Im Zuge der Finanzkrise 2007 und 2008 sind die Preise für Agrarrohstoffe auf den globalen Märkten förmlich explodiert. Nach einem starken Preisverfall Ende 2008 schnellten die Preise Anfang 2010 erneut hoch. Dadurch wurden laut der Weltbank 44 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut getrieben. Innerhalb nur eines Jahres stiegen damals die Getreidepreise laut FAO um 70 Prozent an. Heute sind die Preise von Reis, Mais und Weizen im Schnitt zweieinhalb Mal höher als noch vor zehn Jahren. Kein Wunder, kam es seit 2008 in einigen Ländern zu Hungeraufständen: In Ländern des Südens wendet ein Haushalt zwischen 50 und 90 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel auf – während dieser Anteil in Ländern des Nordens lediglich 10 bis 20 Prozent beträgt. Steigende Lebensmittelpreise bringen die Menschen in vielen Ländern umgehend in Existenznot.
Wenn es darum geht, die Gründe für diese Preisschwankungen herauszuschaffen, sind sich die Experten nicht einig. Die Vertreter der Finanzbranche argumentieren meist damit, dass die Schwankungen mit dem Bevölkerungswachstum, der Erhöhung des Erdölpreises, dem Dollarkurs, dem Klimawandel oder der Nachfrage nach Agrotreibstoffen erklärt werden können. Davon, dass Rohstoffpreise durch Finanzspekulation beeinflusst werden, wollen sie nichts wissen. Es ist jedoch unbestritten, dass seit der weltweiten Immobilien- und Finanzkrise der Jahre 2007/08 Banken und andere Grossinvestoren verstärkt nach „sicheren Werten“ für ihre Geschäfte und Profite suchen. Solche Werte finden sie unter anderem in Nahrungsmitteln wie Mais, Reis oder Weizen. Wenn an den Börsen Gerüchte über Missernten auftauchen, beginnen die Finanzjongleure mit Milliardenbeträgen auf steigende Preise zu setzen – weshalb in der Folge die Preise für Nahrungsmittel explodieren.
Spekulation mit Nahrung
Nahrungsmittelspekulation kann ganz verschieden aussehen, sie kann z.B. über sogenannte Terminbörsen stattfinden. Diese Börsen haben einerseits einen Nutzen für die Landwirtschaft, weil sie Ernterisiken absichern. Sie bergen andererseits aber auch Gefahren. Denn die Informationen zu Angebot und Nachfrage an den physischen Märkten sowie die entsprechenden Aussichten beeinflussen die Preisentwicklung an den Terminmärkten. Die Preise, die daraus resultierend dienen dann wieder als Grundlage für die Preisverhandlungen und für die kurzfristige Preisfindung an den physischen Märkten. Sie beeinflussen also die realen Investitionsentscheide und die längerfristigen Preise an den physischen Märkten. Solange die marktfremden Akteure Preissteigerungen erwarten und gewillt sind, Kontrakte zu höheren Preisen zu kaufen, werden diese Preissteigerungen eintreffen. Und diesen Preissteigerungen sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt.
Auch in der Schweiz gibt es Banken, die Investmentfonds anbieten, bei denen mindestens ein Teil des Kapitals in Agrarrohstoffen angelegt ist. Eine Recherche von Brot für Alle und Fastenopfer listete die Investmentfonds von zehn Schweizer Banken auf, die direkt oder indirekt in Derivate (sogenannten Futures) auf Agrarrohstoffe investieren. Allen voran die Credit Suisse mit 2,4 Milliarden Franken.
Die Erde läuft heiss
Wie viel Lebensmittel die Welt in Zukunft erzeugen kann, wird nicht zuletzt vom Klimawandel abhängen. Die Erderwärmung ist kaum noch zu stoppen und sie wird mittelfristig höchstwahrscheinlich zu extremen Temperaturen, Fluten und Dürrekatastrophen führen – und die Nahrungsmittelproduktion massiv beeinträchtigen. Die USA liefert derzeit etwa 40 Prozent der weltweiten Mais- und Sojaernte, sie muss künftig mit massiven Ernteeinbussen rechnen – ausgelöst durch Hitzewellen, Wirbelstürme und andere Wetterextreme. Auch Landwirte in Russland, der Ukraine, Kanada und Australien werden in absehbarer Zukunft immer wieder mit dramatischen Ernteausfällen zu kämpfen haben.
Dabei dürfte dem Wasser eine Schlüsselgrösse zukommen. Denn wenn die Nutzungsintensität des Wassers auf dem heutigen Niveau bleibt, dürfte die Nachfrage bis 2050 um 70 bis 90 Prozent steigen. Heute sind vor allem Afrika, der Mittlere Osten sowie Süd- und Zentralasien von Wasserknappheit betroffen. In Zukunft wird der Klimawandel aber auch in anderen Regionen zu Wasserverknappung führen, z.B. im Mittelmeerraum, im südlichen Afrika, im Westen der USA und in Mexiko. Eine Veränderung der Niederschlagsverteilung ist ebenfalls zu erwarten. Fluten und Dürren werden dazu führen, dass es immer öfter entweder zu viel, oder zu wenig Wasser gibt. Schon heute fliesst virtuelles Wasser in der Form von landwirtschaftlichen Erzeugnissen teilweise aus wasserknappen Ländern (wie Afrika) in Länder mit genügend Wasser (Europa) – ein Trend, der sich künftig noch verstärken könnte.
Grabschen nach Land
Das zweite was es für die Produktion von Lebensmitteln braucht ist Land. Mit Käufen oder Pachtverträgen sichern sich Staaten, global tätige Unternehmen und private Investoren aus Industrie- und Schwellenländern, derzeit grosse Agrarflächen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das genaue Ausmass dieses Landgrabbings ist wenig bekannt. Doch es steht fest, dass die Landnahme als Kapitalanlage und zur Ernährungssicherung interessant ist. Landgrabbing ist eine moderne Form der Kolonialisierung: Die meisten Zielländer sind arm und ihre Bevölkerung ist hungrig. Die Investoren dagegen sind reich und haben nur bedingt im Sinn, die ortsansässige Bevölkerung besser zu ernähren. Zumal gar nicht auf allen in Pacht genommenen Flächen Lebensmittel produziert werden. Oft geht es nur darum Rohstoffe zur Produktion von Energie zu sichern.
Mehr als tausend Landgrabbing-Geschäfte waren Ende September 2013 auf der Webseite landmatrix.org aufgeführt, 52 Millionen Hektar Land waren davon betroffen. Auch sechs Projekte mit Schweizer Beteiligung sind der Webseite bekannt: 65‘000 Hektaren in Russland, 2‘800 in Mosambik, 20‘000 in Sierra Leone, 263 in Tansania und unbekannte Flächen in Vietnam und Myanmar werden von der Schweiz aus gepachtet. Die Hälfte der Projekte hat nicht Nahrungsmittel, sondern Energieproduktion zum Ziel.
Essen im Tank
Die Welt ist nicht nur hungrig nach Essen, sondern auch hungrig nach Treibstoff. Dass die Produktion von Agrotreibstoffen oder Biogas mitunter in Konkurrenz zur Produktion von Nahrungsmitteln steht, bestreitet inzwischen niemand mehr. Zwar werden weltweit nach Schätzungen der FAO nur auf 2 Prozent der Ackerfläche (rund 30 Millionen Hektar) Energiepflanzen angebaut und lediglich 5 Prozent der globalen Getreideernte zur Herstellung von Agrokraftstoffen genutzt. Weil aber die Produktion von Rohstoffen zur Energiegewinnung oftmals lukrativer ist als die Produktion von Nahrungsmitteln, besteht gleichwohl eine Konkurrenz.
Das zeigte sich z.B. letztes Jahr, als in den USA eine Dürre den Maispflanzen zusetzte. Damals waren 40 Prozent der US-Maisernte fest für die Ethanol-Produktion verplant, weshalb er nahezu gänzlich beim Viehfutter fehlte. In der Folge wurde nicht nur der Futtermais deutlich teurer, sondern auch der Weizenpreis zog an. In Deutschland lässt sich ebenfalls beobachten, dass die steigende Nachfrage nach Mais für die Biogasproduktion dazu führt, dass die Pachtzinse steigen. Das macht auch Lebensmittel wie Milch teurer, weil die Bauern die höheren Pachtkosten ja über den Verkauf ihrer Produkte decken müssen.
Die meisten Länder müssen die Produktion von Agrosprit subventionieren, weil sie sonst nicht rentabel wäre. Wenn überhaupt, so kommen höchstens die Energieträger Zuckerrohr und Palmöl ohne Subventionen aus. Weil Bioenergiepflanzen subventioniert werden, sind die Bauern an einem möglichst hohen Ertrag interessiert. Sie verabreichen also ihren Kulturen viel Dünger und Wasser. Das gilt auch für anspruchslose Kulturen wie Jatropha und Cassava. Denn auch bei ihnen gilt: Maximale Erträge gibt es nur mit maximalem Faktoreinsatz oder wenn der Anbau auf besseren Böden stattfindet. In beiden Fällen kommt es zu Konkurrenz mit Nahrungsmitteln und Ressourcen. Vor allem dann, wenn die Produktion von Bio-Energieträgern lukrativer ist als die Produktion von Lebensmitteln. Steigende Energiepreise treiben nicht nur die Kosten der Bauern für Kraftstoff und Düngemittel in die Höhe, sondern steigern auch wieder die Nachfrage nach Agrokraftstoffen auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion und führen zu vermehrtem Wasserbedarf und höheren Kosten der Wassernutzung. Ein Teufelskreis.
Die technische Realisierbarkeit und Effizienz der sogenannten Zweiten Generation von Agrosprit, die nicht auf Lebensmittel-Pflanzen beruht und die Zellulose von Bäumen und Sträuchern nutzen soll, wird die Konflikte – wenn überhaupt – nur wenig entschärfen.
Zertifikate als Handelshemmnis
Weil Energiepflanzen in die öffentliche Kritik geraten sind, sollen nun Zertifikate das Gewissen beruhigen. Die FAO warnt jedoch davor, dass mit diesen Zertifikaten Handelsbarrieren ausgerechnet für diejenigen Bauern aufgebaut werden, die dringendst am meisten vom Wirtschaftswachstum profitieren sollten: Die Kleinbauern und Bauern in Entwicklungsländern. Denn diese Zertifikate sind viel zu aufwändig und kostenintensiv für Kleinbauern, die auf einen Zusatzerlös angewiesen wären. Sie nützen in erster Linie den Big Playern im Energiepflanzengeschäft, die mit einmaligen Zertifizierungskosten eine grosse Menge Rohstoff gleichzeitig zertifizieren können.
Gräbt sich Afrika das Wasser ab?
Die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA hat vor wenigen Wochen mit den nordostafrikanischen Staaten Tschad, Ägypten, Libyen und Sudan einen Vertrag zur Nutzung fossiler Wasservorräte unterzeichnet. Gemeinsam wollen sie das Nubische Sandstein-Aquifer in einem strategischen Aktionsprogramm nutzen. Neben der IAEA sind auch andere Organisationen der UNO sowie die UNESCO an dem Projekt beteiligt. Der Nubische Sandstein-Aquifer ist das grösste fossile Wasservorkommen der Welt, das Wasser ist zwischen 35‘000 und 15‘000 Jahren alt. Die Vereinten Nationen schätzen das Volumen auf mindestens 373‘000 Milliarden Kubikmeter, was etwa 10 % des Volumens vom Mittelmeer entspricht. Allerdings soll nur ein Teil davon, rund 9‘000 Milliarden Kubikmeter, abgepumpt werden können. Die Wasser führende Gesteinsschicht, poröser Sandstein, liegt in einer Tiefe von 800 bis zu 4‘500 Metern. An einigen Orten erreichen die grundwasserführenden Schichten die Oberfläche und bilden die Seen von Ounianga oder kleinere Seen im Wildtierreservat Fada Archei im nordöstlichen Tschadbecken. Libyen zapft die Wasservorräte für einen künstlichen Fluss bereits an. Laut Berechnungen des UN-Zentrums für Umwelt und Entwicklung für die arabische Region und Europa (Cedare) sollen die Vorräte dieses Aquifers bei den heutigen Entnahmeraten für rund 4‘000 Jahre reichen. Andere Berechnungen gehen jedoch davon aus, dass der unterirdische See bei einer intensiveren Nutzung bereits nach 200 Jahren leergepumpt ist. Fossiles Wasser ist genauso wenig erneuerbar wie fossile Energieträger. Die Nutzung nichterneuerbaren Wassers für landwirtschaftliche Bewässerungsprojekte ist aus ökonomischer und ökologischer Sicht sehr umstritten. Zumal das Wasserreservoir bisher nicht angezapft wurde, um den Hunger der Armen zu reduzieren, sondern eher um den Reichtum der Reichen zu vermehren.
Quellen: IAEA und "Die Zeit": "Sahara-Wasser für Libyens Küste"

