1.1.1 Pro Tag verschwinden rund sechs Betriebe
Um es gleich zu Beginn auf den Punkt zu bringen: DEN typischen Schweizer Bauernhof gibt es nicht. Je nach geografischer Region und je nach Interessen der Bäuerinnen und Bauern gibt es unterschiedliche Betriebsausrichtungen wie zum Beispiel Milchproduktion, Viehzucht, Mast, Ackerbau, Spezialkulturen oder Kombinationen davon. Ferner existiert zusätzlich eine Katastereinteilung. Darin werden die Bauernhöfe in Zonen eingeteilt. Man unterscheidet dabei die Ackerbauzone, die Erweiterte Übergangszone, die Voralpine Hügelzone sowie die
Bergzonen 1-4. Dabei gilt die Bergzone 4 als die am schwierigsten zu bewirtschaftende Zone. Die Einteilung in die Bergzonen 1-4 geschieht nicht aufgrund der Höhenlage über Meer, sondern nach folgenden Kriterien: Klimatische Eignung, Infrastruktur der Verkehrswege und Oberflächengestaltung. Somit kann auch ein tiefer gelegener Hof durchaus in die Bergzone 4 eingeteilt werden.
Hauptmerkmal der schweizerischen Landwirtschaft sind die im Vergleich zum Ausland kleineren Betriebe. Die Schweizer Bauernhöfe werden meist in Form von Familienbetrieben bewirtschaftet. Das ändert sich jedoch im Zuge des so genannten "Strukturwandels", denn durch die Liberalisierung der Agrarmärkte werden die Bauern vermehrt dazu gezwungen, ihre Betriebsfläche zu vergrössern. Die Preise für Getreide, Raps oder Milch sind unter Druck. Um den Einkommensverlust auszugleichen versucht der Bauer seinen Betrieb zu vergrössern. Damit können die Maschinen besser ausgelastet werden und die Produktionskosten pro Einheit sind tiefer. Weil die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche nicht "wachsen" kann, sondern jährlich sogar schrumpft (vergleiche Kapitel 1.1.2), wird sich der Bauer nach Land umsehen, das er von anderen kaufen oder pachten kann.
In den letzten 15 Jahren ging die Zahl der Bauernhöfe zwischen 1 und 20 Hektaren Betriebsgrösse um etwa ein Drittel zurück, während es in derselben Zeit zunehmend grössere Betriebe gab (vergleiche Abbildung 1). Durch den anhaltenden wirtschaftlichen Druck auf die Agrarmärkte (Abbau der staatlichen Mengen- und Preisgarantien) wird sich diese Tendenz in Zukunft fortsetzen. Weiter ist in der Abbildung 1 auch der deutliche Rückgang der Landwirtschaftsbetriebe insgesamt ersichtlich. So ging die Zahl der Betriebe im Zeitraum von 1990 bis 2000 um rund 22,000 Betriebe zurück, das entspricht rund sechs Betriebsaufgaben pro Tag.
Abbildung 1: Anzahl Betriebe nach Grössenklassen
Quelle: LID
Natürlich bieten sich dem Bauern auch Alternativen zur Vergrösserung oder Diversifizierung seines Betriebes an, beispielsweise kann er intensiver, das heisst mit mehr Kapital- und Maschineneinsatz produzieren, oder aber er setzt auf neue Produkte, die er auf dem Markt zu höheren Preisen verkaufen kann.
1.1.2 Pro Minute gehen 76 Quadratmeter produktiver Fläche verloren
Die Fläche der Schweiz beträgt 41,285 Quadratkilometer. In der Arealstatistik in Abbildung 2 ist eine Übersicht über die Bodennutzung der Schweiz dargestellt.
Beinahe ein Drittel der Schweiz ist mit Wald überwachsen. Knapp 1,1 Mio. Hektaren der Schweiz, also mehr als die Hälfte der Fläche, besteht aus Siedlungen, Strassen, unproduktiven oder vegetationslosen Flächen. Die Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) besteht aus den Flächen von Dauergrünland, Ackerland sowie Dauerkulturen und umfasste im Jahre 2002 rund 1,1 Mio. Hektaren. Dabei ist zu beachten, dass die Fläche der Alp- und Juraweiden von rund 455,000 Hektaren (siehe Arealstatistik) nicht zu der LN gezählt wird.
Abbildung 2: Arealstatistik der Schweiz
Quelle: LID
Wie aus Abbildung 3 ersichtlich wird, verkleinert sich die Landwirtschaftliche Nutzfläche kontinuierlich. Innert rund 12 Jahren hat die LN gesamthaft um 482 Quadratkilometer (das entspricht ungefähr der Fläche des Kantons Obwalden) oder 3,1 Prozent abgenommen. Pro Minute verliert die Landwirtschaft 76 Quadratmeter an produktiver Fläche. Im Mittelland und im Jura geht der Verlust zu beinahe 100 Prozent auf den Bedarf an Siedlungsflächen zurück, in Graubünden und im Tessin erobert der Wald sein früher verlorenes Terrain zurück, während die Siedlungen dort nur relativ wenig Fläche beanspruchen. Im Wallis und in den Voralpen sind die beiden Ursachen des Kulturlandverlustes etwa gleichwertig.
Abbildung 3: Jährlicher Verlust landwirtschaftlicher Nutzfläche
Quelle: BLW; Agrarbericht 2003, S. 225
Geht diese Entwicklung in gleicher Geschwindigkeit weiter, so ist der Vorrat an Kulturland in der Schweiz nach etwa 380 Jahren erschöpft (siehe auch Kapitel 1.4.3).
Der nebenstehend dargestellte Ländervergleich zeigt, dass die landwirtschaftlich nutzbare Fläche in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern knapp ist. So stehen jedem Schweizer nur rund 15 Aren (eine Are entspricht einer Fläche von 100 Quadratmetern) zur Verfügung. Im Vergleich dazu ist diese Fläche in Österreich dreimal und in Irland rund zehnmal so gross wie in der Schweiz.
Abbildung 4: Landwirtschaftliche Nutzfläche pro Einwohner
Quelle: LID
1.1.3 Innerhalb 30 Jahren verschwand jede vierte Kuh in der Schweiz
Der Bestand der Kühe hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verkleinert. Im Jahr 1973 standen beispielsweise noch rund 900,000 Kühe in den Schweizer Ställen. Diese Zahl reduzierte sich bis ins Jahr 2003 um rund 200,000 Tiere auf den Stand von ungefähr 700,000 Kühen. Somit verschwand innerhalb von 30 Jahren jede vierte Kuh in der Schweiz. Gründe sind einerseits die gestiegenen Milchleistungen sowie anderseits die rückläufige Zahl an Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz.
Abbildung 5: Entwicklung Kuhbestand und landwirtschaftliche Nutzfläche
Quelle: BFS
In einem Weltwoche-Artikel (2004) wird die (Über-) Nutzung der Alpweiden kritisiert. Die typisch schweizerische Landschaft entsteht jedoch erst durch die landwirtschaftliche Nutzung und bleibt nur durch diese erhalten. Heute ist vielmehr die Unternutzung das grössere Problem. Der Rückgang des Kuhbestandes war nämlich auch mit der Einstellung der Nutzung abgelegener Flächen verbunden. Das führte zu den in Kapitel 1.1.2 beschriebenen Verlusten an landwirtschaftlicher Nutzfläche.
Neben dem angesprochenen Rückgang des Kuhbestandes ist auch der Schweinebestand aus vielschichtigen Gründen gesunken. Im Rahmen der WTO-Verträge wurden mehr Importe zugelassen. Diese Tendenz kann sich mit Blick auf die neueste Verhandlungsrunde der WTO fortsetzen. Dabei geht durch die erhöhten Importe auch Wertschöpfung ins Ausland verloren.
Abbildung 6: Pro-Kopf-Konsum Fleisch (kg Verkaufsgewicht)
Quelle: Proviande
Ein gewichtiger Grund für den Rückgang beider Tierkategorien ist ausserdem der rückläufige Fleischkonsum in der Schweiz. Dieser ist unter anderem auch wegen der BSE-Krise gesunken. Im Jahr 1994 ass jeder Schweizer noch rund 27 Kilogramm Schweinefleisch, im Jahr 2003 nur noch 25,2 Kilogramm. Trotz des Konsumrückgangs wird Schweine- und Rindfleisch von den Schweizer Konsumenten im Vergleich zu den anderen Fleischsorten bevorzugt gekauft.
Eine Kuh erfreut 267 Touristen
Mit der banalen Gleichung "ein Schulkind kostet die Schweiz gleichviel wie drei Kühe" kritisiert Silvio Borner (2004), Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel, die Unterstützung der Bauern durch den Bund (vergleiche LID 2004a).
Analog dazu kann man eine Gleichung aufstellen, wie viel der Tourismus von den einheimischen Wiederkäuern profitiert. Im Jahr 2002 wurden insgesamt 125,641 Kühe, 18,458 Milchziegen, 213,357 Schafe sowie
344,756 übrige Raufutter verzehrende Tiere in der Schweiz gesömmert. Der Schweizer Tourismus wies im Jahr 2002 insgesamt 65,896,000 Logiernächte aus. Das bedeutet, dass
- eine Kuh insgesamt 267 Touristen erfreute,
- eine Milchziege von 1,820 Touristen bestaunt wurde,
- ein Schaf 157 Touristen zu Gesicht bekam sowie
- ein Tier der übrigen Raufutter verzehrenden Tiere 97 Touristenherzen höher schlagen liess.
Der touristische Umsatz betrug im Jahr 2002 gemäss Bundesamt für Statistik rund 22 Mrd. Franken. Pro gesömmertes Tier ergibt sich ein Umsatz für
- eine Kuh von 7,253 Franken,
- eine Milchziege von 43,369 Franken,
- ein Schaf von 4,271 Franken sowie
ein Tier der übrigen Raufutter verzehrenden Tiere von 2,643 Franken.
Den Bauern wird oft vorgeworfen, sie rechtfertigten die Bundesmittel nur mit dem Argument der Landschaftspflege. Wie obiges (stark vereinfachtes) Beispiel zeigt, gibt es noch andere gewichtige Argumente wie zum Beispiel den Tourismus. Mit dem Sömmerungs-Ansatz von 300 Franken für gemolkene Kühe wird nach dieser Rechnung ein rund 24-mal grösserer touristischer Umsatz von 7,253 Franken geschaffen.
1.1.4 Britische Bauernhöfe sind 4-mal grösser als Schweizer Betriebe
Aus den vorangehenden Kapiteln wurde ersichtlich, dass die Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) nicht nur in der Schweiz begrenzt ist. Dies spiegelt sich auch im Vergleich der Betriebsgrössen der Bauernhöfe der Schweiz mit derjenigen der EU wieder. So sind britische "Farmer" mit durchschnittlich rund 70 Hektaren Betriebsfläche die grössten in Europa, während weiter im Süden die Griechen mit dem letzten Platz in dieser Kategorie vorlieb nehmen müssen. Die Schweiz findet sich mit 17,4 Hektaren ziemlich weit hinten, trotzdem sind typisch schweizerische Betriebe etwa gleich gross wie der Durchschnitt der gesamten Europäischen Union.
Diese Zahlen machen deutlich, dass mit den Schweizer Kleinstrukturen nicht gleich rationell produziert werden kann wie beispielsweise in Grossbritannien. Trotzdem finden sich auch in der Schweiz immer mehr Betriebe in der britischen Grössenordnung.
Nun macht natürlich die Grösse nicht den alleinigen Unterschied zwischen den Ländern aus: Während im Norden Europas tendenziell eher grössere Tiermast- und Ackerbaubetriebe zu finden sind, sind im Süden (Italien, Portugal, Griechenland) vor allem kleinere Bauernhöfe mit Spezialkulturen wie Weinbau, Früchten oder Obst anzutreffen. Obwohl die Schweiz punkto Flächenertrag und tierischen Leistungen mit ihren Nachbarländern mithalten kann, produzieren die Schweizer Bauern nur ein Bruchteil der europäischen Nahrungsmittel. So wird beispielsweise nur ein halbes Prozent der europäischen Weizenmenge in der Schweiz produziert. Oder nur jedes 75. Schwein stammt von einem Schweizer Bauernhof. Immerhin jeder 31. Liter europäische Milch wird von Schweizer Kühen gegeben.
Quelle: LID
Neben den produktions- und anbautechnischen Betriebsunterschieden existieren vor allem im Bereich der Produktionskosten grosse Gegensätze zwischen der EU und der Schweiz. Knapp 40 Prozent der Ursachen für diese Preisdifferenzen zwischen der EU und der Schweiz können auf die Umwelt- und Sozialpolitik zurückgeführt werden. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die Kapitalkosten in der EU höher ausfallen als in der Schweiz. Das Lohnniveau hat einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Höhe der Preise. Mit der unterschiedlichen Qualität können 20 Prozent der Unterschiede erklärt werden.
Abbildung 8: Preisdifferenzen Schweiz EU: Die Ursachen
Quelle: Seco 2003; Strukturberichterstattung Nr. 19
Beim Vergleich der Kosten für das Essen in verschiedenen Ländern nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein. Nach Tokio und Seoul kostet der Warenkorb in Zürich am meisten. Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Schweizer gemessen an ihrem Einkommen einen immer kleineren prozentualen Anteil fürs Essen aufwenden müssen. Waren es 1956 noch beinahe 30 Prozent, so reduzierte sich dieser Wert bis ins Jahr 2000 auf 8,3 Prozent. In den Niederlanden musste im Jahr 1995 14,7 Prozent der Haushaltsausgaben für Lebensmittel ausgegeben werden, in Griechenland gar 38,1 Prozent.
Abbildung 9: Preis für einen Warenkorb mit 39 Nahrungsmitteln
Quelle: LID