
2008 stiegen die Weltmarktpreise für Weizen und Reis auf Niveaus, wie man sie die letzten 30 Jahre nicht mehr kannte. Das hielt die Welternährungsorganisation FAO später in ihren Berichten fest. Die hohen Preise hatten Folgen, insbesondere für Menschen mit einem tiefen Einkommen. Praktisch über Nacht konnten sie sich nicht mehr ausreichend ernähren - sie litten Hunger.
Mauritius importierte zu dieser Zeit praktisch den ganzen Bedarf an Brotgetreide und Reis. Das sind jährlich rund 78'000 Tonnen Reis und 165'000 Tonnen Weizen. Ausserdem werden 6'000 Tonnen Tomaten, 35'000 Tonnen Sonnenblumenöl und 250 Tonnen Zitrusfrüchte eingeführt. Für die Bevölkerung und insbesondere die regierungsnahen Firmen, die für die Importe zuständig sind, war die Versorgung praktisch über Nacht gefährdet. 2014, sieben Jahre später, schreibt das nationale Audit-Büro in einem Evaluationsbericht, dass dieser dramatische Sommer 2008 für ein Umdenken bei der Regierung gesorgt habe. Die Regierung sei "aufgewacht", heisst es. Und sie habe dazu aufgefordert, dass auf allen Ebenen Massnahmen getroffen werden, damit Mauritius zukünftigen Schocks - Finanzkrisen, Marktschwankungen oder Umweltkatastrophen - besser wiederstehen könne.
Befeuert von der angespannten Situation wurde ein politisches Programm ins Leben gerufen, der Food Security Fund Strategic Plan. Mithilfe dieses ziemlich umfangreichen Planes soll die Bruttoselbstversorgung der Insel um zehn Prozent auf 33 Prozent erhöht werden. Nur bei der Milch- und Fleischproduktion soll das Wachstum höher ausfallen, die Regierung wünschte sich 2008 eine knappe Verdreifachung der Milchproduktion, von 5,9 Millionen Liter auf 14 Millionen Liter und beinahe eine Verdoppelung der Rindfleischproduktion, von 1'300 Tonnen auf 2'300 Tonnen pro Jahr.
Landgrabbing, um fehlende Landflächen zu kompensieren
Würde die Insel einen Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent anstreben, müssten theoretisch zusätzlich 177'400 Hektaren Ackerflächen erschlossen werden. Nur ist Mauritius lediglich 2'040 Quadratkilometer gross und kann nur auf etwa der Hälfte der Fläche überhaupt Landwirtschaft betreiben. Die Insel müsste, um den ganzen Bedarf decken zu können, theoretisch doppelt so gross sein. Um diese strukturelle Schwäche auszugleichen, hat die mauritische Regierung rund 23'500 Hektaren Land in Mosambik gepachtet. Von den angebauten Gütern sollen 25 Prozent beiden Regierungen zur Verfügung stehen, heisst es. Wohin die übrigen 75 Prozent gehen, ist unklar.
Neben der natürlichen Beschränkung der Ackerflächen ist auch der Zugang zu Dünger und Pflanzenschutzmitteln beschränkt. Und es stellt sich zunehmend heraus, dass immer weniger Menschen bereit sind, auf den Äckern zu arbeiten, den Bauern gehen die Arbeitskräfte und die Betriebsnachfolger aus.
Um den verschiedenen Problemen zu begegnen, soll sich auch die Landwirtschaft stärker am Export orientieren und neue Chancen für Landwirte, Unternehmer und Familien auf dem Land schaffen. Gleichzeitig sollte auch der Zugang zu Ackerland vereinfacht und die Mechanisierung der Landwirtschaft vorangetrieben werden. Und, zu guter Letzt, müsste auch Forschung betrieben werden, um eine nachhaltige, die Biodiversität und Pflanzenwelt schonende und ressourceneffiziente Landwirtschaft entwickeln zu können. In der Gesamtheit der Massnahmen sollen am Ende die Produktivität und das Einkommen der bäuerlichen Arbeitskräfte steigen.
Für das Programm hat man ursprünglich ein Budget von 1,086 Milliarden Rupien geplant, wobei man 915 Millionen Rupien auf Mauritius ausgeben wollte. Insgesamt je 458 Millionen Rupien für die Pflanzen-, bzw. Tierproduktion.
Ausbleibende Wirkung in vielen Bereichen
Tatsächlich blieb der Plan auf dem Papier besser als in der Realität. Zwar konnte man auf Mauritius 1'075 Hektaren Land für die landwirtschaftliche Nutzung freigeben, um die Produktion von Zwiebeln, Kartoffeln, Knoblauch, Mais, Früchten und Futter zu erhöhen. Und in den ersten drei Jahren konnten 12'000 Bauern - das ist etwa ein Drittel der gesamten Bauernschaft auf Mauritius - an Kursen teilnehmen, wo sie mehr über die Pflanzen- und Tierproduktion lernten.
Die Regierung liess im Frühling 2014 das nationale Audit Office, eine Art staatliche Auditierungsorganisation, die gemachten Fortschritte evaluieren. Wie in dem Bericht geschrieben steht, habe vor allem die "egoistische Mentalität" der Landwirte und Kleinbauern dazu geführt, dass sich keine Genossenschaften oder Kooperativen gebildet hätten. Ein Phänomen, das auch auf dem afrikanischen Kontinent beobachtet wird. Doch gerade Genossenschaften waren die Bedingung, um Gelder für die Entwicklung von Geschäftszweigen zu erhalten oder bestehende Infrastrukturen besser nutzen zu können.
Von diesem Problem sind vor allem Landwirte betroffen, die nicht im Zuckerrohranbau tätig sind. Denn dort sind die Supply Chains, also die Verbindungen zwischen Produzenten und Abnehmern, viel besser ausgebildet und gesteuert als dies bei anderen Sektoren wie der Milchproduktion der Fall ist. Für diese Bauern ist es praktisch unmöglich, die Produktion der Marktnachfrage anzugleichen. Die Folge sind enorme Versorgungsschwankungen - mit Knappheit oder starker Überproduktion. Daraus folgen starke Preisschwankungen, die auch für die Bauern schwer zu bewältigen sind.
Ganz ohne Wirkung ist der Plan doch nicht
Trotz diesen Schwierigkeiten hat die Pflanzenproduktion um fast 24 Prozent zugenommen. Die mauritischen Bauern produzierten im vorletzten Jahr nämlich 115'000 Tonnen Früchte und Gemüse, 2008 waren es nur 93'000 Tonnen. Während bei der Pflanzenproduktion eine gewisse Wirkung sichtbar ist, blieb diese bei der Tierhaltung weitgehend aus. Zwar hielt man im Zwischenbericht fest, dass die Milchproduktion um 37 Prozent, von 4,3 Millionen Liter auf 5,9 Millionen Liter zulegte, und auch die Fleischproduktion um 53 Prozent gesteigert werden konnte. Doch die lokale Milchproduktion kann nach wie vor nur zwei Prozent der mauritischen Nachfrage bedienen. Um die lokale Rindfleischproduktion steht es noch schlechter, diese deckt nur 1,5 Prozent der Nachfrage. Ausgenommen hiervon sind Geflügel- und Schweinefleisch, deren Produktion die Nachfrage nach wie vor vollständig decken kann.
Damit die Milchleistung der mauritischen Farmer verbessert wird, plante die Behörde Modellfarmen, auf denen die "richtige" Haltung und Melkpraxis vermittelt werden sollte. Da allerdings während den letzten Jahren die Staatsgelder gekürzt wurden, standen statt zehn nur vier Millionen Rupie zur Verfügung; das sind rund 106'000 Schweizer Franken. Um die Modellfarmen trotzdem bauen zu können, hat man die Betriebsgrösse von 50 auf 30 Kuhplätze reduziert. Dann konnte mit dem Bau begonnen werden, der bis heute andauert. Andererseits hat man festgestellt, dass die Milchkühe nicht die erwartete Milchleistung erbringen können. Eigentlich müssten die Kühe, man setzt Jersey und Holstein-Friesian ein, gemäss Plan zwischen vier- und fünftausend Liter Milch pro Laktation produzieren. Tatsächlich aber liegt die Milchproduktion bei 1'500 kg pro Kuh und Jahr. Und das, obwohl die Produktionsbedingungen in etwa dieselben sind wie in Südafrika, dem Herkunftsland der Kühe.
Wie es nach 2015 weitergeht, ist noch unklar
Neben dem Bericht des Audit-Büros ist es im Moment aber um den Plan recht ruhig geworden. In den Medien wird der Food Security Fund Strategic Plan kaum thematisiert. Auch die lokale Bevölkerung hat wenig von den Regierungszielen mitbekommen. Für Sie entscheidend sind die Preisentwicklung auf den Märkten und die Verfügbarkeit der Waren.
Gleichzeitig setzte die Regierung vor allem auf die Privatwirtschaft. Diese soll letztlich für das gewünschte Wachstum sorgen, während man sich in den Amtsstuben darauf fokussiert, die richtigen Leute zusammenzubringen und für die Ziele zu sensibilisieren, die sie erreichen sollten. Nun ist das Programm etwas in den Hintergrund gerückt, was an den jüngsten Entwicklungen liegen dürfte. Denn mehrere Korruptionsaffären belasten das Image der regierenden Partei sowie das Vertrauen in den Staat und haben dazu geführt, dass der amtierende Premierminister im Frühling 2015 abgesetzt wurde. Da die Landwirtschaft ausserdem volkswirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung ist, hat man offenbar auch den Plan etwas zurückgestuft. Zwar will man die Landwirte unterstützen, damit sie die globalen Herausforderungen besser meistern können. Allerdings scheint es am politischen Willen zu fehlen. Wie es mit dem Plan deshalb weitergehen soll, ist ungewiss.