Experten der FAO gehen davon aus, dass die Nahrungsmittelproduktion weltweit um rund 60 Prozent gesteigert werden muss, wobei zwingend weniger Ressourcen verbraucht werden dürfen. Im Fokus steht nachhaltiges Wachstum. Darüber, wie dieses erreicht werden soll, gehen die Meinungen auseinander. Der Agrochemiekonzern Syngenta stellt sich unter nachhaltigem Wachstum etwas anderes vor als der Weltagrarrat. Syngenta will Wachstum vor allem mit vermehrtem Hilfsmitteleinsatz erreichen. Also dadurch, dass auch die Kleinbauern künftig vermehrt auf die Errungenschaften der modernen Landwirtschaft setzen, wie Dünger, Gentechsaatgut und Agrochemie. Der Weltagrarrat fordert dagegen eine stärkere agrarökologische Ausrichtung weltweit.
Eine Strategie „weiter wie bisher“ ist für ihn keine Option. Die FAO wiederum sieht vor allem in besseren Rahmenbedingungen eine Lösung. Schliesslich ist in den meisten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Hunger eine Frage der Selbstversorgung. Die Armen auf dem Land brauchen in erster Linie Zugang zu Boden, Wasser und Produktionsmitteln, eine soziale Mindestabsicherung und Zugang zu Wissen und Bildung. Wenn sie dann auch noch zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten haben stehen die Chancen gut, dass sie der Armutsfalle – und damit dem Hunger – entkommen.
Leider ist Hunger oft eng mit der Regierungsführung eines Landes verknüpft. Schwache Regierungen setzen meistens andere Prioritäten als die Bekämpfung des Hungers der eigenen Bevölkerung. Viele Machthaber nutzen humanitäre Hilfe sogar als Einnahmequelle. Korruption, Krieg und Gewalt, sowie Inkompetenz und Ignoranz der städtischen Eliten sind mitverantwortlich dafür, dass die Entwicklung in vielen Ländern stagniert. Gut gemeinte Appelle von internationalen Organisationen nützen bei Despoten und selbstherrlichen Machthabern in aller Regel wenig.
Kleinbauern machen auch satt
85 Prozent der weltweit 525 Millionen bäuerlichen Betriebe bewirtschaften weniger als zwei Hektar Land. Diese Kleinbauern bewirtschaften zusammen rund 60 Prozent der weltweiten Anbaufläche, wobei sie sich oft mit schlechteren Standorten begnügen müssen. Wer wirksam Hunger bekämpfen will, muss deshalb auch bei den Kleinbauern ansetzen. Landreformen und ein geregelter Zugang zu Wasser sind zum Beispiel Möglichkeiten, um eine nachhaltige Landbewirtschaftung sicherzustellen.
Die industrialisierte Landwirtschaft kann grosse Mengen Lebensmittel mit relativ wenig Arbeitseinsatz herstellen, sie benötigt dazu aber viel Energie, Dünger und Hilfsstoffe. Ausgelaugte und versalzene Böden, Entwaldung, Gewässerverschmutzung, Reduktion der natürlichen Vielfalt und anderes mehr sind mögliche Folgen davon. Allerdings gehen auch die Kleinbauern nicht immer nur pfleglich mit den natürlichen Ressourcen um. Sie haben jedoch das grössere Potential für Ertragssteigerungen. Mit verbesserten Anbaumethoden, einfachen Technologien und Knowhow, geeignetem Saatgut und agrarökologischen Strategien könnten die Kleinbauern ihre Erträge nachhaltig steigern. Sie benötigen dazu eine minimale Rechtssicherheit, ein faires Entgelt für ihre Produkte, eine ihren Bedürfnissen angepasste Infrastruktur wie Brunnen, Strassen, Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Beratungseinrichtungen sowie Kommunikationsmittel. Also das ganze Arsenal an Möglichkeiten, das für eine regionale Entwicklung notwendig ist. Wenn Kleinbauern die Grossbauern ergänzen könnten, würde für die Welternährung das Optimum herausschauen.
Essen ist weiblich
Hungerbekämpfung beginnt mit Gleichberechtigung. Landwirtschaft ist in vielen Ländern Frauensache. In der Subsahara Afrikas jäten und ernten die Frauen auf den Feldern ihrer Männer, verarbeiten die Ernte, besorgen Feuerholz und Wasser und versorgen den Haushalt. Die Frauen wissen meistens auch vom Wert und Nutzen lokaler Pflanzen und Tiere für die Ernährung. Trotzdem haben sie meistens keinen Zugang zu Ausbildung, Beratung und Krediten. Und wenn neue Technologien, z.B. zur Bewässerung, eingeführt werden,
profitieren davon in erster Linie die männlichen Bauern.
Der Kampf gegen den Hunger ist umso erfolgreicher, je mehr Frauen daran beteiligt sind. Denn Frauen setzten meistens weniger auf Export- und Massenproduktion, sondern auf die Versorgung vor Ort. Damit steigen die Chancen zur Überwindung von Hunger und Elend. In Indien haben weibliche Selbsthilfegruppen in Gemeinde-Projekte wie Kleinbewässerungsanlagen und Bodenerhaltung investiert. Anders als männliche Gruppen mit ähnlichen Aufgaben haben die Frauen dabei beachtliches Kapital angespart.
Herausforderung Klimawandel
Die Landwirtschaft ist zugleich Opfer und Verursacher des Klimawandels. Rund 40 Prozent aller menschlichen Klimagasemissionen hängen in irgendeiner Art und Weise davon ab, wie wir uns ernähren und Landwirtschaft betreiben. Dabei gibt es grosse Unterschiede bei der Klima-Bilanz unterschiedlicher Anbaumethoden und Ernährungssysteme. In der Regel sind arbeitsintensivere und kleinteilige Strukturen klimafreundlicher als industrielle Monokulturen; ebenso der lokale und direkte Verbrauch im Vergleich zu aufwändigen Verarbeitungsketten und Vertriebswegen. Allerdings sollte diese Aussage nicht verallgemeinert werden.
In der Tierhaltung entstehen z.B. weniger klimaschädliche Emissionen, wenn Milch oder Fleisch mit wenigen, dafür leistungsstarken Tieren produziert werden. Genau in diesem Punkt will die FAO ansetzen: Sie kommt in ihrem neuesten Bericht zum Schluss, dass die Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung allein wegen der steigenden Nachfrage bis zum Jahr 2050 um bis zu 70 Prozent steigen. Aber auch, dass sich diese Emissionen um 30 Prozent senken liessen, wenn die jeweils besten Praktiken und Technologien angewendet würden. Das Schwergewicht liegt dabei auf einem effizienten Weide- und Düngermanagement. Und von einem besseren Fütterungs- und Herdenmanagement sowie einer höheren Tiergesundheit würden nicht nur die Umwelt, sondern auch die Bauern profitieren, weil sie dann weniger Verluste haben.
Fleischkonsum
In den vergangenen 40 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch mehr als verdreifacht. Wo Tiere Gras und andere Pflanzen fressen, die zur direkten menschlichen Ernährung nicht geeignet sind, sind sie keinen Konkurrenz, sondern vielmehr eine Ergänzung an Lebensmitteln. Sie leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Produktion, indem sie Dünger liefern, als Zug- und Transporttiere arbeiten und Abfälle verwerten. Ein Grossteil des heute genutzten Weidelandes, besonders in Trockengebieten eignet sich für keine andere landwirtschaftliche Nutzung als zur extensiven Weidehaltung. In einigen Gegenden der Welt ist die Übernutzung der Weideflächen allerdings inzwischen zu einem Problem geworden.
Und die meisten Masttiere fressen heute nicht mehr Gras, sondern Mais, Soja, Weizen und anderes Getreide von Ackerflächen mit denen man Menschen ernähren könnte. Inzwischen werden auf rund einem Drittel des Ackerlandes Futtermittel angebaut. Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien pro Kilogramm schwankt zwischen 2:1 bei Geflügel, 3:1 bei Schweinen, Zuchtfischen, Milch und Eiern und 7:1 bei Rindern. Damit ist klar: Wenn der Fleisch- und Milchkonsum in den Industriestaaten reduziert und in den Schwellenländern begrenzt würde, liessen sich damit die natürlichen Ressourcen und das Klima schützen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Menschheit zu diesem Konsumverzicht bereit ist.
Klimaschonende Bewirtschaftung
Da lässt sich noch eher eine klimaschonende Bodenbewirtschaftung forcieren: Zum Beispiel indem das Ackerland stetig begrünt ist und nicht mehr und tiefer gepflügt wird als unbedingt notwendig. Kunstdünger kann wo immer möglich durch Gründüngung ersetzt werden, Pestizide durch biologische Schädlingsbekämpfungsmittel. Weitere Abholzung sollte vermieden, nicht genutztes Land wieder aufgeforstet werden. Und last but not least liesse sich die Abhängigkeit der Landwirtschaft von fossilen Brenn- und Treibstoffen reduzieren.
Der Weltagrarrat fordert darüber hinaus eine grundlegende Anpassung der Agrar- und Handelspolitik an die Klimaziele der Weltgemeinschaft. Emissionsarme und Kohlenstoff-speichernde Anbaumethoden, sowie klimafreundlichere Produktions- und Verbrauchsformen sollten zudem in die laufenden Klimaschutzverhandlungen aufgenommen werden.
Anpassungsstrategien
Vermutlich werden Afrika, der Süden Asiens und Lateinamerika besonders unter dem Klimawandel leiden, also genau jene Regionen, die bereits heute am meisten Hunger und Armut kennen. In einigen nördlichen Regionen Europas, Asiens und Amerikas könnte der Klimawandel kurzfristig sogar positive Auswirkungen haben. Bauern in den Industrieländern in den höheren Breitengraden können sich mit entsprechender Technologie und (Ernte-) Versicherungen für den Klima-wandel wappnen. Kleinbauern in Entwicklungsländern können das nicht. Sie sind schon heute erheblichen Klimaschwankungen ausgesetzt.
Monokulturen sind anfälliger für Klimaveränderungen als Anbausysteme, die auch dann noch Erträge liefern, wenn einzelne Pflanzen versagen. Es braucht deshalb eine grössere Sortenvielfalt, die unterschiedlich auf Trockenheit und Nässe reagieren. Lokalsorten könnten allenfalls helfen, sie wurden allerdings in den letzten Jahrzehnten von Hochertragssorten der wenigen internationalen Marktfrüchte (Mais, Weizen, Reis) verdrängt und züchterisch kaum weiterentwickelt. Auch mit einer teilweisen Aufforstung, mit Agrarforstsystemen und Mischkulturen können sich die Bauern für den Klimawandel wappnen.
Künstlicher Regen
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nutzwasser für die Landwirtschaft ist ebenso ungerecht verteilt wie der Zugang zu Nahrung und Grundbesitz. Über einer Milliarde Menschen ist der Zugang zu sicherem Trinkwasser verwehrt. Die Landwirtschaft ist mit Abstand der wichtigste Verbraucher von Süsswasser. 70 Prozent der Wasserentnahme aus Wasserläufen und Grundwasser gehen auf ihr Konto, dreimal mehr als vor 50 Jahren. Inzwischen werden rund 40 Prozent aller Lebensmittel weltweit auf künstlich bewässerten Flächen angebaut. In vielen wasserarmen Gebieten ist der gegenwärtige Wasserverbrauch pro Kopf nicht nachhaltig. Das wird mittel- und längerfristig zu akuten Wasserkrisen führen.
Die Bauern werden ein besseres Wassermanagement brauchen, aber auch effizientere Bewässerungssysteme oder Anbausysteme die mit weniger Wasser auskommen, sowie Pflanzensorten die trockenheitsresistenter sind. In trockenen Regionen wird man nach Alternativen zum Anbau von Mais, Baumwolle oder anderen wasserbedürftigen Pflanzen suchen müssen. Die werden allerdings nur angebaut, wenn es einen Markt dafür gibt.
Markt findet statt
Darüber, ob der weltweite Handel positive oder negative Auswirkungen auf den Hunger hat, gehen die Meinungen auseinander. Der Weltagrarrat hält die Armen auf dem Lande und die ärmsten Länder zu den Verlierern der Liberalisierung. Er warnt vor einer weiteren Öffnung der Märkte, weil die landwirtschaftliche Entwicklung dann meistens von Billigimporten bedroht wird. Tatsächlich versorgen viele Länder die Futter-, Faser-, Treibstoff- und Genussmittelindustrie der reichen Länder mit billigen Rohstoffen – während die eigene Bevölkerung an Hunger leidet. Der Weltagrarrat fordert deshalb neue, internationale Handelsregeln, bei denen auch die Art und Weise, wie Produkte hergestellt werden, berücksichtigt werden. Es geht dabei in erster Linie um eine Bewertung der Umweltkosten. Die Nutzung natürlicher Ressourcen, Schäden an der Umwelt und an anderen gemeinwirtschaftlichen Gütern müssten mit Geld abgegolten werden. Der Weltagrarrat geht noch weiter und fordert das Recht auf Ernährungssouveränität, also das Recht jeden Staates, die Lebensmittelproduktion selbst zu gestalten.
Die FAO und UNO sehen den weltweiten Handel nicht ganz so negativ. Sie orten sogar in der Energiepflanzenproduktion noch Chancen für die Bauern. Diese Organisationen wollen eher einen Marktzugang für die Armen erreichen. Sie argumentieren damit, dass eine Steigerung des Bruttoinlandprodukts (z.B. über den Verkauf von Landwirtschaftsprodukten) auch die Lage der Ärmsten jeweils deutlich verbessert.
Ökologie ohne Wert
Wissenschaft und Politik anerkennen die Multifunktionalität der Landwirtschaft unter ökologischen Gesichtspunkten weiterherum. Dennoch ist der Begriff innerhalb der WTO nach wie vor umstritten. Vertreter der „reinen Marktlehre” lehnen Eingriffe zum Schutze öffentlicher Güter und Interessen nach wie vor weitgehend ab. Umwelt- und Sozialdumping sind heute auf dem Weltmarkt ein Konkurrenzvorteil. Und wenn irgendwo die Umweltzerstörung erschwert und so zu einem Kostenfaktor wird, werden Produktion und Arbeitsplätze nicht selten in Ländern verlagert in denen das destruktive Verhalten weiterhin möglich ist.
In vielen Entwicklungsländern führen Not und Existenzangst zu ökologisch und sozial unerwünschten Verhaltensweisen. Vielen Haushalten ist sogar klar, dass sie sich kurzsichtig verhalten. Doch der Hunger zwingt sie zum Handeln. Das würde sich erst ändern, wenn Umwelt- und Sozialleistungen der Landwirtschaft einen Marktpreis hätten.
Nichtwissen macht machtlos
Dem Wissen geht es wie der Welternährung: „Geistige Unterernährung” und „wissenschaftliche Überfettung” sind höchst ungerecht über den Globus verteilt. Einem Übermass an Daten, Informationen und Spezialisten, die den Blick aufs Wesentliche eher verstellen, steht bitterer Mangel an Grundlagenkenntnissen gegenüber. In vielen Ländern fehlt es an Allgemeinwissen, an landwirtschaftlicher Ausbildung, an Beraterinnen und Landwirtschaftsschulen, an Wissenschaftlern, die sich Problemen vor Ort widmen und kompetent genug sind, um das vorhandene Wissen ergebnisorientiert genau dort einzusetzen, wo es benötigt wird.
Der Weltagrarrat fordert eine massive Aufstockung öffentlicher Mittel in das landwirtschaftliche Wissenssystem. Die Forschung soll sich dabei gezielt auf öffentliche Güter konzentrieren, die für die Ernährungssicherheit von strategischer Bedeutung sind. Denn in diesen Bereichen stehen praktisch keine privatwirtschaftlichen Gelder zur Verfügung.
Auch bei anderen Organisationen steht die Verbesserung der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit landwirtschaftlicher Systeme ganz oben auf der Forschungs- und Entwicklungsagenda. Zum Beispiel Fragen wie:
• Wie kann man die Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft verringern?
• Wie lässt sich die Anfälligkeit agrarökologischer Systeme gegenüber Klimaänderungen und -schwankungen (z. B. durch Züchtung auf Temperatur- und Krankheitstoleranz) mildern?
• Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen Ökosystemleistungen der Landwirtschaft und der menschlichen Gesundheit?
• Wie kann man den wirtschaftlichen Wert von Ökosystemleistungen erfassen?
• Wie lässt sich Wasser effizienter nutzen und Wasserverschmutzung vermeiden?
• Gibt es neue biologische Verfahren zur Kontrolle vorhandener und neu auftretender Schädlinge und Krankheiten?
• Wie lässt sich die Abhängigkeit des Agrarsektors von fossilen Energieträgern vermindern?
Treibhausgase aus dem Stall
Die Nutztierhaltung trägt mit geschätzten 7,1 Gigatonnen Kohlendioxid-Äquivalent zur Klimabelastung bei. Der Grossteil der Treibhausgasemissionen geht dabei auf das Konto von Rindfleisch und Milchvieh, sie machen 40 Prozent, bzw. 20 Prozent der Emissionen der Nutztierhaltung aus. Schweine und Geflügel schneiden in Bezug auf die Klimabilanz mit weniger als 10 Prozent besser ab. Zu den Hauptemissionsquellen zählt die Futterproduktion und Verarbeitung, inklusive Abholzung von Wäldern für Weideflächen (45 Prozent aller Emissionen); die Wiederkäueraktivität (40 Prozent) und die Mist und Güllelagerung und -ausbringung (10%).
Quelle: Tackling climate change through livestock, FAO 2013

