
Es begann mit dem Aufwerten einer Trockenmauer. Nach einem Projekt blieb der Bündner Gemeinde Ramosch etwas Geld übrig. Die Beteiligten waren noch immer voller Tatendrang, also beschlossen sie 2009 die Gründung der Stiftung Pro Terra Engiadina, gemeinsam mit anliegenden Gemeinden und kantonalen Ämtern. Ziel sind die Erhaltung und Aufwertung einzigartiger Natur- und Kulturobjekte im Engadin, damit die Landschaft als Grundlage für den (Agro-)Tourismus genutzt werden kann.
Einmalige Regionen bewahren
Bei der Gründung mit dabei war auch Victor Peer, Landwirt und Gemeindepräsident von Ramosch. Für Peer, der mit der Natur arbeitet, ist Landschaftsschutz ein grosses Anliegen. «Wir müssen nicht aussehen wie das Berner Oberland oder das Appenzellerland. Unsere Region ist einmalig, wir sollten sie bewahren», sagt Peer, der auch als Präsident von Pro Terra Engiadina fungiert.
Mit ihrer Bereitschaft, die Natur zu erhalten, zog Pro Terra Engiadina Aufmerksamkeit auf sich: Kurz nach der Stiftungsgründung lud das Bundesamt für Landwirtschaft BLW die Initianten ein, in der Region Ramosch und Tschlin diverse Landschaftsschutz-Projekte zu organisieren und als Pilotprojekt ihre Erfahrungen mit dem Amt zu teilen. Das BLW suchte nach geeigneten Massnahmen, wie die Landwirtschaft den Landschaftsschutz praktisch umsetzen könnte. Schliesslich half Pro Terra Engiadina dabei, einen Massnahmenkatalog zu erschaffen, der in der AP 14-17 erstmals erschien.
Vielfalt und Vernetzung
Bis zur Einführung der Agrarpolitik 14wurden nur die Offenhaltung von Flächen in Form von Hangbeiträgen oder Sömmerungsbeiträgen sowie die Vielfalt der Lebensräume mit Vernetzungsbeiträgen gefördert. Seither entschädigen Landschaftsqualitätsbeiträge (LQB) Landwirtinnen und Landwirte für die Kulturlandschaftspflege, gemäss Bundesverfassung (Art. 104 Abs. 1 Bst. B) Artikel 104b BG. Die Beiträge werden auf der Grundlage von Projekten ausgerichtet, sodass Kantone damit regionale Bedürfnisse berücksichtigen können. 2019 waren 138 Landschaftsqualitäts-Projekte (LQ-Projekte) am Laufen, die der Bund mit total 146 Millionen Franken förderte, je 10% wurden von den Kantonen finanziert.
Landschaftsqualitätsbeiträge
Landschaftsqualitätsbeiträge sind ein Instrument, mit dem die landwirtschaftliche Vielfalt der Schweiz gezielt erhalten und gefördert werden kann. Seit 2014 sind sie im Direktzahlungssystem als separate Direktzahlungsart eingetragen und machen 5% der gesamten Direktzahlungen aus. Projekte werden auf die regionalen Landschaftsziele ausgerichtet und von Vertretern des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW und Bundesamt für Umwelt BAFU überprüft. Die Direktzahlungen entschädigen Ertragsausfall, Zusatzaufwand und Rationalisierungsverzicht. Mehr Infos auf diesem Link.
4 von 5 Betrieben machen mit
Mitmachen können Ganzjahres- sowie Sömmerungsbetriebe. Auf der BLW-Grafik fällt auf, dass Betriebe im Engadin, im Pruntruter Zipfel und in der Zentralschweiz sich überdurchschnittlich stark an LQ-Projekten beteiligen. 81% der Ganzjahresbetriebe und 68% der Sömmerungsbetriebe hatten 2019 gemäss Agrarbericht einen laufenden LQ-Vertrag. Es wurden rund 35% der Beiträge für die Vielfalt im Grünland, im Rebbau und im Ackerbau ausgerichtet. Elemente, die die Landschaft strukturieren (bspw. Obst- und Einzelbäume, Hecken oder Weiden mit vielen landschaftsstrukturierenden Elementen), wurden mit 28% der Beiträge unterstützt. Laut Agrarbericht wurden traditionelle Bewirtschaftungsformen (bspw. Feuchtwiesen) mit 5% der Beiträge unterstützt.
Franziska Grossenbacher von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP) freut sich über das grosse Engagement. Grund für die hohe Beteiligung in einzelnen Regionen sei die vermehrte Projektaktivität, denn gerade in touristischen Regionen sind es oft Landwirtinnen und Landwirte, die auf sie zukommen. «Sie finden es schade, dass gewisse Landschaften verschwinden und wollen sich aktiv am Landschaftsschutz beteiligen», sagt Grossenbacher.
Es gibt auch Konfrontationen
Die Tätigkeiten der über 50-jährigen SL-FP hat viele Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Natürlich kommt es da auch zu Konfrontationen wie beispielsweise das Thema Stallbau. Das Errichten von Geflügel- und Schweineställen ausserhalb der Bauzone ist Grossenbacher ein Dorn im Auge, deshalb hat sie mit ihrem Team einen Leitfaden zu landschaftsverträglichem Stallbau veröffentlicht. «Es ist schade, wenn Landschaften zersiedelt werden, nur weil es am einfachsten ist, den Stall auf ein Stück eigenes Ackerland zu stellen. Schlimmstenfalls wird sogar noch die Zufahrtsstrasse asphaltiert», bedauert Grossenbacher. Statistiken des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE zeigen, dass rund 40% der Siedlungsflächenzunahme ausserhalb der Bauzonen 2013-2018 auf das Konto von landwirtschaftlichen Gebäuden und deren Umschwung gingen. «Ausserdem sehen die Ställe vom Genfersee bis zum Bodensee gleich aus», sagt die Geographin und bedauert, dass man die Gebäude nicht an lokale Gegebenheiten anpasst.
Schlussendlich profitieren alle
Bei allem Unmut: Grossenbacher versteht den Anpassungsdruck der Landwirtschaft, die immer grösser werdenden Betriebe, die Verlagerung weg vom Dorfzentrum wegen Geruchsemissionen. «Wir arbeiten nicht gegen die Landwirtschaft, sondern mit ihr. Es ist wichtig, dass die Flächen bewirtschaftet werden, sonst droht eine Verarmung der Schweizer Landschaften», sagt Grossenbacher. Die SL-FP setze sich auch dafür ein, dass das Direktzahlungssystem die aufwändige Landschaftspflege fair entschädigt.
Victor Peer erbringt nebst seinem Engagement bei Pro Terra Engiadina auch auf seinem Hof Leistungen für die Landschaftsqualität. Er tut dies nicht nur für den Naturschutz, sondern vor allem für die Standortattraktivität. «Ich könnte hier sowieso kein Gemüse anbauen. Statt dass ich auf Teufel komm raus Milch produziere, macht es doch viel mehr Sinn, Projekte zu unterstützen, die die Region aufwerten. Am Schluss profitieren auch Dorfläden und Hotels, und die Leute kommen gerne zu uns. So bleibt die Wertschöpfung in der Region.»
