Irgendwann in der nächsten Zeit wird das Integrationsbüro seinen Bericht zum Thema Freihandel mit der EU fertiggestellt haben. Und mit Sicherheit wird man darin etwa Folgendes lesen können: Die Schweizer Bauern sind wettbewerbsfähig bei der Milch und beim Fleisch. Dort liegen die Exportchancen der Landwirtschaft, deshalb soll sie sich in Zukunft auch darauf konzentrieren.
Das heisst gleichzeitig, dass der Anbau von Getreide, Kartoffeln, Zuckerrüben und Raps künftig eine Nebenrolle spielen soll. Denn das Bundesgeld ist zu knapp, um alle Produktionszweige der Landwirtschaft noch gleichmässig fördern zu können.
Eine problematische Entwicklung, findet der Agrarhistoriker Peter Moser. Damit gehe nicht nur wertvolles Know-how im Ackerbau verloren. "Die Konzentration auf Tierproduktion und Futterbau bedeutet auch, dass in vielen Fällen die Artenvielfalt zurückgeht, dass die Lebensräume für viele Tiere eng werden und dass abwechslungsreiche Landschaften verschwinden." Mitte des 19. Jahrhunderts, als in der Schweiz am meisten Ackerbau betrieben worden sei, habe es auch am meisten Biodiversität gegeben. Damit sei nicht nur die Zahl der Arten gemeint, sondern auch die Vielfalt der Lebensräume. Seither habe sie stetig abgenommen.
Entprofessionalisierung im Ackerbau
Die Bauern, die noch Ackerbau betreiben, werden es immer mehr im Nebenerwerb tun, sie werden Kartoffeln und Zuckerrüben, die viel Arbeit machen, weglassen. Oder sie werden die Arbeiten an Lohnunternehmer übergeben, an Kollegen, die sich grosse Maschinen angeschafft und auf Auftragsarbeiten spezialisiert haben. Auch Hans Ramseier, Dozent für praktischen Pflanzenschutz und Ökoausgleich an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft im bernischen Zollikofen (SHL), bedauert dies. "Wenn der Ackerbau im Nebenerwerb oder von den Lohnunternehmern betrieben wird, dann sind vielfach die Zeitpunkte für die Bodenbearbeitung, die Saat oder für den Pflanzenschutz nicht mehr optimal." Deshalb werde auch mehr Spritzmittel benötigt, als wenn man die Arbeit zum optimalen Zeitpunkt verrichten würde. "Je mehr Nebenerwerb wir im Ackerbau haben, umso mehr ökologische Probleme haben wir", sagt Ramseier.
Zu wenig Verständnis für den Pflanzenbau
Den einzelnen Bauern könne man daraus keinen Vorwurf machen, hält er fest. Für sie gehe es schliesslich ums Überleben, und da sei eine Spezialisierung und Einschränkung der Betriebszweige oft der einzige Weg. Das Problem sieht er vielmehr darin, dass beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zu wenig Sensibilität für den Pflanzenbau vorhanden sei. "Das BLW sieht die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft in erster Linie in der Tierproduktion, das Verständnis und das Engagement für den Ackerbau schwindet", findet er. Symptomatisch sei auch, dass junge SHL-Studenten, bei denen vielleicht auf dem Betrieb zuhause noch Ackerbau als Nebenerwerb betrieben werde, nicht mehr Pflanzenbau studierten, sondern Betriebswirtschaft.
Ackerbauliche Zukunft
wy. Am Dienstag, 28. Februar 2006 findet an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (SHL) in Zollikofen BE eine Tagung zum Thema "Ackerbau, Kulturlandschaften und Biodiversität. Zusammenhänge und Perspektiven" statt. Dabei sollen die Zusammenhänge zwischen Ackerbau und Multifunktionalität aufgezeigt und mögliche Szenarien für eine Zukunft des Ackerbaus in der Schweiz diskutiert werden. Es werden auch verschiedene Projekte vorgestellt, die Ackerbau und Ökologie vereinbaren, so etwa das "Feldlerchen-Projekt" von IP-Suisse und Vogelwarte Sempach. Am gleichen Tag startet eine Wanderausstellung zum Thema, in der das Tagungsthema bildlich dargestellt wird.
Das Ideal: ein gemischter Betrieb
Für Moser gehören Ackerbau und Tierproduktion zusammen. Wegen der natürlichen Kreisläufe: Die Tiere liefern Dünger für aufs Feld, das Getreide liefert Futter und Stroh für die Tierhaltung. "Das ist das Wesen und das Potenzial der landwirtschaftlichen Produktion", sagt Moser.
Ein solcher gemischter Betrieb ist derjenige von Andreas Stämpfli im bernischen Meikirch. Er betreibt Milchproduktion und Ackerbau, im Nebenjob arbeitet er an der Hochschule für Landwirtschaft. Auch bei ihm kommt der Ackerbau unter Druck. Bis vor ein paar Jahren baute er noch Kartoffeln für das IP-Suisse-Label an, damit hat er inzwischen aufgehört. "Der Arbeitsaufwand für Kartoffeln ist relativ gross, und die Abnahme ist nicht garantiert", sagt er. "Mir wurden Kartoffeln abgewiesen, wegen kleinern äusseren Mängeln." Die Kartoffel sei eine Kultur, die man entweder professionell und auf grossen Flächen betreiben müsse oder gar nicht. Die Folge davon, dass die Kartoffeln aus der Fruchtfolge fallen, ist, dass der Pflug vermehrt eingesetzt werden muss, um Krankheiten zu bekämpfen. Eine Betriebsgemeinschaft mit dem Nachbar könnte für Stämpfli der nächste Schritt sein, um dem steigenden Druck der Märkte zu begegnen. "Da sind wir jetzt am Abklären", sagt er. Durch eine grössere Betriebsfläche hofft er, auch im Ackerbau wieder eine bessere Rendite zu erreichen.
Äpfel aus dem Museum
"Mehr Markt und mehr Ökologie" heisst das Motto der Schweizer Agrarpolitik seit Anfang der Neunzigerjahre. Und immer mehr zeigt sich, wie schwer vereinbar die beiden Dinge sind. Gerade im Ackerbau geht es immer mehr um die Frage: Wie wettbewerbsfähig produzieren und trotzdem ökologisch bleiben? Die aktuelle Agrarpolitik – Senkung der Marktstützung, Direktzahlungen für ökologische Leistungen – ist der Versuch einer Antwort darauf.
Moser stellt eine andere Frage: Was passiert, wenn die Biodiversität und die Landschaftspflege von der Produktion abkoppelt werden – sind Buntbrachen, Naturpärke, Sortengärten und Gendatenbanken wirklich eine Alternative? Will man ein halbes Dutzend Sorten Äpfel im Ladenregal und mehrere hundert im Museum? "Ich möchte nicht die Äpfel im Museum anschauen und dann einen Hamburger essen", sagt er. "Ich will die Vielfalt der Äpfel selber kaufen und probieren können – und den Hamburger im Museum anschauen."
Raum für die Feldlerche
wy. Den Weizen weniger dicht ansäen, damit die Feldlerche nisten kann. Dies machen über 1’000 Getreidebauern, die für das Label IP-Suisse produzieren. Der Produzentenverband IP-Suisse hat das Projekt vor zwei Jahren zusammen mit der Vogelwarte Sempach initiiert. In intensiven Ackerbaugebieten hat die Feldlerche, die ihr Nest immer am Boden anlegt, kaum Brutgelegenheiten: Das Getreide ist zu dicht und zu hoch. Die Bauern, die beim Feldlerche-Projekt mitmachen, verpflichten sich, entweder auf fünf Prozent der Fläche das Getreide mit grösserem Abstand zwischen den Reihen anzusäen oder in den Feldern mehrere Stellen freizulassen, in denen Wildblumen gesät werden, so genannten Patches. Dabei scheint es, dass die Patches nicht nur für die Bauern praktischer sind als das weitreihige Säen, sondern dass sie auch den Vögeln mehr bringen.
Die IP-Suisse vermarktet ihr Getreide unter dem roten IP-Suisse-Marienkäfer vor allem über die Migros, aber auch über andere Verarbeiter wie die Grossbäckerei Hiestand oder McDonald’s. Der Anteil der IP-Suisse-Brotgetreidefläche beträgt nach Angaben der IP-Suisse ein Viertel der gesamten Brotgetreidefläche, rund 23’000 Hektaren.