Das gilt auch für Schafe, die ihren Beitrag zur Landschaftspflege leisten und Alpen und steile Hänge sauber halten. Wenn man die Lämmer nicht schlachten würde, dann hätten die Schafe die Schweiz längst kahl gefressen. Auch Suppenhühner fallen ungefragt als Nebenprodukt der Eierproduktion an: Fleisch ist hierzulande zu einem grossen Teil ein Koppelprodukt. Fleisch geht ans Lebendige. Vielleicht ist deshalb jeder, der Fleisch isst oder produziert, vor Kritik nicht gefeit. Dabei geht es um mehrere Bereiche: Um die Haltung von Nutztieren und das Töten an sich, um die Verfütterung von Rohstoffen, die der menschlichen Ernährung dienen könnten und oft aus dem Ausland stammen, und – vor allem in neuerer Zeit – um die Umweltbelastung der Tierhaltung.
Ethik im Kopf – Preis im Auge
Während der Steinzeit galt für Menschen wie für Tiere nur das Motto: Fressen oder gefressen werden. Im Laufe der Evolution hat sich das geändert. Heute haben sich Tiere einen Platz als Freund des Menschen erobert. Viele Menschen haben eine persönliche Beziehung zu ihren Haus- und Freizeittieren. Die Liebe zu Hunden, Katzen oder Pferden übertragen sie dann auf Nutztiere wie Rinder, Schweine, Hühner. Und wer würde seine Freunde schlachten wollen? Allerdings gaben nur 2,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung an, ganz auf den Konsum von Fleisch zu verzichten. Der grosse Rest ruft erst Jööh, dann Igitt und isst das Fleisch schliesslich trotzdem.
Eine gewisse Widersprüchlichkeit scheint den Konsumenten eigen zu sein. Wie ist es sonst zu erklären, dass der Tierschutz in der öffentlichen Diskussion einen grösseren Stellenwert hat, der jedoch kleiner wird, wenn es ums Bezahlen von Tieren aus artgerechter Haltung geht? Es scheint, dass nach wie vor der Preis sehr wichtig ist. Er ist der Hauptgrund für den Einkaufstourismus über die Grenzen; obwohl im Ausland nicht dieselben Tierschutzvorschriften gelten wie in der Schweiz.
Fleisch oder Gras?
"Um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, braucht es acht Kilogramm Getreide", ist eine der Rechnungen die ins Spiel gebracht wird, wenn es darum geht den Unsinn der Fleischproduktion aufzuzeigen. Diese Rechnung mag auf die USA zutreffen, wo Bullen und Ochsen mit einer Ration aus 100 Prozent Mais gemästet werden. In der Schweiz wird Rindfleisch jedoch mit einem hohen Anteil an Raufutter erzeugt, mit Gras, Heu und Grassilage – also lauter Rohstoffen, die für die menschliche Ernährung nicht geeignet sind (wer will denn schon ins Gras beissen?). Selbst Schweine verwerten hierzulande auch die Abfälle der Lebensmittelindustrie – welcher Mensch wollte da mit ihnen tauschen? Ganz so einfach, wie es die simple Rechnung suggeriert, ist die Sache eben nicht. Das gilt auch für den Vergleich des schweizerischen Vereins für Vegetarismus, der lautet, dass man 6 m2 Fläche bräuchte um ein Kilogramm Kartoffeln zu produzieren, 16 m2 für ein Kilogramm Brot und sage und schreibe 269 m2 für ein Kilogramm Rindfleisch. Offensichtlich hat sich hier jemand um den Faktor Zehn verrechnet. Doch davon gesehen hinkt auch dieser Vergleich: Denn längst nicht auf jeder Wiese und auf jedem Acker lassen sich Rüebli, Äpfel oder Kirschen anbauen. Mit der Fleischproduktion lassen sich Standorte nutzen, die für den Acker- und Obstbau nichts taugen.
Fleisch aus der Retorte
ed. Holländische Forscher wollen Fleisch künftig in Reaktoren aus Zellkulturen herstellen. Statt mit Gras und Getreide werden die Zellkulturen mit Nährlösungen aus Wasser, Zucker, Vitaminen und Aminosäuren gefüttert. Statt sich auf der Weide zu tummeln, werden die künstlichen Muskeln mit elektrischem Strom bewegt. Statt grüner Wiesen und hölzerner Laufställe werden für das Technofleisch Reaktortürme gebaut. Statt Gras, Heu, Soja und Mais braucht das neue Fleisch vor allem Energie und die stammt überwiegend aus Erdöl. Das kann man zwar nicht streicheln und man kann mit ihm nicht z'Alp gehen. Aber dafür muss man es auch nicht töten – es reicht, den Strom abzuschalten.
Fleisch aus Gras!"Das Vieh der Reichen frisst das Getreide der Armen" brachte es die Erklärung von Bern einmal auf den Punkt. Tatsächlich dient ein Drittel der pflanzlichen Ernte weltweit als Viehfutter, rund die Hälfte davon wird in Entwicklungsländern angebaut. Auch die Schweiz gehört zu den Futtermittelimporteuren. Seit die Tiermehlverfütterung nach der BSE-Krise verboten wurde, ist einheimisches Eiweissfutter noch rarer geworden. Seither wird noch mehr importiert. Rund 15 Prozent des Energie- und 22 Prozent des Eiweissbedarfs aller Nutztiere in der Schweiz werden durch Importe gedeckt. Dazu werden Futtergetreide, Ölkuchen, Fischmehl, Brauereiabfällen und diverse anderen Rohstoffe eingeführt. Je nach Witterungsverlauf kommt auch ein Teil des Raufutters, zum Beispiel Heu, aus dem Ausland. Würde man auf den Import dieser Futtermittel verzichten müsste man die Fleisch-, Eier- und Milchproduktion drastisch reduzieren. Dass die Konsumentinnen und Konsumenten dann den Gürtel enger schnallen und mehr Weizen, statt Schweinsbratwürste konsumieren würden, ist unwahrscheinlich. Statt dessen würde vermutlich noch mehr Fleisch importiert – zum Beispiel aus Brasilien, dem weltgrössten Futtermittel und Fleischexporteur. Einem Land in dem die tiergerechte Haltung genauso wenig ein Thema ist wie der Umwelt- und Klimaschutz (oder die Tatsache, dass 16 Millionen Brasilianer unterernährt sind).
Klimaschutz oder Tierwohl?
"Ein Kilogramm Fleisch verursacht dieselbe Umweltbelastung wie eine 113,4 Kilometer lange Autofahrt", lautet ein anderes Rechenbeispiel. Es stammt von foodwatch, dem deutschen Verein für Verbraucherschutz. Foodwatch rät beim Fleisch zu einer "klimaoptimierten Produktion." Das bedeutet, dass statt dem Fleisch von freilaufenden Kühen vermehrt Fleisch von eingesperrten Schweinen auf den Teller kommen sollte. Denn die Umweltbelastung, sprich der Ausstoss von klimarelevanten Gasen ist umso geringer, je weniger Auslauf die Tiere haben, je weniger sie sich bewegen, je intensiver sie gemästet werden und je direkter das Futter in Fleisch verwandelt wird. Tierwohl und Klimaschutz sind zwei Gegensätze, die in dieser Studie gegeneinander ausgespielt werden. Wollte man wirklich auf die klimaschädigenden Verdauungsgase der Tierhaltung verzichten, so müsste man von der Kuh- auf die Kamelhaltung und von der Schweine- auf die Känguruhmast umstellen. Diverse Experten empfehlen das bereits.
Es stimmt, dass die Landwirtschaft hierzulande für 80 Prozent der Methan- und 75 Prozent der Lachgasemissionen verantwortlich ist. Das mag hoch erscheinen, doch in CO2-Äquivalenten ausgedrückt produziert die Landwirtschaft nur etwa 11 Prozent zur gesamten Treibhausgasemission der Schweiz. Und im Gegensatz zum Autofahren hat die Landwirtschaft eine klare Aufgabe: Sie produziert Nahrung. Autofahren macht dagegen nicht satt.
11.1 Am Markt kommt niemand vorbei
Dass auch der Markt, also die Nachfrage, oder vielmehr die Konsumenten einen wesentlichen Einfluss darauf haben, ob die Fleischproduktion mehr oder weniger sinnvoll geschieht, lässt sich beim Biofleisch aufzeigen: Dort ist die Nachfrage deutlich gestiegen. Allerdings nicht beim Rind- oder Kalbfleisch, von welchem nach wie der grösste Teil nicht als Biofleisch in den Verkauf gelangt, sondern über konventionelle Kanäle ohne Biozuschlag vermarktet wird. (Was besonders deswegen schade ist, weil der weitaus grösste Teil der Biobauern im Berggebiet lebt und Rindvieh hält). Nein, die Konsumentinnen und Konsumenten wollen nicht mehr Bio-Rindfleisch, sondern Bio-Schweinefleisch und Bio-Poulets. Diese Tierarten sind jedoch auf Biogetreide zur Fütterung angewiesen. Und das ist in der Schweiz mehr als rar, die Schweizer Bioproduktion deckt nicht einmal annähernd den Bedarf an Brotgetreide, vom Futtergetreide ganz zu schweigen. Ein umfangreicher Import von Futtergetreide widerspricht jedoch dem Kreislaufgedanken der biologischen Landwirtschaft. Und der Import von Bioschweinen und Biopoulets nützt der einheimischen Landwirtschaft nichts, sondern schadet ihr im Gegenteil eher, weil er das Preisniveau auf ausländischem Niveau zementiert. Das macht die Produktion dieser Fleischarten im Inland noch unattraktiver, weil die umliegenden Länder dank ihrer tieferen Produktionskosten billigeres Fleisch anbieten können. Das Ganze ist ein Teufelskreis.
11.2 Mehr bringt mehr
Die Sache ist komplex. Und doch ist es im Grunde genommen ganz einfach: Es wäre nämlich schon viel gewonnen, wenn alle Fleischgeniesser mehr essen würden. Nicht mehr Filet oder Steaks, sondern mehr Fleisch vom selben Tier. Ein grosser Teil des geschlachteten Tieres landet heute nämlich in der Kadaververwertung; Schätzungen gehen von Verlusten bis zu einem Drittel des Schlachtgewichtes aus. Früher wusste man mit Siedfleisch, Kutteln, Schwänzli und Suppenhühner noch etwas anzufangen, heute sind viele Konsumentinnen und Konsumenten schon überfordert, wenn sie einmal etwas anderes als Steak oder Filet zubereiten müssen.
Die Weltbevölkerung wächst, doch die Erde bleibt gleich gross und die landwirtschaftliche Nutzfläche nimmt eher ab als zu. Wenn alle satt werden sollen, dann scheinen Verhaltensänderungen unausweichlich. Irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, dass immer mehr Futtermittel oder Fleisch aus der Dritten Welt in der Ersten Welt konsumiert wird. Man wird sich beschränken müssen. Zum Beispiel auf Fleisch aus der Schweiz. Fleisch, welches zu einem Grossteil mit Schweizer Futtermitteln und obendrein tierfreundlich produziert worden ist. Weil die Schweiz ein Grasland ist, sollten die Wiederkäuer auf der Speisekarte oben stehen, also Kalb, Rind, Schafe und Ziegen; die meistens als Koppelprodukte anfallen. Schweinefleisch hätte als Abfallverwerter seinen Platz auf dem Teller verdient, allerdings würde dieser kleiner ausfallen als bisher, wenn man weniger Futtermittel importieren könnte. Berechtigt wäre auch der Pouletfleischgenuss, denn keine andere Tierart verwertet Futtermittel so effizient wie Hühner. Aus weltpolitischer Rück-Sicht sollte man den Pouletkonsum jedoch auf jene Tiere begrenzen, die das Glück hatten, in der Schweiz aufzuwachsen. Keine Grenzen sollte man dagegen bei der Bezahlung setzen, denn eine faire, sprich tierfreundliche Nutztierhaltung hat ihren Preis. Erst der Billigwahn macht aus der Fleischproduktion ein blutiges Geschäft.

