Die Schweiz beteiligt sich an Finanzspekulationen auf Grundnahrungsmittel, sie macht beim Landgrabbing mit und steht bei der Verschwendung von Nahrungsmitteln nicht hintenan. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) geht davon aus, dass hierzulande pro Kopf und Jahr rund 300 Kilogramm Lebensmittel im Abfall landen. Rund ein Drittel davon geht aufs Wegwerfkonto der Konsumentinnen und Konsumenten. Zwei Drittel der Verluste entstehen während Ernte, Verarbeitung und Handel. Die Ansprüche an landwirtschaftliche Produkte sind hierzulande hoch, was sie nicht erfüllt, landet im Kübel. Dazu kommt, dass in der Schweiz vor allem hochwertige Produkte gefragt sind: Essbare Nebenprodukte wie z.B. Suppenhühner, Innereien, Molke oder Buttermilch finden nur wenige Abnehmer.
Die Bundesämter für Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Veterinärwesen sowie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wollen einen Beitrag zur Reduktion der Nahrungsmittelabfälle in der Schweiz leisten. Auch mehrere private Organisationen haben sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung bezüglich Food Waste (Lebensmittelverschwendung) zu sensibilisieren. Es sind dies u.a. die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE), der Verein foodwaste.ch, die Firma Toppits mit einer Facebook-Kampagne, die Westschweizer Konsumentenorganisation frc und der WWF. Auch auf privater Ebene gibt es Organisationen wie Schweizer Tafel, „Tischlein deck dich“, Partage und die Caritas, welche nicht mehr verkäufliche Lebensmittel bei den Detailhändlern und der Nahrungsmittelindustrie beziehen und an Bedürftige gratis oder gegen ein geringes Entgelt weiter geben.
Dieses Engagement ist richtig und wichtig. Genauso wichtig wäre es jedoch, mit den vorhandenen Ressourcen möglichst viele Nahrungsmittel nachhaltig zu produzieren. Dazu gehört z.B., dass Ab-fälle – wenn sie sich schon nicht vermeiden lassen – wenigstens verfüttert werden. Doch die Verfütterung von Gastroabfällen wurde in der Schweiz genauso verboten wie die Verfütterung von Schlachtabfällen an Mischkost-Fresser wie Geflügel und Schweine. Diese Futter-Rohstoffe werden verbrannt und der Nährwert durch Getreide und Soja aus Übersee ersetzt. Das trägt kaum dazu bei, die weltweite Ernährungssicherheit zu verbessern.
Die Schweiz könnte, wenn sie wollte
Der Anteil der Schweiz an den weltweiten Agrarimporten beträgt mengenmässig zwar nur rund ein Prozent, bezogen auf die Importmenge pro Kopf gehört die Schweiz aber zu den Ländern mit den weltweit höchsten Werten. Grundnahrungsmittel wie Reis oder Hartweizen, sowie proteinreiche Futtermittel wie Soja werden praktisch ausschliesslich importiert. Der Brutto-Selbstversorgungsgrad bei pflanzlichen Lebensmitteln liegt lediglich bei 40 bis 45 Prozent und ist stark witterungsabhängig; bei Lebensmitteln tierischer Herkunft liegt der Selbstversorgungsgrad bei rund 95 Prozent.
Dabei könnte sich laut einer Studie des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) die Schweiz eigentlich selbst versorgen. Allerdings nur theoretisch. Denn der Flächenbedarf für die Nahrungsmittelproduktion ist stark vom Ernährungsniveau (Anzahl Kalorien pro Person) und der Ernährungsweise (Anteil Fleisch, Milchprodukte etc.) abhängig. Wer auf dem heutigen Wohlstandsniveau konsumiert, benötigt pro Person eine Fläche von 14,5 bis 21,5 Aren um seine Ernährung sicherzustellen. Wenn man den Gesamtverbrauch an Nahrungsenergie um fast ein Drittel und den Konsum von tierischen Produkten um mindestens die Hälfte reduziert, wird wesentlich weniger Land benötigt. Der im Sachplan Fruchtfolgefläche festgesetzte Mindestumfang von 438‘560 Hektar Fruchtfolgeflächen würde theoretisch ausreichen, um die heutige Bevölkerung auf einem ernährungsphysiologischen Minimum von 2‘300 kcal mit einer ausgewogenen Mischkost zu ernähren. Tierische Lebensmittel müssten dabei in erster Linie auf der Basis von Raufutter oder mit Lebensmittelindustrieabfällen produziert werden.
Verschwendung satt
Die grösste Verschwendung findet nicht im Handel oder bei den Konsumenten statt, sondern beim Landwirtschaftsland. Seit 1990 gingen der Schweiz mehr als 40‘000 Hektar Ackerland verloren. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist im südlichsten Kanton der Schweiz in den letzten 30 Jahren laut Arealstatistik um fast 20 Prozent geschrumpft. Ganze Talschaften sind inzwischen komplett eingewaldet. Auch im Wallis ist der Wald auf dem Vormarsch, die meisten Berggemeinden sind bereits von Bäumen umzingelt. Im Sömmerungsgebiet werden Jahr für Jahr Weiden in der Grösse des Walensees (rund 2400 Hektar) vom Wald in Beschlag genommen.
Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz befindet sich in der Hügel- und Bergzone. Dort wächst in erster Linie Gras, das von Rindern, Schafen, Ziegen in Milch und Fleisch verwandelt werden könnte. Eine Mischkost (mit einem geringen Anteil Fleisch) ist deshalb in der Schweiz effizienter in Bezug auf die Nutzung der vorhandenen Ressourcen als eine rein vegetarische Kost. Denn für so eine Mischkost benötigt man weniger ackerfähigen Boden.
Politik zielt in andere Richtung
Der Schutz vom Ackerland steht inzwischen zwar auf der politischen Agenda. Doch bei der Umsetzung hapert es noch immer. Noch schlimmer sieht es beim Grünland aus: Die AP 14-17 führt laut Modellrechnungen der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope dazu, dass in den Bergzonen III und IV weitere fünf Prozent der Grünlandfläche aufgegeben werden. Die Forscher halten es auch für sehr wahrscheinlich, dass 10 bis 40 Prozent der Flächen im Sömmerungsgebiet künftig nicht mehr genutzt werden; auf den Hochalpen könnte laut ihren Szenarien sogar ein Mehrfaches davon betroffen sein. Damit tritt die Nahrungsproduktion vor allem auf jenen Flächen in den Hintergrund, die in keinerlei Konkurrenz zu einer anderen Nutzung stehen (Bauten, Erschliessung, Ackerbau, Energieproduktion etc.). Die Schweiz ist reich. Sie kann Nahrungsmittel jederzeit importieren. Auch aus Ländern, in denen Hunger herrscht.

