergangenen Montag anlässlich einer Medienkonferenz, die bisherigen Verzögerungen zu bedauern und die "zügige" Behandlung der Vorlage zu erwarten: Die Landwirtschaft habe nämlich, so SBV-Direktor Melchior Ehrler, "kein Interesse an einer Verzögerung" der Agrarreform, sondern brauche im Gegenteil eine rasche Änderung der "heutigen Systeme". Sonst gerate die Landwirtschaft "immer mehr ins Abseits".
Zum Turbo wird das Vehikel AP 2002 freilich durch das Beschleunigungssignal aus Brugg noch lange nicht. Denn bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Gesetzes, namentlich bei den die Übergangsfristen betreffenden Artikeln, bietet sich den Bremsern noch reichlich Gelegenheit, die Fahrt Richtung Markt zu verlangsamen. Auch der SBV wird dort kaum aufs Gaspedal drücken: In "überschaubaren und machbaren Schritten" müssten die Reformen umgesetzt werden, hiess es an der Medienkonferenz. Die Prognose sei gewagt, dass strikte Gegner der Reform - die es nach wie vor auch in den Reihen des SBV gibt - den Horizont des "Überschaubaren" ziemlich eng werden stecken wollen.
Wieviel Markt und wieviel Ökologie?
Neben dem Tempo wird der Hauptstreitpunkt in der WAK die Frage sein, wieviel Markt und Ökologie, wie der Verfassungsauftrag von 1996 es verlangt, der Landwirtschaft zugemutet werden soll. Während Vertreter der traditionellen Bauernorganisationen und bürgerliche Politiker in sensiblen Bereichen wie etwa der Milchwirtschaft weiterhin staatliche Interventionen fordern, wollen die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) sowie linke und grüne Kreise ausser dem Grenzschutz höchstens noch befristete und finanziell begrenzte Markteingriffe akzeptieren. Ein weiterer Streitpunkt werden die Direktzahlungen sein: Die VKMB will deren Höhe pro Betrieb begrenzen und die Bezugsberechtigung an generelle Einkommens- und Vermögensgrenzen knüpfen; der SBV zeigt sich in diesem Punkt zwar diskussionsbereit, wird aber um möglichst hohe Limiten kämpfen. Ein ähnliches Seilziehen zeichnet sich bei der Frage nach den Bedingungen für den Erhalt von Direktzahlungen ab, wo die VKMB einen möglichst strengen ökologischen Leistungsnachweis verlangt. Ganz andere Fronten werden sich dagegen bei der vom SBV geforderten Deregulierung im Verarbeitungssektor auftun, gehören die betroffenen Firmen doch zu einem grossen Teil den Bauern selbst.
Das Druckmittel der Kleinbauerninitiative
Der Ausgang des Ringens wird unter anderem auch das Schicksal der Kleinbauerninitiative "für ökologische Bauernhöfe und preisgünstige Nahrungsmittel" beeinflussen. Je nachdem, wie weit ihre Forderungen in der AP 2002 Eingang finden, wird sich die VKMB entweder den Rückzug ihres Volksbegehrens überlegen oder den Hosenlupf an der Urne in Angriff nehmen. In den kommenden Tagen und Wochen wird sich zeigen, wie weit die traditionellen Bauernvertreter sich von den ihrerseits als Erpressung empfundenen Druckversuchen beeindrucken lassen.
Das will die AP 2002
rp. Die Agrarpolitik 2002 wird auch als "Zweite Etappe der Agrarreform" (nach der Einführung der Direktzahlungen 1992/93) bezeichnet und soll den am 9. Juni 1996 von Volk und Ständen angenommenen Verfassungsartikel umsetzen. Dieser anerkennt die Förderung der Landwirtschaft als Ziel des Bundes, erteilt ihr aber einen Leistungsauftrag. Demnach soll die Landwirtschaft die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgen, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Pflege der Kulturlandschaft fördern sowie einen Beitrag zur dezentralen Besiedelung des Landes leisten.
Im wesentlichen geht es bei der AP 2002 um eine Totalrevision des Landwirtschaftsgesetzes. Die wichtigsten Änderungen dabei sind u.a.:
- Teilweiser Rückzug des Bundes aus der Vermarktung und Übertragung der entsprechenden Aufgaben an private Firmen und Branchenorganisationen; entsprechend höhere Eigenverantwortung der Branchen;
- Abbau von Preisstützungen und Absatzgarantien, im Gegenzug Wegfall von Ablieferungspflichten für die Bauern; diese Deregulierung wird vor allem im Milchsektor zu einer völlig neuen Marktordnung führen;
- stärkere Ausrichtung der Investitionsbeiträge des Bundes nach unternehmerischen Gesichtspunkten, mit dem Ziel, den Strukturwandel und Kostensenkungen zu begünstigen;
- Sicherung des "Paritätslohns" für die Bauern durch Direktzahlungen, jedoch nur noch gegen einen ökologischen Leistungsnachweis, der mindestens die Kriterien der Integrierten Produktion (IP) erfüllen muss; weitere Direktzahlungen für besondere ökologische Leistungen.