Ob die Ökologisierung der Schweizer Landwirtschaft voranschreitet, hängt nicht nur von der Einstellung der Bäuerinnen und Bauern ab sondern auch von den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Und hier stehen nicht alle Zeichen auf grün.
7.1 Strukturwandel
Betriebliches Wachstum bei gleichbleibendem Personal bedeutet, dass pro Flächen- und Tiereinheit weniger Zeit zur Verfügung steht. Es werden weniger Landwirtinnen und Landwirte für die Pflege von ökologischen Ausgleichsflächen und von Naturschutzgebieten zur Verfügung stehen; sie werden weniger Zeit für die oftmals aufwendige Pflege der ökologischen Ausgleichsflächen haben. Weniger Bauern bedeutet auch weniger Ökologie.
7.2 Konsumverhalten
Seit vielen Jahren betonen die Konsumentinnen und Konsumenten in Umfragen immer wieder, dass ihnen eine umweltgerechte Landwirtschaft sehr wichtig ist. Doch während die Konsumenten auf der einen Seite die ökologische Landwirtschaft beschwören, kaufen sie auf der anderen Seite vermehrt im Ausland ein und stürzen sich auf Billigprodukte. Paradoxerweise nimmt gleichzeitig der (teurere) Ausser-Haus-Verzehr von Mahlzeiten zu und (teurere) Convenience-Produkte gewinnen an Marktanteilen. Problematisch ist, dass sowohl bei Convenience-Produkten als auch beim Ausser-Haus-Verzehr und den Billigprodukten die Herkunft der Rohstoffe (Fleisch, Eier, Milch, Getreide) viel weniger eine Rolle spielt. Schweizer Produkte aus der Produktion mit ökologischem Leistungsnachweis geraten durch diese Entwicklung ins Hintertreffen. Die Produktion von ökologisch nachhaltig produzierten Rohstoffen wird in Frage gestellt.
7.3 Gesellschaft und Einstellung
Überspitzt gesagt könnte man die heutige Situation auf die Formel reduzieren: "Alle wollen mehr Ökologie – doch keiner will etwas dafür tun." Konkrete Anzeichen für eine deutliche Ökologisierung der heutigen Freizeit- und Konsumgesellschaft fehlen jedenfalls. So wird die Verantwortung für mehr Umweltschutz den Bauern übertragen. Dabei ist es fraglich, ob die ökologischen Leistungen der Landwirtschaft von den Durchschnittskonsumentinnen und -konsumenten tatsächlich wahrgenommen und geschätzt werden. Merken die Konsumentinnen und Konsumenten eigentlich, wie gut es der Natur und den Nutztieren in der Schweiz geht? Zweifel sind zumindest angebracht.
7.4 Bio-Energie versus Ökologie?
Es waren vor allem wirtschaftspolitische Gründe, die zur Festschreibung des ökologischen Leistungsnachweises führten. Genau so könnten wirtschaftspoltische Gründe Teile des ÖLN bedrohen: Der Bioenergieboom könnte bereits in naher Zukunft dafür sorgen, dass die ökologischen Ausgleichsflächen unter Druck kommen. Dies aus drei Gründen:
Zum einen dürften mittelfristig die Preise für Nahrungsmittel steigen, weil weltweit deutlich weniger Fläche für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen wird. Da könnte es sich sogar für Schweizer Bauern plötzlich wieder lohnen, die Nahrungsmittelproduktion zu intensivieren statt auf Naturschutz zu setzen.
Zum Zweiten wird die Entwicklung im Sektor Bioenergie monetär gesteuert. Je nachdem, wie viel staatliche Gelder in die Gewinnung von Bioenergie gesteckt werden, könnte der Anbau von Energieholz oder Energiemais wirtschaftlich interessanter sein als die Pflege von Ökoflächen. In den Nachbarländern Deutschland und Österreich werden bereits heute Stilllegungsflächen zum Anbau von Energiepflanzen verwendet, während die ökologischen Ausgleichsflächen in der Schweiz für die Natur reserviert sind.
Drittens dürfte nicht nur das Geld, sondern auch das bäuerliche Ansehen eine Rolle spielen: Die meisten Bauern sind Unternehmer, sie wollen produzieren. Dazu kommt die Frage, ob ein Bauer der nachwachsende Rohstoffe anbaut in der Gesellschaft besser da steht als ein Bauer der sich um die Erhaltung der Agrobiodiversität bemüht? Sind Schmetterlinge, Blüemli und Wildpflanzen der Bevölkerung und den Politikern mehr wert als die Produktion eines vermeintlich umwelt-freundlichen Treibstoffs?
Ökologie versus Energie – diese Auseinandersetzung dürfte die Schweizer Landwirtschaft in den nächsten Jahren beschäftigen. Es wäre nicht das erste Mal, wenn die Ökologie dabei das Nachsehen hätte...